Für den 11. April war eine Session der Obersten Volksversammlung in Pjöngjang einberufen. Offenbar ist das Powwow der 687 Delegierten auf später verschoben worden. Doch am 12. April tagte, wie die parteiamtliche Zentrale Koreanische Nachrichten-Agentur (KCNA) berichtet, das Politbüro der allmächtigen Koreanischen Arbeiterpartei. Auffällig an den publizierten Photos: Keines der Politbüro-Mitglieder trägt einen Mundschutz, ebensowenig der „Junge Marschall“ und oberste Landesvater Kim Jong-un. Das ist wenig erstaunlich. Anfangs April sagte Pak Myong Su – Direktor des Zentralen Anti-Epidemie-Hauptquartiers – in einer offiziellen Mitteilung aus Pjöngjang: „Nicht eine einzige Person in unserem Land ist mit dem neuen Corona-Virus infiziert.“
Grenzen abgeriegelt
Im Ausland und besonders im benachbarten Südkorea mit über 10’000 Fällen wird das mit Erstaunen, ja Unglauben aufgenommen. Nordkoreanischen Militäreinheiten, berichtet eine südkoreanische Zeitung ohne Angabe präziser Quellen, seien vom Virus hart betroffen. Trotz weitgehendem nordkoreanischem Informations-Blackout in den ersten drei Monaten des Jahres – mit Ausnahme natürlich der Raketentests – steht fest, dass Nordkorea schon sehr früh drastische Massnahmen ergriffen hat. Die Grenzen zu China und Russland wurden im Januar hermetisch abgeriegelt sowohl für Menschen als auch für die meisten Handelsgüter. China ist der grösste Handelspartner und liefert über 90 Prozent aller Güter. Auch der Schmuggel über den Yalu-Fluss nach China, meist stillschweigend geduldet, ist nach Berichten aus China fast völlig zum Erliegen gekommen. Nach unbestätigten Berichten sollen ganze Städte mit einem Ausgehverbot belegt worden sein. Nach von Nordkorea bestätigten Nachrichten mussten sich Hunderte von Menschen in Quarantäne begeben.
Skandal
Sicher ist, dass die weltweite Virus-Krise Nordkorea hart trifft. Zwar gibt es gut ausgebildete Ärzte und kompetentes Krankenhauspersonal, doch wegen der Wirtschaftssanktionen gibt es kaum Medikamente, Schutzanzüge, Atemmasken und noch viel weniger Beatmungsgeräte. Und dass – dies sei am Rande vermerkt – in der Schweiz mit einem der besten und teuersten Gesundheitssysteme der Welt schon nach drei Wochen Spitäler klagen, zu wenig Schutzanzüge und Masken zu haben und knapp an Medikamenten zu sein, ist angesichts der Lage in Nordkorea ein Skandal. Was, sollte man den Bundesarzt Koch fragen, hat denn das Bundesamt für Gesundheit in den letzten Wochen, Monaten, ja Jahren überhaupt getan. Es gab im Übrigen schon früh im letzten Jahr von amerikanischen und chinesischen Wissenschaftlern begründete Hinweise auf eine mögliche Corona-Epidemie in naher oder fernerer Zukunft.
Wirtschaft hart betroffen
In Nordkorea mit seinem desolaten Gesundheitssystem und noch immer weitverbreiteter Unter- und Mangelernährung ist die Covid-19-Krankheit eine noch viel tödlichere Gefahr als anderswo. Pjöngjang hat denn auch um internationale Hilfe gebeten. Russland schickte 1’500 Tests zur Corona-Diagnose, die Weltgesundheits-Organisation WHO überwies vorerst 900’000 Dollar. Sogar US-Präsident Trump bot Kim Jong-un in einem Brief grosszügige Hilfe an.
Bislang konnten für das 25-Millionen-Volk bis zum 4. April 1’000 Tests durchgeführt werden. Zum Vergleich: Südkorea mit einer doppelt so grossen Bevölkerung hat 420’000 Menschen getestet. Über 20’000 Menschen sind nach offiziellen nordkoreanischen Angaben aus der Quarantäne entlassen worden. Die Zentrale Nordkoreanische Nachrichten-Agentur (KCNA) berichtet nun, dass das Virus Hindernisse bei der Bemühung für den Aufbau der Wirtschaft geschaffen habe. Tourismus, einer der wenigen Bereiche, der nicht von den Uno-Sanktionen betroffen ist, ist auf Null zusammengebrochen. 2019 noch besuchten 360’000 Chinesinnen und Chinesen das Land.
Stabile Situation
KCNA umschreibt den Kampf gegen das Virus so: „Nordkorea hat eine sehr stabile Situation aufrechterhalten … dank der strikten, erstklassigen Anti-Epidemie-Notfallmassnahmen und dank der fortdauernden und obligatorischen Schutzmassnahmen.“ Eine Sitzung des Politbüros, des obersten Organs der Koreanischen Arbeiterpartei, unterstreicht nun die Notwendigkeit von noch strikteren und durchgreifenderen Massnahmen im Kampf gegen das Virus. In einer Resolution wird „für noch stärkere Massnahmen zum Schutz von Leben und Sicherheit für unser Volk im Kampf gegen die epidemische Krankheit“ eingetreten. Doch die Resolution enthält auch Ziele über Corona hinaus, nämlich die „kontinuierliche Intensivierung der landesweiten anti-epidemischen Notfall-Dienste“, den weiteren Wirtschaftsaufbau, den „Aufbau der nationalen Verteidigungs-Fähigkeit“ sowie die „Stabilisierung der Existenzgrundlage des Volkes“.
Demokratie bis Diktatur
Vielleicht sind null Corona-Fälle in Nordkorea unrealistisch und Propaganda. Doch das schnelle Eingreifen ist gewiss ein Hinweis darauf, dass das Virus einigermassen unter Kontrolle sein könnte. Für das nordkoreanische Volk ist das zu hoffen, denn mit dem durch Sanktionen gebeutelten Gesundheitssystem hätte ein unkontrolliertes Virus dramatische, apokalyptische Folgen. Ähnlich früh eingegriffen haben beispielshalber auch Taiwan, Singapur oder Usbekistan. Mit Erfolg. Daran kann gezeigt werden, dass im Kampf gegen das neuartige Corona-Virus unabhängig von der politischen Regierungsform Erfolg möglich ist. Taiwan ist eine Demokratie, Singapur eine Halb-Demokratie, Usbekistan oder China haben autoritäre Regierungen und Nordkorea ist eine Diktatur. Die viel gestellte Frage, ob denn eine Demokratie oder ein autoritäres Regime besser sei im Anti-Corona-Kampf, fällt damit dahin. Internationale Zusammenarbeit ist geboten. Heute und morgen.