Alles begann ganz harmlos. Als Google 1998 mit buntem Schriftzug und Suchfeld auf den Bildschirmen erschien, war Google wirklich cool. Nach wenigen Jahren Netzpraxis war es das, was man erfinden musste, um sich im Labyrinth des Webs zurechtzufinden. Wer Google brauchte, verstand sich damals gar als Pionier. "Don't be evil", der gutgläubige Leitspruch zweier kreativer Studenten, hatte sich noch nicht in den Albtraum von heute verwandelt. Erst als die unsägliche Datenmüllerei begann, schlichen sich erste Zweifel ein. Ein "Geschäftsmodell" entstand, viele andere folgten. Der vorläufige Höhepunkt ist Google Glass. Sollte sich das Tool durchsetzen, steht der Totalüberwachung der Individuen, welche die Brille tragen und denen, die diesen begegnen, nichts mehr im Wege. Per Gesichtserkennung werden auf den Google-Servern abstrakte Daten zu konkreten Bildern und zu lückenlosen Personenprofilen verknüpft werden.
Von Google bis Postfinance schnüffeln alle in unserem Privatleben
Natürlich ist Google nicht allein: Facebook, Twitter, Amazon, Bing, Päng und Zing und wie sie alle heissen mögen, folgen dem lukrativen Geschäftsmodell, - übrigens auch Apple mit etwas höheren Standards. Und darin liegt der zweite Grund zur Sorge: die Vorbildfunktion eines Unternehmens, das immer unverschämter alle ethischen Standards niederreisst. Der Darth Vader der Firma, Eric Schmidt, hat seine naiven Schützlinge ganz schön von der ursprünglichen Idee weg geführt. Schnüffeln und Daten horten, Fichen sammeln, Profile von Individuen erstellen und verkaufen wurde unter ihm zum neuen Tagesgeschäft, das die Amerikaner offenbar mit einem Schulterzucken akzeptieren. Innovation ist für sie eh ein Wort für das, was mehr und noch mehr Geld bringt. Selbst unsere biedere Postfinance will jetzt ein bisschen wie das grosse Vorbild werden und schnüffelt neuerdings in unseren privaten finanziellen Angelegenheiten herum, natürlich "völlig anonymisiert".
Die "Hysterie" der Kritiker
Unterdessen tobt ein Stellungskrieg zwischen denen, welche das Datensammeln der Geldmaschine Google und Konsorten einfach genial finden und denen, welche das Schnüffel-Monopol und die Macht von Google unerträglich erleben. Stellvertretend stehen dafür die Neue Zürcher Zeitung und der Tagesanzeiger. Während in der NZZ - wie nicht anders zu erwarten - der freie Markt gepredigt wird und Googles wirtschaftlicher Erfolg alles rechtfertigt, erschienen im TA kritische Artikel zu der Suchmaschine und anderen Organisationen, die persönliche und vertrauliche Daten anhäufen (je 4 Artikel in den vergangenen 2 Monaten).
Ein Beispiel: ein Justus Haucap (Direktor des Düsseldorfer Instituts für Wettbewerbsökonomie) kritisiert besonders deutsche Minister und Intellektuelle und schreibt in der NZZ (17.9.14): "...unterstützt wird das Gejammer über den durch das Internet ausgelösten Strukturwandel in Medien und Handel von dem intellektuellen Geschwätz über das Ende von Freiheit und Selbstbestimmung und die Zukunft der digitalen Welt voller von amerikanischen Konzernen fremdbestimmter Menschen. Das Verhältnis von medialer Hysterie und Erregung zu sachlicher Analyse tendiert in der Öffentlichkeit in diesen Fragen gegen unendlich."
Die Sensibilität der Deutschen für Datensammler
Ist es Hysterie, wenn vor allem Deutsche es unheimlich finden und besorgt darüber sind, dass private Konzerne Fichen über jedermann erstellen, welche die Karteikästen der Stasi und der Gestapo an Akkuratesse und schnellem Zugriff bei weitem übertreffen? Und dass diese Firmen auch nicht zimperlich sind, wenn es darum geht der NSA Daten zu liefern. Es entbehrt nicht der Ironie, dass Apples brillanter Werbespot "1984" von Ridley Scott, der sich ursprünglich gegen IBM wandte, auf die cloudbesessene Firma selbst zurückfällt. "Big brother is watching you" ist unterdessen bittere Realität und in wenigen Jahren dank "freier" Marktwirtschaft, Naivität der User und fehlender Kontrolle nahezu zur Perfektion entwickelt worden. Was es heisst zum Opfer des Google- und Facebook-Denkens zu werden, schildert im übrigen eindrücklich der Roman "The Circle" von Dave Eggers (Deutsch 2014).
Da die Europäer den Amerikanern die dort fast gänzlich fehlenden Datenschutzgesetze nicht vorschreiben können, halten sie sich vernünftigerweise an den Comment und die Gesetze im eigenen Bereich. Und eine der Möglichkeiten, die Europäer (und Schweizer) haben, ist die strikte Anwendung der Datenschutz-, der Kartell- und der Gesetze über den unlauteren Wettbewerb. Das ist zwar ein Eingriff in die "freie" Marktwirtschaft - oh Schreck! -, bietet aber wenigstens einen minimalen Schutz vor dem Angriff der mächtigen Konzerne auf die Integrität der Individuen.
Googles Griff nach der Biotechnik
Die bunte Google-Welt, die in Zürich ihren europäischen Hauptsitz hat, entwickelte in den vergangenen Jahren fragwürdige Geschäftsmodelle. Man kann davon ausgehen, dass dies durch viele ehrenwerte, aber wohl auch arglose Leute geschah. Larry Page und Sergey Brin, die netten Kerle von nebenan, wussten wohl am Anfang nicht, welche Pandorabüchse sie mit ihrer Erfindung in die Welt setzen würden. Ihren Leitspruch "Don't be evil" wäre deshalb mit der Umkehrung eines Zitats aus einem altmodischen Buch zu begegnen: "Ich bin die Kraft, die stets das Gute will und stets das Böse schafft" (frei nach Mephisto in Goethes Faust). Unter dieser Perspektive ist auch die Gründung des Biotech-Unternehmens "Calico" durch Google zu sehen. Zwar versichert Larry Page, dass es sich um ein Unternehmen "mit dem Fokus auf Gesundheit, Wohlbefinden und Langlebigkeit" handle. Nach den bisherigen Erfahrungen mit Google und Konsorten ist es wohl angebracht, dieses biotechnische Unternehmen besonders genau zu beobachten.
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