Die National Security Agency (NSA) ist eine jener Behörden, die neben dem FBI, der CIA. oder der DIA eine Zutat der „Buchstabensuppe“ des amerikanischen Sicherheitsapparats ist. NSA, so ein Scherz, stehe für „No Such Agency“, d.h. für den Umstand, dass Amerikas grösster Geheimdienst, den Präsident Harry S. Truman 1952 als geheime Abhörorganisation ins Leben rief, lange Zeit offiziell tot geschwiegen worden ist.
Ähnlich wie der NSA. ergeht es derzeit dem Drohnenkrieg, Amerikas jüngster Kampfform im „asymmetrischen Krieg“ gegen Extremisten und Terroristen. In Pakistan ist dafür die CIA zuständig, in Afghanistan, im Jemen, in Somalia und allenfalls bald auch in Mali das Pentagon. Das Weisse Haus hält sich bedeckt, was nähere Angaben zur Kriegsführung betrifft, und beruft sich dabei auf den Gummibegriff nationale Sicherheit.
„Die Politik dahinter bleibt weitgehend geheim, beinhaltet keine Überprüfung durch eine Rechtsinstanz, hat den Tod unschuldiger Zivilisten verursacht, ist weit weg von irgendeinem Schlachtfeld umgesetzt worden und hat tiefsitzende anti-amerikanische Gefühle geweckt in Ländern, in denen wir uns das kaum leisten können“, schreibt David Cole, Professor für Verfassungsrecht an der Georgetown University, in einem Meinungsbeitrag für die „Washington Post“.
"Eigene Bürger im Geheimen töten"
Die grösste Schwäche des Einsatzes von Drohnen, so Cole, sei es jedoch, dass er der amerikanischen Regierung erlaube, „eigene Bürger im Geheimen zu töten, während sie sich gleichzeitig weigert, selbst im Nachhinein zuzugeben, was sie getan hat.“ Der Jurist bezieht sich auf einen Fall im Jemen, wo am 30. September 2011 eine Drohne des Pentagon Anwar al-Awlaki, den Anführer einer mit al-Qaida affiliierten Terrorgruppe, sowie dessen ebenfalls amerikanischen Begleiter getötet hat.
Zu Recht monieren Kritiker Barack Obamas, dass der Präsident eine Politik weiterführe, die in Folge der Anschläge vom 11. September 2001 von seinem Vorgänger initiiert worden war. Doch während liberale Kreise George W. Bush damals für sein Vorgehen im Krieg gegen den Terror attackierten und die geheimen Auslieferungen („renditions“), die Foltermethoden („waterboarding“) oder das Gefangenenlager in Guantanamo anprangerten, ist Barack Obama bisher, was Drohneneinsätze betrifft, von Anschuldigungen aus den eigenen Reihen weitgehend verschont geblieben.
„Der Horror, der Horror: Die Auslieferungen und die härteren Verhörtechniken und, ja, auch die rund 50 Drohnenattacken während Bushs Amtszeit mutierten in den Augen der Liberalen zu einer Materie nationaler Schande“, schreibt der konservative Nahost-Experte Fouad Ajami von der Stanford University: „Ein aufsteigender Politiker der demokratischen Partei, ein früherer Lehrer für Verfassungsrecht an der Universität Chicago surfte diese Welle der Empörung bis auf den Scheitelpunkt politischer Macht. Er posierte als Moralist.“
3'500 Drohnen-Tote? Oder 1'210?
Bis ein junger Nigerianer namens Umar Farouk Abdulmutallab, ein Schüler Anwar al-Awalakis, an Weinachten 2009 über Detroit beinahe ein Flugzeug in die Luft gejagt hätte – mit Sprengstoff, der in seine Unterhose eingenäht war. „Das war der Abschied von einer Aussenpolitik des Kumbaya“, folgert Ajami: „Die Welt war plötzlich ein bedrohlicher Ort geworden.“ In der Tat hätte ein zweiter Terroranschlag nach 9/11 auf amerikanischem Territorium Barack Obama wohl schwer geschadet, da ihm die Verantwortung dafür angelastet worden wäre.
