In der Assoziation Südostasiatischer Staaten ASEAN arbeiten Länder seit Jahren eng zusammen. In den 1960er Jahren als antikommunistisches Bündnis während des amerikanischen Vietnamkrieges gegründet, sind die mittlerweile zehn Mitgliedstaaten neutral, mischen sich einzeln weder in die Angelegenheiten anderer Mitgliedländer ein, noch beziehen sie Stellung als ASEAN-Gemeinschaft. Sie arbeiten, immer im Konsens, lediglich wirtschaftlich zusammen. So gibt es etwa die ASEAN-Freihandelszone oder die ASEAN-Investment-Area für gegenseitige Direktinvestitionen. Daneben gibt es zum Thema Sicherheit das ASEAN-Regionalforum. Das sind durchaus pragmatische Lösungen, denn die zehn Mitglieder könnten unterschiedlicher nicht sein.
Unterschiede
Von der Grösse her zum Beispiel: Vom Sultanat Brunei mit 460’000 Einwohnern über Laos mit 7,5 Millionen oder Malaysia mit 33 Millionen bis hin zu Vietnam mit 99 Millionen oder Indonesien mit 270 Millionen. Die ASEAN-Gemeinschaft mit über 600 Millionen Menschen übertrifft die EU mit ihren rund 500 Millionen also klar. Aber es gibt nicht nur Grössenunterschiede. Auch die wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und zumal die religiösen und politischen Unterschiede sind enorm. Vietnam und Laos etwa werden von kommunistischen Parteien regiert. Die Philippinen und Indonesien wiederum sind mittlerweile richtige Demokratien. Myanmar, Singapur, Malaysia oder Thailand hingegen sind allenfalls autoritär mit demokratischem Ansatz, während Brunei und Kambodscha absolute Monarchien sind. Auch religiös ergibt sich ein disparates Bild. Dem buddhistischen Thailand, Kambodscha und Myanmar stehen das islamische Indonesien, Brunei oder Malaysia gegenüber, während Laos und Vietnam sich mehrheitlich als atheistisch deklarieren und schliesslich die Philippinen ihrer spanischen Kolonialzeit wegen noch heute katholisch geprägt ist.
Schwergewicht
Das unbestrittene Schwergewicht in Südostasien ist Indonesien. Mit 270 Millionen Einwohnern ist es nach China, Indien und den USA das bevölkerungsreichste Land der Erde. Dennoch schafft es das grösste muslimische Land der Welt selten in die Schlagzeilen. Wie so oft bei andern Entwicklungs- und Schwellenländern sind es erst Naturkatastrophen oder politische Umwälzungen, die für internationale Aufmerksamkeit sorgen. In Indonesien war das 1998 der Fall, als der Autokrat Suharto nach dreissigjähriger Herrschaft gestürzt und ein langsamer Übergang zur Demokratie ermöglicht wurde. 2004 sorgte nach einem schweren Erdbeben ein Tsunami für Schlagzeilen. In Banda Aceh kamen 130’000 Menschen ums Leben. Seither bewegt sich Indonesien, ähnlich übrigens wie Vietnam ein Jahrzehnt früher, wirtschaftlich erfolgreich nach vorne im Windschatten von China, das aus geopolitischen Gründen seit langem fortlaufend für Schlagzeilen sorgt.
