„Empty pockets“, befiehlt die Dame mit russischem Akzent, bevor der Besucher den Metalldetektor passieren darf, der ihn zum Lift entlässt, welcher ihn innert einer Minute 440 Meter hoch auf die Aussichtsplattform des Burj Khallifa hievt, des höchsten Gebäudes der Welt. Die Order der Russin könnte für alle gelten, die in diesen angenehm warmen Wintertagen Dubai besuchen: „Leert die Taschen, shoppt bis zum Geht-nicht-mehr und lasst alle Hemmungen fahren!“
Servicegebühren statt Steuern
Für die Bewohner des 828 Meter hohen Burj Khalifa ist das Vergnügen derzeit getrübt. Die Besitzerin des Wolkenkratzers, die staatsnahe Immobilienfirma Emaar Properties, droht Wohnungseignern oder deren Mietern, den Zugang zum Lift, zum Pool und zu den Fitnessräumen zu sperren, falls sie die Unterhaltsgebühren, die sich im Falle eines Zwei-Zimmer-Apartments auf 230‘000 Franken im Jahr belaufen, nicht zahlen.Eine Inderin, Besitzerin einer Wohnung im 98. Stock des Turms, klagt der Presse zufolge, es gebe zwar in Dubai keine Steuern, doch dafür würden jedes Jahr die Servicegebühren steigen. Keine schönen Aussichten.
Marketingcredo
Der Burj Khalifa überragt den benachbarten Dubai Mall, das grösste Einkaufszentrum der Welt mit 1200 Länden – inklusive eines Goldsouks, eines Riesenaquariums, eines Unterwasserzoo und einer Kunsteisbahn. Der 2008 eröffnete Konsumtempel mit seinen 17‘000 Parkplätzen zählt täglich 170‘000 Besucher, die sich bis Ende Jahr auf 62 Millionen summieren dürften. Im Buch „iDubai“ hat der amerikanische Fotograf Joel Sternfeld mit der Kamera seines iPhones Dubais Shopper eindrücklich festgehalten: „I do buy“ – Ich shoppe, also bin ich.
Kein Wunder, erinnert das Emirat am Persischen Golf an Las Vegas, das ein Buchautor einst als „den letzten aufrichtigen Flecken auf Erden“ bezeichnet hat, weil es der Spielerstadt in der Wüste Nevadas um nichts anderes geht als ums Geldverdienen um jeden Preis. Um das Kreieren von schönem Schein, das Nähren von Illusionen, das Umsetzen von Träumen. Das Marketingcredo der Glitzerstadt liesse sich auf Dubai übertragen: „What happens in Vegas, stays in Vegas.“ Nur dass Dubais tanzende Fontänen, zur Musik von Puccinis „O mio babbino caro“, vor dem Mall höher in den Himmel schiesssen als jene vor dem „Bellagio“ in Las Vegas.
Hochmut kommt nach dem Fall
In Dubai herrscht nach dem Crash von 2009 erneut Goldgräberstimmung, ist der viel beschworene „Dubai Dream“ wieder wach: Hochmut kommt nach dem Fall. Angesichts der Unsicherheit und der Turbulenzen, die der arabische Frühling kreiert hat, schwappt viel Flucht- und Schwarzgeld in die Stadt. Auf dass es profitabel investiert oder sauber gewaschen werde.
Dass das arabische Erbe ob all des Mammons weitgehend in Vergessenheit gerät, ist ein Preis, den das Emirat zu zahlen gewillt ist. Tradition lässt sich ja, wie alles andere, jederzeit aufwendig inszenieren. Fast hätte Dubai, wäre der Crash nicht gewesen, nach der Insel in Form einer Palme („The Palm“) auch einen Archipel in Form einer Erdkarte („The Word“) aufgeschüttet.
