71 Tage nach den italienischen Parlamentswahlen hat Staatspräsident Sergio Mattarella am Montagabend die Chefs der Protestpartei Cinque Stelle und der rechtspopulistischen Lega empfangen. Beide haben den 54-jährigen Juristen Giuseppe Conte als Ministerpräsidenten vorgeschlagen. Mattarella wird nun wahrscheinlich Conte beauftragen, eine Regierung zu bilden.
Der vermutlich neue Regierungschef ist ein Mann der Cinque Stelle und hat bisher immer „links“ gestimmt. Seine schwierige Aufgabe wird sein, sich gegen die Parteichefs der Lega und der Fünf Sterne durchzusetzen. Denn, so schreibt die Römer Zeitung „La Repubblica“ am Montag: Di Maio und Salvini sind es, die „Italien übernehmen“.
Konfliktpotential
Conte wurde 1964 geboren, studierte an der Yale-Universität und der Sorbonne. Er ist Anwalt und lehrt an der Universität in Florenz und an der privaten Römer Luiss-Universität. Die wenigsten Italiener kennen ihn. Er sitzt in keinem Parlament und ist politisch kaum in Erscheinung getreten.
Luigi di Maio und Matteo Salvini werden beide Vizeministerpräsidenten. Und hier liegt ein grosses Konfliktpotential, denn die beiden Parteichefs sind sich in vielem gar nicht einig. Zudem wird jeder versuchen, den Ministerpräsidenten auf seine Seite zu bringen. Das wird die Regierungsarbeit kaum beflügeln. Beobachter in Rom schliessen nicht aus, dass die neue Regierung schon bald zerbricht.
Salvini, ein Freund Marine Le Pens
Sicher ist, dass beide Vizepräsidenten eine starke Position haben und die Regierungsarbeit entscheidend mitprägen. Italien hat nun also mit Lega-Chef Matteo Salvini einen einflussreichen Vizeministerpräsidenten, der ein Freund von Marine Le Pen, Geert Wilders, Heinz-Christian Strache und der AfD ist. Ausserdem hatte Salvini Kontakte zur griechischen Neonazi-Partei „Goldene Morgenröte“. Auf der anderen Seite steht der 31-jährige Luigi Di Maio, ein eher unbeflecktes Blatt. Zwar ist er Abgeordneter in der Deputiertenkammer, hat aber kaum politische Erfahrung.
Die Arbeit der neuen Regierung beginnt unter einem schlechten Stern. Die Mailänder Börse ist von Conte wenig überzeugt und schloss am Montagabend mit einem Minus von 1,52 Prozent. Der Spread ist auf 189 Punkte gestiegen. Die Wirtschaft fürchtet, dass die teils absurden wirtschaftspolitischen Vorstellungen der neuen Machthaber den zaghaften Aufschwung des Landes wieder bremsen.
Schwammiges Programm
Das Regierungsprogramm, auf das sich die beiden Parteien nach chaotischen Verhandlungstagen doch noch geeinigt haben, ist diffus. Die wichtigen Punkte sind schwammig formuliert. Die heiklen Themen werden mit Floskeln überspielt. Vor allem bleibt unklar, wie die neue Regierung ihr Programm, das unter anderem radikale Steuersenkungen, ein Grundeinkommen und die Rücknahme der Rentenreform vorsieht, finanzieren will. La Repubblica spricht vom „mysteriösesten Pakt“ der Republik.
Offensichtlich ist, dass die beiden Lager zum Teil grundlegend andere Vorstellungen haben. Was die Cinque Stelle und die Lega bisher geeint hat, war der Wille zu regieren. Wie sie gemeinsam regieren werden, muss sich zeigen. Negativ könnte sich ihre völlige Unerfahrenheit in nationalen Belangen auswirken. In der Opposition das grosse Wort zu führen, ist das eine – regieren ist etwas Anderes. Beobachter in Rom schliessen nicht aus, dass es schon bald zu Streitereien zwischen den beiden Polen kommt.