Am Anfang des Wandels
Indonesien trägt zum Bruttoinlandprodukt der ASEAN satte siebzig Prozent bei. International gesehen ist das Land kaufkraftbereinigt die Nummer 10 der weltweit grössten Volkswirtschaften und ist mithin Mitglied der G-20-Staaten. Fast 60 Prozent der Indonesier und Indonesierinnen wohnen in Städten. Wichtiger noch für die Zukunft: das mittlere Alter beträgt nur 28 Jahre (China 37, Schweiz 42). Das ist in einer Zeit des digitalen Umbruchs ein grosser Vorteil. Zwar steht Indonesien erst am Anfang des digitalen Wandels, wie das Stadt-Land-Gefälle deutlich zeigt, doch bereits jetzt ist klar, dass das Land einer der weltweit wachstumsstärksten Wirtschaftsräume ist. Im Archipel der 17’000 Inseln gibt es bereits eine flächendeckende Verfügbarkeit von Internet und Smartphones. Die Zahlen sind eindrücklich. Bei einer Bevölkerung von 270 Millionen sind 355 Millionen Handy-Abonnemente eingelöst. 185 Millionen Indonesier und Indonesierinnen nutzen das Internet – 2011 waren es erst 40 Millionen. 86 Prozent der Bevölkerung nutzen bereits hin und wieder E-Commerce, also elektronisches Einkaufen.
Palapa Ring Projekt
Vor wenigen Monaten erst wurde das Milliarden-teure Palapa Ring Projekt fertiggestellt, ein die vielen Inseln verbindendes, 36’000 Kilometer messendes Glasfasernetz im Meer. Es reicht bis in die hinterste Ecke des Archipels. Dadurch erst werden neue Technologien, wie beispielshalber 5G-Mobilität, effizient nutzbar. Der Wandel von konventionellen Geschäftsmodellen hin zu internet-basierten Modellen für die Versorgung von Gütern und Dienstleistungen ist jedoch auch in Indonesien nicht einfach. Führend im digitalen Wirtschaftssektor ist die Hauptinsel Java, wo 60 Prozent der indonesischen Bevölkerung leben und arbeiten. Die indonesische Internet-Ökonomie setzte 2018 rund dreissig Milliarden Dollar um. Bis 2025 sollen es dann 150 Milliarden Dollar sein. Bei der Weiterentwicklung, so die Hoffnung der digitalen Nerds, ist nur der Himmel die Grenze.
Grosse lokale Unterschiede
Die bekanntesten und Milliarden-schweren Start-ups Indonesiens sind Go-Jek (Motorrad-Transport und Lieferungen), die E-Commerce-Portale Tokopedia und Bukalapa, das Reiseportal Traveloka, die Mitfahrerportale Grab und Uber sowie das Fintech-Portal für digitales Zahlen OVO. Bei aller Euphorie gibt es natürlich noch immer grosse lokale Unterschiede im Hinblick auf Akzeptanz und Umsetzung des digitalen Wandels. Das Internet freilich und die sozialen Medien werden rege benutzt. Ungleich dem Westen nimmt jedoch die Regierung Einfluss. Es geht vor allem um die Unterbindung von Pornographie und Glücksspiel, um das Verbot von Verbreitung von Hass und Gewalt sowie um das Verbot von anti-islamischen Nachrichten und Botschaften.
Herber Rückschlag
Das Wirtschaftswachstum wird trotz digitaler Explosion nicht überproportional steigen, nicht zuletzt wegen dem Corona-Virus. Bei rund 15’000 Fällen und 1100 Todesopfern ist zwar Indonesien im südostasiatischen Kontext nicht übermässig betroffen, doch die Wachstumsprognosen sind für 2020 auf rund ein bis zwei Prozent herunter revidiert worden. Das ist nach über einem Jahrzehnt mit Wachstumsraten von plus 5 bis plus 7 Prozent ein herber Rückschlag. Doch mit der fortgeschrittenen digitalen Technologie hofft Staatspräsident Joko Widodo die Corona-Unbill ohne allzu grosse Verlust einigermassen meistern zu können. Vielleich könnte die Schweiz von Indonesien oder auch von Vietnam etwas lernen. Zwar wird in Bern und in der Wirtschaft viel von der Bedeutung des digitalen Wandels schwadroniert, doch wenn es ans Eingemachte geht – siehe Ausbau 5G – bleiben Taten aus. Und das, während in Asien bereits an 6G geforscht wird …