Eine auf Initiative der BIZ in Basel zusammengestellte Arbeitsgruppe, bestehend aus Zentralbankern von Kanada, Grossbritannien, Japan, Schweden sowie der Europäischen Zentralbanb (EZB) und der Schweizerischen Nationalbank (SNB), hat Anfang Oktober 2020 ihren ersten Bericht über „Digitales Zentralbankgeld“ veröffentlicht. Es geht um die revolutionäre Idee, neues Zentralbankgeld einzuführen, das heute noch nicht existiert.
Die Aufgabe der Zentralbanken
Zentralbanken haben die wichtige Aufgabe, für monetäre Stabilität der Finanzsysteme in ihren Ländern zu sorgen. Dazu gehört der Zugang zu sicheren und effizienten Zahlungssystemen. Christine Lagarde, BIZ-Verwaltungsrätin, EZB-Präsidentin und Vorsitzende der Arbeitsgruppe dieses anspruchsvollen Währungsprojektes kommentiert wie folgt: „Die EZB ist die Hüterin der gemeinsamen Währung. Die Menschen in Europa bezahlen, sparen und investieren immer häufiger auf elektronischem Weg. Unsere Aufgabe ist es, das Vertrauen in unsere Währung zu sichern. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass der Euro für das digitale Zeitalter gerüstet ist. Wir sollten darauf vorbereitet sein, einen digitalen Euro einzuführen, sollte dies erforderlich werden.“
Der Ausdruck „digitales Zentralbankgeld“ ist missverständlich
Der von den Zentralbanken und den Medien verwendete Ausdruck „digital“ im Zusammenhang mit dem geplanten neuen Zentralbankgeld ist unglücklich, weil zu wenig präzis, ja sogar verwirrend. Die neue Art von Geld sollte präziser als E-Zentralbankgeld bzw. auf die konkrete Währung bezogen als E-Euro oder als E-Franken bezeichnet werden.
Fast die gesamte virtuelle Finanzwelt ist auf digitaler Software aufgebaut. Konto-Forderungen gegenüber Geschäftsbanken werden oft als digitale Guthaben bezeichnet, elektronische Überweisungen umgangssprachlich als digitale Geldtransfers.
Im Zusammenhang mit der geplanten neuen Währung sollte von E-Zentralbankgeld gesprochen werden.
Vertrauen in Zentralbanken im Fokus
Wie Agustín Carstens, BIZ-Generaldirektor, im Quartalsbericht von März 2020 festhält: „Zentralbanken haben eine Schlüsselrolle für Zahlungssysteme, und die aktuellen Änderungen erfordern ihr Aktivwerden, um die Sicherheit und Effizienz dieser Systeme zu verbessern. Geld- und Zahlungssysteme basieren auf dem Vertrauen in eine Währung und dieses Vertrauen kann nur die Zentralbank sicherstellen“.
Zentralbanken besorgt über Kryptowährungen
Viele Zentralbanken sind beunruhigt. Facebook hat vor einem Jahr die Lancierung von Libra, einer nicht-staatlichen Währung im Verbund mit einem weltweiten Zahlungssystem, angekündigt.
Bereits vor Libra hat das Aufkommen von Kryptowährungen die Zentralbanken verunsichert.
Kryptowährungen sind währungsähnliche Zahlungsmittel. Sie basieren auf kryptographischen Werkzeugen wie Blockchain sowie auf dezentralen und digitalen Signaturen. Sie sind währungsähnlich aber nicht vom Staat emittiert. Was die Sache für Währungshüter nicht einfacher macht: Nur wenige mathematische Wunderkinder wissen wirklich, wie Kryptowährungen funktionieren.
Die Ausgabe einer Währung ist ein Staatsmonopol. Wenn Private eigene Währungen schaffen, rütteln sie an diesem staatlichen Privileg. Die Zentralbanken möchten mit dem geplanten E-Zentralbankgeld ihr Währungsmonopol festigen.
Bestehendes Zentralbankgeld in der Schweiz
Zentralbankgeld in der Schweiz setzt sich gegenwärtig zusammen aus den sich im Umlauf befindlichen Banknoten und den Sichtguthaben, die von Geschäftsbanken bei der SNB in Schweizer Franken gehalten werden.
Zur Grössenordnung des bestehenden Zentralbankgelds: Die umlaufenden Banknoten betrugen per Ende August 2020 ca. CHF 84 Milliarden, die Sichtguthaben der Geschäftsbanken bei der SNB CHF 703 Milliarden.
Forderungen von Haushalten und Unternehmen gegenüber Geschäftsbanken sind kein Zentralbankgeld und kein gesetzliches Zahlungsmittel. Ein erheblicher Nachteil ist damit verbunden: Bankkunden unterliegen dem Schuldnerrisiko der Geschäftsbanken. Gerät eine Bank in Schieflage, läuft der Kunde das Risiko, Geld zu verlieren, ob die Forderung nun auf Schweizer Franken lautet oder auf eine fremde Währung. Die private Einlagensicherung der Banken wäre in einer wirklichen Bankenkrise lediglich ein Tropfen auf den heissen Stein.