Laut Micah Zenko, einem Mitarbeiter des renommierten „Council on Foreign Relations“, sind seit Beginn des Drohnenkrieges im Jahr 2002 bei 420 Angriffen rund 3‘500 Menschen getötet worden, ohne dass es dazu im US-Kongress auch nur eine einzige Anhörung gegeben hätte. Und noch im Juni 2011 konnte Präsident Obama unwidersprochen behaupten, US-Drohnen hätten bis dato keinen einzigen Zivilisten getötet.
Laut einer Studie der „New America Foundation“ haben die USA zwischen 2004 und 2010 insgesamt 114 Drohnenattacken geflogen. Bei diesen Luftangriffen sollen zwischen 830 und 1‘210 Menschen getötet worden sein. Rund zwei Drittel der Toten waren nach Meinung der liberalen Washingtoner Denkfabrik Militante, der Rest Zivilisten.
Widerspruch zum Kriegsrecht
Das Bureau of Investigative Journalism, das Nachrichten über den Drohnenkrieg sammelt, schätzt, dass es in Pakistan seit 2004 rund 300, im Jemen seit 2002 zwischen 40 und 50 und in Somalia seit 2007 zwischen drei und neun amerikanische Drohnenschläge gegeben hat. Die Londoner Institution zählt zwischen 3000 und 4500 Opfer. Überprüfen lassen sich solche Zahlen nicht; Weisse Haus, Pentagon und CIA schweigen beharrlich.
Wobei die US-Regierung, soviel ist bekannt, der Einfachheit halber alle Männer im wehrfähigen Alter, die sich im Zielgebiet eines Angriffs aufhalten, als feindliche Kämpfer einstuft, es sei denn, ihre Unschuld werde posthum bewiesen. Ein solches Vorgehen widerspricht Kriegsrecht, wonach einzelne nicht näher identifizierte Personen im Zweifelsfall aus Zivilisten anzusehen sind.
Zwar gibt es, wie der Fernsehsender NBC unlängst enthüllt hat, ein geheimes Memorandum des US-Justizministeriums, das festlegt, wann der Präsident oder ein „gut informierter, hochrangiger Beamter“ die gezielte Tötung eines amerikanischen Staatsbürgers befehlen darf, ohne dass dieser zuvor angeklagt, angehört oder verurteilt worden ist.
Problematisch sind vor allem zwei Schlüsselbegriffe des 16-seitigen Papiers. Zum einen hält das Memorandum fest, dass Tötungen lediglich im Falle einer „unmittelbar bevorstehenden Bedrohung“ erlaubt seien. „Unmittelbarkeit“ (Engl.: „imminence“) wird dabei jedoch so schwammig definiert, dass das Kriterium praktisch keines mehr ist
Das Papier hält zudem fest, dass die Tötung eines Terrorverdächtigen zum Zweck der Selbstverteidigung nur erlaubt ist, falls dessen Festnahme nicht möglich ist. Die Rede ist hier von „Machbarkeit einer Festnahme“ (Engl.: „feasibility of capture“). In Realität aber hat Barack Obama Hunderte von Verdächtigen gezielt töten lassen, während es nur selten zu Festnahmen kommt.
Entgegen amerikanischer Rechtstradition
Der Einsatz von Drohnen birgt zweifellos weniger Risiken als eine bemannte Militäraktion in feindlicher Umgebung.
Als George W. Bush 2002 den Drohnenkrieg initiierte, gerieten in erster Linie hochrangige und eindeutig identifizierte Führer von al-Qaida ins Visier der fliegenden Killer. Doch im Gegensatz zu solchen „personality strikes“ lässt Barack Obamas Einsatzdoktrin auch sogenannte „signature strikes“ zu. Für ein anonymes Opfer genügt es, sich wie ein Verdächtiger zu bewegen oder zu verhalten, um anvisiert zu werden. Wobei nicht definiert wird, welche Verhaltensmerkmale für ein Todesurteil ausreichen.