Nur am Dubai Creek, den knatternde Wassertaxis („Abras“) überqueren, ist noch etwas vom Geist zu erahnen, der Dubai einst beseelt hat. Am Ufer des natürlichen Meeresarms liegen, bis zu sechs Reihen tief, die motorisierten Dhaus vertäut, um Konsumgüter aller Art – Autos, Batterien, Fernseher, Gewürze, Kühlschränke, Lebensmittel, Pneus, Shampoo – zu laden und in den Iran, den Jemen oder nach Dschibuti, Eritrea oder Somalia zu verschiffen. Es ist Handel wie in alten Zeiten, über den Indischen Ozean und das Arabische Meer, nicht ungefährlich, Stürmen, Wind und Wellen ausgesetzt.
Zu viel Taschengeld
Es scheint, als hätte das Emirat das olympische Motto „Citius, altius, fortius“ unkritisch verinnerlicht, stets den Umstand vor Augen, dass es seine im Gegensatz zu Abu Dhabi bescheidenen Öleinnahmen mit Geschäftstüchtigkeit und Chuzpe wettmachen muss. Und jene maliziöse Charakterisierung Lügen strafen will, wonach die Bewohner der Emirate am Golf mit Kindergärtlern zu vergleichen seien, die zu viel Taschengeld kriegten.
Der Stadtstaat mit seinen gegen zwei Millionen Einwohnern (wovon lediglich bis zu 15 Prozent Einheimische sind) gleicht einer riesigen Baustelle. Scheinbar ohne Unterlass zieht ein Heer von Bauarbeitern Wolkenkratzer um Wolkenkratzer hoch. Und fast über Nacht entstehen neue Viertel, eines luxuriöser als das andere, mit Apartments, Fünf-Sterne-Hotels und Marinas. Noch in den 50er Jahren hatten lediglich 35‘000 Menschen in Dubai gelebt.
Nach dem Crash
Ein Ende der hektischen Bautätigkeit ist nicht in Sicht, schon gar nicht angesichts des Umstands, dass Dubai 2020 die Weltausstellung beherbergen wird. Dem Vernehmen nach sind Dutzende weiterer Luxushotels in Planung und soll ein noch höherer Wolkenkratzer als der Burj Khalifa gebaut werden. Auch das Schnellstrassennetz, das je nach Tageszeit bereits jetzt schöne Staus produziert, muss wohl ausgebaut werden.
Erweitert wird ferner die Metro, die - seit 2009 in Betrieb - vorwiegend als Hochbahn fährt und deren ferngesteuerte Züge auf zwei Linien verlässlich und fast lautlos funktionieren. Noch im Bau ist schliesslich südwestlich der Stadt ein neuer Grossflughafen, der künftig, durch eine Schnellbahn verbunden, den bestehenden Dubai International Airport (DXB) ergänzen soll.
Tempi passati also das Platzen der Blase, als Dubai plötzlich das Geld ausging, als Grossprojekte abrupt gestoppt und hochfliegende Pläne still auf Eis gelegt wurden. Als Expats das Emirat fluchtartig verliessen und ihre teuren Karossen, Zündschlüssel im Schloss, am Flughafen stehen liessen, weil sich in Dubai strafbar macht, wer Schecks platzen lässt oder Schulden nicht bezahlt.
Die Klassengesellschaft
Die Ausländer sind längst zurück, Glücksritter aus aller Welt, die sich in Dubai zumindest auf Zeit ein Leben leisten können, wie sie es in der Heimat nicht vermöchten. Wofür sie dann gern gewisse Einschränkungen in Kauf nehmen, unter denen die Hitze und die Luftfeuchtigkeit der wärmeren Monate noch die harmloseren sind.
Doch längst nicht alle Expats haben denselben Draht zum „Dubai Dream“. Das Emirat ist eine Klassengesellschaft, eine Pyramide, auf der zuoberst die Einheimischen thronen. Für deren Wohlfahrt sorgt von der Wiege bis zur Bahre Herrscher Scheich Mohammed – im Gegenzug für die stille Toleranz seiner absoluten Macht. Wütende Volksproteste wie in Bahrain, wo jüngst erneut Tausende auf die Strasse gingen, um mehr politische Freiheiten einzufordern, gibt es in Dubai keine.
Unter den Emiratis finden sich auf der Pyramide die gut bezahlten Vertreter vornehmlich westlicher Nationen wieder: Ärzte, Architekten, Banker, Berater, Experten, Ingenieure, Journalisten, Manager, Piloten, Techniker, Tourismusfachleute, d.h. alle jene, die in führender oder unentbehrlicher Position das reibungslose Funktionieren der Stadt garantieren.