„Spiel mit dem Feuer“
Auch Europa ist in Sorge. Der sehr europakritische Kurs, den die neue Regierung steuern will, könnte die ohnehin geschwächte EU weiter stark belasten. Salvini und Di Maio wollen die Verträge mit der EU neu aushandeln – und vor allem wollen sie mehr Schulden machen. „Das ist ein Spiel mit dem Feuer, weil Italien hochverschuldet ist“, sagte am Montag Manfred Weber, der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei. „Irrationale oder populistische Aktionen könnten eine neue Euro-Krise hervorrufen. Deswegen kann man nur appellieren und sagen: Bleibt im Bereich der Vernunft.“
Zudem will vor allem Salvini mit harter Hand gegen die Migranten vorgehen und einen grossen Teil von ihnen aus dem Land schaffen. Auch die Putin-freundliche Haltung, die die neue Regierung an den Tag legt, wird die europäische Aussenpolitik beeinträchtigen. Gerade in einer Zeit, in der Europa geeint auftreten sollte, wird die EU noch weniger mit einer Stimme sprechen.
Nicht nur eitel Freude
Die neue Regierung verfügt in der grossen Kammer, im Abgeordnetenhaus, über eine satte Mehrheit. Im Senat jedoch beträgt diese Mehrheit nur sieben Stimmen. Da lauert eine Gefahr, denn vor allem die Cinque Stelle sind keineswegs eine homogene Partei. Sie setzt sich zusammen aus teils diffusen linken und rechten Gruppierungen. Sollte die Regierung nicht schnell Erfolge vorweisen, könnte die dünne Mehrheit im Senat rasch bröckeln.
Zwar haben in einer Internet-Abstimmung 94 Prozent der stimmenden Mitglieder der Cinque Stelle für das Bündnis mit der Lega gestimmt. Doch das heisst nicht, dass unter den Sternen eitel Freude herrscht. Nicht einmal ein Drittel der 130’000 eingeschriebenen Wählerinnen und Wähler haben an der Abstimmung teilgenommen.
Unter den Anhängern der Cinque Stelle befinden sich viele „Gutmenschen“, denen die Allianz mit der Lega gar nicht gefällt. Vor allem die wüsten fremdenfeindlichen Ausfälle von Lega-Chef Salvini sind ihnen ein Dorn im Auge. Ausserdem fürchten viele der Sterne-Anhänger, dass ihre Partei von der Lega aufgesogen wird. Jüngste Meinungsumfragen zeigen, dass die Lega zulegt und die Cinque Stelle leicht verlieren.
Krach mit Berlusconi
Auf seine einstigen Bündnispartner kann Salvini nicht mehr zählen. Das Rechtsbündnis ist zerbrochen. Der Streit zwischen dem Lega-Chef und Silvio Berlusconis Forza Italia ist voll ausgebrochen. Man kann Berlusconi viel vorwerfen, aber ein politisches Gespür hat er. Der neuen Regierung gibt er kaum eine Chance. Bei den Wahlen am 4. März waren Berlusconi und Salvini noch gemeinsam in den Wahlkampf gezogen. Jetzt überhäuft Berlusconi den Lega-Chef mit einer Schimpftirade. Auch die postfaschistischen Fratelli d’Italia, die dem rechten Bündnis angehörten, wollen Salvini nicht mehr unterstützen. Noch am Montag versuchte Salvini, die Chefin der Fratelli d’Italia, Giorgia Meloni, ins Boot zu holen – vergebens.
„Jetzt wird die dritte italienische Republik geboren“, prahlte Di Maio am Montagabend. Und Salvini sagte: „Wir wollen unseren Kindern ein besseres, sicheres Land hinterlassen.“ Es dürfe nicht sein, „dass 20 Prozent der Italiener Antidepressiva nehmen, weil sie keine Hoffnung, kein Vertrauen und keine Zukunftsaussichten haben“.
Ob Salvini und Di Maio den Italienern mit ihrer Politik die Hoffnung zurückgeben können, wird sich bald zeigen. Die Italiener sind ein ungeduldiges Volk und verlangen rasche Verbesserungen. Sollten die ausbleiben, wechseln sie schnell das Lager. Und das Hemd.