Angesichts dieser Ungereimtheiten mehren sich in Amerika Stimmen, die fordern, das Drohnenprogramm sei der Aufsicht eines Sondergerichts zu unterstellen. Ein solches würde dem 1978 gegründeten „Foreign Intelligence Surveillance Court“ ähneln, einem Gremium, welches das Abhören von Terrorverdächtigen oder das Durchsuchen derer Domizile bewilligen muss. Es gehe nicht an, argumentieren die Kritiker, dass die US-Regierung gleichzeitig als Strafverfolger, Richter, Geschworener und Scharfrichter agiere. Solches Verhalten widerspreche amerikanischer Rechtstradition.
Falls die Exekutive Beweise habe, dass ein Individuum eine Gefahr für die Vereinigten Staaten darstelle, müsse sie diese erst einem Gericht vorlegen, bevor der Verdächtige auf eine Tötungsliste („kill list“) komme, fordert etwa ein Leitartikler der „New York Times“. Das geheime Gericht wäre sodann auch vom Kongress zu beaufsichtigen. Die Richter müssten aber nicht einzelne „kills“ absegnen; dieser Entschied wäre nach wie vor der Regierung überlassen.
"Noch sind wir einzigen, die über diese Technik verfügen"
Unter Umständen ginge von einem solchen Gremium eine Präventivwirkung aus. Als es im jüngsten Präsidentschaftswahlkampf für kurze Zeit so aussah, als ob Barack Obama gegen Mitt Romney verlieren könnte, liess das Weisse Haus einem Medienbericht zufolge in aller Eile Regeln ausarbeiten, die definierten, wann ein Präsident gezielte Tötungen befehlen dürfe. Doch die guten Vorsätze in Richtung mehr Transparenz sind in Washington inzwischen wieder vergessen gegangen. Trotzdem hat das Pentagon vor kurzem angekündigt, dass in Zukunft auch Drohnenpiloten und Computerexperten militärische Auszeichnungen sollen erhalten können. Drohnenpiloten, so der abtretende Verteidigungsminister Leon E. Panetta, würden zwar nicht wie Soldaten an der Front direkt ihr Leben riskieren. Sie würden aber mithelfen, „den Feind vom Schlachtfeld zu entfernen“, auch wenn diese Aktionen fern vom eigentlichen Kampfgebiet stattfänden.
Am Ende gilt es zu bedenken, dass die USA nicht mehr lange die einzige Nation bleiben dürften, die über effiziente Kampfdrohnen verfügt. „Wir sind, was Drohnen betrifft, in derselben Lage, wie wir es 1945 mit Atomwaffen waren“, schreibt David Remnick: „Noch sind wir die einzigen, die über diese Technik verfügen, welche die Moral, die Psychologie und die Strategie der Kriegsführung auf Jahre hinaus verändern wird.“
Doch sei es, warnt der Chefredaktor des „New Yorker“, unvermeidlich, dass auch andere Länder (einschliesslich solcher, die den USA feindlich gesinnt sind) eines Tages Killerdrohnen einsetzen würden: „Was dann? Wir wollen zwei Fliegen auf einen Schlag: einerseits Terroristen loswerden, ohne wie bisher in den Krieg zu ziehen, und anderseits nicht über die Konsequenzen unseres Tuns nachdenken müssen.“
Denkbar wäre zum Beispiel, so Autor Steve Coll, dass die Russen oder die Chinesen in 25 oder 30 Jahren Drohnen nach ähnlichen Rechtsgrundsätzen einzusetzen beginnen wie die USA, und zwar zu einer Zeit, in der unbemannte Flugobjekte schneller, leiser sowie leichter zu lenken sein werden und weiter werden fliegen können: „Nehmen wir mal an – obwohl es wenig wahrscheinlich klingt –, dass die Kommunistische Partei Chinas dannzumal noch immer eine autoritäre Regierung mit Gewaltmonopol in Peking ist und zum Schluss kommt, Dissidenten in den USA planten den Umsturz der chinesischen Regierung…folglich habe China das Recht, zur Verteidigung seiner nationalen Sicherheit Drohnen über amerikanischem Territorium aufsteigen zu lassen und die Verschwörer zu töten, bevor sie ihre Pläne in die Tat umsetzen können.“
Quellen: “The New York Times“; „The Washington Post“; „The New Yorker“; „The Daily Beast“; „Bloomberg“