Ein bisschen Reue
An der Basis der Pyramide häufen sich die Einwanderer aus Eritrea, Indien, Sri Lanka, Nepal, Pakistan, Afghanistan, Bangladesh, den Philippinen. Sie verdingen sich vor allem als Bauarbeiter, Haus- und Hotelangestellte, Kellner, Strassenkehrer, Taxifahrer und Verkäufer. Wobei Menschenrechtsorganisationen regelmässig an die Lebensbedingungen jener Immigranten erinnern, die für höchstens 200 Dollar im Monat Dubais Strassen bauen und Wolkenkratzer hochziehen – rund um die Uhr, sechs Tage die Woche.
Die Einwanderer aus Südasien wohnen nicht in Villen am Jumeirah Beach, sondern in Lagern am Rande der Stadt, die auf keiner Touristenkarte zu finden sind. Aus Spargründen hausen sie, in engen Zimmern zusammengepfercht, in unansehnlichen Betonbunkern. Eines der verrufensten Lager, eine veritable Stadt, ist Sonapur, wo 300‘000 Bauarbeiter vom indischen Subkontinent untergebracht sind. Sonapur heisst auf Hindi „die Stadt aus Gold“. Jedes Jahr sterben in Dubai, ähnlich wie auf den Baustellen für die Stadien der Fussball-WM in Qatar, Hunderte ausländischer Arbeiter, meistens ohne dass die Ursachen dafür genauer untersucht werden.
Beim plötzlichen Crash vor fünf Jahren half das reichere, aber bodenständigere Abu Dhabi Dubai aus der Klemme, mit Direktzahlungen und Subventionen, die sich angeblich auf 25 Milliarden Dollar beliefen. Die Gegenleistung: Burj Dubai, das Prestigeprojekt des Emirats, wurde zu Ehren des spendablen Herrschers von Abu Dhabi kurzfristig in Burj Khalifa umgetauft. Ein bisschen Reue musste schon sein.
Der Goldautomat
Inzwischen hat sich Abu Dhabi von Dubais Mentalität des „Klotzen, nicht kleckern“ anstecken lassen. Für drei Milliarden Dollar ist das Hotel „Emirates Palace“ gebaut worden, ein Palast mit 362 Zimmern und 1200 Angestellten. Das Palasthotel hat ein separates, dem Arc de Triomphe nachempfundenes Eingangstor für VIPs. Solche können, falls sie wollen, für 15‘000 Franken in einer 680 Quadratmeter grossen „Grand Palace Suite“ übernachten, wobei immerhin das Kinderbett gratis ist.
In der imposanten Eingangshalle des „Emirates Palace“ steht statt eines Bankomaten ein Goldautomat, den zu fotografieren die Besucher selten versäumen. Als hätte ein Etablissement, das unter anderem Champagnerbäder mit Kaviar offeriert und Goldstaub statt Schokostreusel auf seine Cappuccinos streut, noch besonderes Marketing nötig. Allerdings wird es sich künftig noch von Scheich Khalifas neuem Palast abheben müssen, der auch nicht ganz unauffällig in unmittelbarer Nachbarschaft entsteht.
Auf Abu Dhabis Yas Island ist der 5,5 Kilometer lange „Marina Circuit“ gebaut worden, ein hochmoderner Parcours, auf dem seit 2009 mit Erfolg Formel-1 Rennen stattfinden. Und 2017 sollen auf Saadiyat Island eine Dependance des Pariser Louvre sowie ein Ableger des New Yorker Guggenheim ihre Tore öffnen, Prestigebauten von Jean Nouvel und Frank Gehry im Rahmen eines auf 27 Milliarden Dollar veranschlagten Kunst- und Tourismusprojekts. Die Insel mit ihren neuen Museen und Hotels, Stränden und Golfplätzen soll künftig 145‘000 Menschen beherbergen - falls möglich bis zur Weltausstellung 2020. Die Emirate träumen weiter.