Wie überall in der islamischen Welt öffnet sich ein Riss innerhalb des Widerstandes zwischen den Islamisten (das heisst Befürwortern eines «Islamischen Staates» unter der Scharia) und den Anhängern eines nicht religiös gebundenen Staates, die man die Säkularisten nennt.
Weil es sich in Syrien um einen kämpfenden Widerstand handelt, sind sowohl die Islamisten wie auch die Säkularisten bewaffnet, und beide kämpfen gegen die Regierungsarmee Asads. Doch es gibt immer mehr Anzeichen dafür, dass auch sie einander feindlich gegenüberstehen und sich gelegentlich Kämpfe liefern.
Politischer Mord an FSA-Offizier
Eine vielbeachtete Episode spielte sich am 10. Juli nahe der türkischen Grenze nördlich von Lattakiya ab. Dort gibt es Gebiete, die sich in den Händen des Widerstands befinden. Kamel Hamami, ein hoher Offizier der Freien Syrischen Armee (FSA) die zu den säkularistischen Kräften gehört, begab sich dorthin, offenbar aus der Türkei. Er soll den Berichten nach für Besprechungen unterwegs gewesen sein. An einer von Islamisten kontrollierten Strassensperre wurde er aufgehalten und dort zusammen mit seinem Bruder ermordet.
Die FSA Sprecher sagten, der Chef der dortigen Islamisten, Abu Ayman al Baghdadi, habe ihn persönlich erschossen. Er habe auch einen seiner Begleiter zurückgesandt mit der Botschaft, die Leute der FSA hätten in seinem Gebiet nichts zu suchen, und er gedenke all ihre leitenden Offiziere umzubringen, wenn er ihrer habhaft werde.
Die Offiziere der FSA erklärten daraufhin, dies sei eine Kriegserklärung, und sie gelobten an den Tätern Rache zu üben. Von Seiten der Islamisten wurde all dies nicht bestätigt. Doch ist unwahrscheinlich, dass ihre Gegner diese Berichte erfunden hätten, die eher einen Rückschlag als einen Erfolg für ihre Seite bedeuten.
Kämpfe um Herrschaftsgebiete
Zusammenstösse zwischen Kämpfern der FSA und jenen der Islamisten sollen auch in Aleppo vorgekommen sein sowie mehrmals in der Jazira, das heisst den weiten Gebieten jenseits des Euphrats. Es gibt ausführliche Berichte darüber, dass die islamistischen Kämpfer, die bisher unter dem Namen Nusra-Front operierten, sich neuerdings «Islamischer Staat in der Levante» nennen, dass sie ferner in Ortschaften, die sie dominieren, eine Art von Zivilverwaltung einzuführen versuchen, deren wichtigste Funktionäre Richter sind, die nach der Scharia Recht sprechen und für Rechtlichkeit sorgen sollen. Das heisst, sie gehen dazu über, den «islamischen Staat», so wie er ihnen vorschwebt, wenigstens in groben Zügen und einzelnen Kleingebieten zu verwirklichen. Die Säkularisten der FSA wollen sie offenbar aus «ihren» Gebieten fernhalten.
Die islamistischen Kämpfer werden angewiesen, nicht zu plündern und alle Beute, die sie machen, sowie Steuern, die sie einziehen, in einen zentrales «Schatzhaus der Gläubigen» einzuliefern. Dort soll es für den entstehenden Staat verwendet werden. Die Bevölkerung soll, soweit berichtet wird, gelegentlich über die hohen Steuern klagen und sich auch über mangelnde Freiheit beschweren. Doch wird auch berichtet, für viele sei es am wichtigsten, dass es unter den Islamisten wieder eine Art von Justiz gebe, sogar wenn es das harte Recht der Scharia sei.
Den Gruppen, die sich zur FSA zugehörig erklären, wird von der Bevölkerung vorgeworfen, sie neigten zu Plünderungen und zu Erpressungen. Solche kommen zweifellos vor. Es ist aber nie sehr klar, welche Gruppe zur FSA gehört und welche nicht. In der Praxis kann sich eine jede Gruppierung, auch solche, die aus Verbrechern bestehen, als ein Teil der FSA deklarieren. Ihre Chefs, die von der türkischen Grenze aus wirken, haben nicht viele Möglichkeiten, solche Einheiten zu kontrollieren oder sie gar aus ihrem Verband auszuschliessen. Die Islamistengruppen hingegen kontrollieren ihre Kämpfer direkt und versuchen sie zu disziplinieren.