Der Bundesrat lehnt die Einführung des E-Frankens ab
In seinem Bericht über das neue „Digitale Zentralbankgeld“ vom 13. Dezember 2019 hat der Bundesrat untersucht, ob die SNB den E-Franken, also E-Zentralbankgeld für die breite Bevölkerung, einführen sollte. Er kommt zum Schluss, dafür sei die Zeit noch nicht reif. Die neue Art von Geld bringe zu viele Risiken für die Geldpolitik der SNB. In Krisenzeiten könnte der Schweizer Franken noch mehr unter Aufwertungsdruck geraten als dies heute schon der Fall ist.
Die EZB will mit dem E-Euro vorwärts machen
Fabio Panetta, Mitglied des Direktoriums der EZB, bezeichnet die Frage, ob die EU einen E-Euro braucht, als „eine drängende Grundsatzfrage“. Die EZB will eine elektronische Form von Euro vorantreiben, „welche für alle Bürger und Firmen zugänglich“ ist. Dieser E-Euro soll parallel zu Bargeld existieren, das die EZB nicht ersetzen will. Vom E-Euro erwartet die EZB Synergien mit privaten Zahlungssystemen, was zu einem innovativen, kompetitiven und widerstandsfähigen Europäischen Zahlungssystem führen würde. Der E-Euro würde zudem gemäss Panetta als einigende Kraft für die digitale europäische Wirtschaft und als Sinnbild für den in Gang gesetzten Prozess der europäischen Integration gesehen.
Die bisherigen Arbeiten der EZB lassen viele rechtliche, logistische und finanzielle Optionen offen.
Fest steht, dass der E-Euro als ein direkter Anspruch gegenüber dem Eurosystem ausgestaltet wird. Er würde gesetzliches Zahlungsmittel im EU-Raum, was ja bei Bargeld bereits der Fall ist. Er soll als echtes und sicheres Zentralbankgeld ausgestaltet werden, das leichte Übertragbarkeit gewährleistet und für dauerhafte Aufbewahrung geeignet ist. Und er soll nicht nur den Finanzmarktteilnehmern, sondern auch der Bevölkerung zur Verfügung stehen.
Zinsfrage
Diverse diskutierte Fragen lassen aufhorchen. Es wird erörtert, ob der E-Euro wie Bargeld zinsfrei gestaltet werden soll oder ob ein variabler oder fester Zinssatz vorgesehen wird. Aus Sicht der EZB wäre ein variabler Zins willkommen, da die Geldmenge besser gesteuert werden könnte. Aus Sicht der Gläubiger wäre dies in Zeiten von Negativzinsen nachteilig. Die EZB könnte durch Drehen an der Zinsschraube den Wert der Einlagen beliebig steuern, was sie beim zinslosen Bargeld nicht kann.
Devisenrestriktionen?
Neben Zinsfragen bringt die EZB in einer Projekt-Variante mögliche Restriktionen wie Limitierung der E-Euro-Beträge für Personen ausserhalb des Euro-Raums ins Gespräch. Das sind zwar noch nicht ausdiskutierte Fragen, aber solche Vorschriften wären nichts anderes als Devisenrestriktionen. Wir glaubten, solche Einschränkungen im Devisenbereich gehörten der Vergangenheit an.
Es ist zu hoffen, dass solche vorläufigen Sandkastenspiele im Währungsbereich nicht Realität werden. Allerdings häufen sich Anzeichen, dass Errungenschaften der unbegrenzten Globalisierung in Teilbereichen zurückbuchstabiert werden. Ob dies bei europäischen Währungen passieren könnte, ist zwar nicht wahrscheinlich, aber auch nicht ausgeschlossen.
Ungeklärte Risiken für die Geld- und Fiskalpolitik
Die Auswirkungen einer E-Währung auf Geldmenge und Geldpolitik sind noch zu wenig abgeklärt. Anhänger der Modern Monetary Theory möchten mit dem neu geschaffenen Instrument die Geldmenge ausweiten. Sie möchten Geld- und Fiskalpolitik verknüpfen. Das neu geschaffene E-Zentralbankgeld soll den Regierungen eine Ausgabenpolitik ermöglichen, um den „New Green Deal“ zu finanzieren. Die Vertreterin der Modern Monetary Theory, Stephanie Kelton, vertritt sogar die Auffassung, ein souveräner Staat könne in seiner eigenen Währung faktisch unbeschränkt Geld ausgeben. Es handle sich ja gar nicht um Schulden, denn es gehe um die eigene Währung. Zu hohe Ausgaben könnten jederzeit durch neue Emissionen von E-Zentralbankgeld nachträglich abgedeckt werden. So könne eine Ausgabenpolitik realisiert werden, die alle Wünsche erfüllt.
Sollten solche Überlegungen die Einführung von E-Währungen befeuern, wäre dies für Vertreter einer konservativen Geld- und Fiskalpolitik ein Albtraum.
Die Schweiz ist gut beraten, nicht übereilt zu handeln.