Naturschätze der Jazira
In der Jazira gibt es Erdöl- und Erdgasvorkommen, die einzigen Syriens. Einige davon befinden sich in Händen der Islamisten und werden von ihnen ausgebeutet. Die Erträge dürften über Mittelsleute nach der Türkei exportiert oder geschmuggelt werden, soweit sie nicht in der Jazira selbst Verwendung finden.
Doch im Norden der Jazira haben die syrischen Kampfverbände mit den Kurden zu rechnen, die ihre eigenen Milizen besitzen. Zusammenstösse mit ihnen kommen ebenfalls vor. Die FSA hatte zeitweise einen Waffenstillstand mit den Kurden, der diesen die Herrschaft über ihre eigenen Wohngebiete zuerkannte. Doch die Islamisten suchen ihrerseits Herrschaftsgebiete zu festigen und auszudehnen. Dabei geht es natürlich oft um den Besitz von Erdöl und Erdgas.
Auch in der Provinz Idlib, deren Dörfer weitgehend von den Aufständischen beherrscht werden, soll es improvisierte Schariagerichte geben. Es kam dort zu Zusammenstössen mit Gruppen, die zur FSA halten.
«Freunde Syriens» fördern die Spaltung
Man hat anzunehmen, dass sich die Spannungen zwischen der FSA und den islamistischen Kämpfern in dem Masse steigern, in dem die Amerikaner und einige europäische Staaten den Aufständischen Waffen versprechen oder bereits liefern. Die Geber bestehen bekanntlich darauf, dass die Waffen an Gruppen gehen, die Garantien dafür bieten, diese nicht an die islamistischen Gruppen weiterzugegeben oder weiterzuverkaufen.
Die Amerikaner versuchen auch in Saudiarabien und Qatar dahin zu wirken, dass diese arabischen Lieferanten des Widerstands das gleiche tun. Die Leute der FSA werden ihrerseits aufgefordert, möglichst deutlich von den Islamisten Abstand zu nehmen. In der Vergangenheit gab es in bestimmten Fällen gemeinsame Aktionen beider Gruppen von Kämpfern. Sie wurden von Fall zu Fall zwischen den Führern im Feld vereinbart. Doch dies dürfte nun zu Ende sein, sowohl der bestehenden Rivalitäten halber wie auch besonders der versprochenen Waffenlieferungen wegen.
Immer noch gelten die Islamisten als die besten Kämpfer unter den Rebellen, sowohl ihrer inneren Disziplin wie auch ihrer Opferbereitschaft wegen. Sie sollen auch die besten Waffen und die reichsten Geldquellen besitzen. Viele ihrer Gelder gehen auf private Spenden aus den Golfländern zurück. Ihre Vorstellungen dessen, was sie zu erringen suchen, sind klarer als jene ihrer Rivalen säkularer Gesinnung. Sie unterstehen nicht, wie die Säkularisten, einer innerlich tief gespaltenen und zerstrittenen Exilregierung, die innerhalb Syriens wenig Autorität besitzt.
Streit über die Qaida-Affiliation
Allerdings kennen auch sie Spaltungen. Die Islamisten sind in den letzten Monaten der Qaida-Führung näher gerückt. Ayman az-Zawahiri, der heutige Chef von Qaida, hat sie dafür ausdrücklich gelobt. Die Nusra-Front hat erklärt, sie unterstelle sich der zentralen Führung der Qaida. Was allerdings «Qaida im Irak», von welcher die Nusra-Front abstammt, offenbar nicht ohne Widerspruch hinnahm. Es soll nun eine «Qaida in Syrien» geben, als deren Chef Osama al-Tunisi gilt; aber auch eine «Qaida im Irak und in ash-Sham» (Sham ist eine arabische Bezeichnung für Damaskus und ganz Syrien), die von Abu Bakr al-Baghdadi kommandiert wird.
Die Nusra-Front gehört zu der ersten Formation. Doch die meisten der ausländischen Jihadkämpfer, angeblich 80 Prozent von ihnen, sollen sich der zweiten angeschlossen haben. Diese Kämpfer kommen aus Tunesien, Libyen und anderen arabischen Staaten. Doch soll es nun auch solche aus Pakistan geben, die von den pakistanischen Taliban ausgesandt worden seien, wie diese mitteilten. Einige wenige kamen offenbar auch aus Europa.
Damaskus gewinnt Gelände
Während sich all diese die Rivalitäten unter den Aufständischen offenbar steigern, behält die syrische Armee weiter die Initiative. Es misslang ihr, nach dem Fall von Qussair bis Aleppo vorzustossen, wie sie das zuerst versucht hatte, weil die Rebellen in einigen der zerschossenen Stadtteile von Homs, das heisst im Rücken des geplanten Vorstosses, wieder aktiv wurden und den Nachschub nach Norden bedrohten. Die Armee sah sich gezwungen, zuerst gegen Homs vorzugehen und sogar Einheiten aus den von den Regierung beherrschten Teilen Aleppos Richtung Homs abzuziehen.
In Homs spielen sich seit fast zwei Wochen sehr zähe Kämpfe ab. Die Armee beschiesst tagelang ein von ihren Feinden dominiertes Quartier nach dem anderen. Wenn es ganz zusammengeschossen ist, suchen die Truppen Strasse um Strasse zu «reinigen». Zivilisten dürfte es in diesen zertrümmerten Vierteln nur noch ganz wenige geben.
Fragwürdige Strategie der Amerikaner
Das Programm der amerikanischen Administration, den Rebellen mehr als die «defensiv» genannten Waffen zu liefern, wird im Kongress aufgehalten. Die Parlamentarier fordern mehr Einzelheiten darüber und melden Bedenken an, die gewiss gerechtfertigt sind. Es besteht die Frage, inwieweit die gelieferten Waffen Gefahr laufen, in die Hände der Islamisten zu fallen, und es gibt auch grundsätzliche Einwände gegen eine Politik der Administration, die versucht, beide Seiten im Bürgerkrieg nicht verlieren zu lassen, in der Hoffnung, dass beide schlussendlich einsehen, dass sie miteinander verhandeln müssten.
Diese amerikanische Strategie verlängert den Krieg und bewirkt auch, dass jene Seite, die Überlebenshilfe von aussen erhält, zunächst hofft, sie könne siegen und sich nicht verlasst sieht, zu verhandeln.
Die syrische Regierung erhält Hilfe von Russen, Iranern und schiitischen Aktivisten aus Libanon und dem Irak, der Widerstand aus dem Westen und von Schiiten der sunnitischen Golfstaaten. Beide Seiten werden dadurch ermutigt, ihren Kampf fortzuführen. Die Grundidee, dass sie durch die lange Dauer des Krieges ermüden und zum Verhandeln gezwungen werden könnten, geht nur auf, wenn beide Seiten der Aussenmächte ihre Unterstützung reduzieren, so dass beide Seiten in Syrien gleichzeitig geschwächt werden.
Sie kommt nicht zum Tragen, wenn das Gegenteil geschieht, nämlich dass beide Seiten ihre Unterstützung für ihre Partei im Bürgerkrieg steigern. Sie geht auch nicht auf, wenn die eine Seite der Aussenmächte, zum Beispiel Russland und Iran, ihre Unterstützung ihres Partners steigert und dadurch die Gegenseite vor die Wahl stellt, entweder aufzugeben oder ihre Hilfe an die Gegenseite ebenfalls hochzuschrauben.
Aufsplitterung der Rebellen
Die wachsende Spaltung innerhalb des syrischen Widerstandes kompliziert diese Lage noch weiter. Sie führt auf einen Krieg im Kriege innerhalb des Lagers der Aufständischen hin. Beide Seiten wissen und sagen schon heute, wenn einmal Asad zu Fall kommen werde, müssten sie untereinander ausfechten, welches Regime nach ihm in Syrien zur Macht gelange, ein islamistisches oder ein säkulares. Doch es ist ungewiss, ob diese Auseinandersetzung wirklich erst nach dem erwarteten Sturz von Asad ausbrechen wird. In kleinen Zügen ist sie schon heute da, und sie könnte natürlich durchaus dazu beitragen, dass Asad sich am Ende gegen eine gespaltene Rebellion an der Macht halten kann.