Die schweizerische Aussenpolitik gleicht einer Ruine. Von ihren zwei wichtigsten Teilen, Europa und Ukraine, bleiben nur Trümmer. Nationalistische Abrissbirne ist die SVP, sie wird aber auch von anderen in Schwung gehalten, einschliesslich der Vertreter der SP im Bundesrat.
An sich verfügt auch die wählerstärkste Partei der Schweiz, die SVP, über keine Mehrheiten, weder im Parlament noch im Volk. Durch ständige Provokation, unanständiges Stimm- und Wahlmarketing und nationalistische Besetzung patriotischer Symbole dominiert sie aber seit Jahren die schweizerische Politik, speziell Aussenpolitik. Diese ist entsprechend vorsichtig und abwehrend geworden. Seit der EWR-Abstimmung 1992, welche das Milliardärstrio um SVP-Übervater Blocher gewann, gibt es keinen nennenswerten aussenpolitischen Erfolg, keine international anerkannte politische Initiative mehr. Die Schweiz hat sich zum aussenpolitischen Igel zurückgebildet.
Die Farce der Schweizer Europapolitik
Tragödien in der Geschichte wiederholen sich bekanntlich als Farcen. Das Verpassen des EWR-Beitritts war eine aussenpolitische Tragödie, hatte sie uns doch die Königstrasse nach Europa auf Dauer verschlossen. Seither ist die Schweiz Zaungast. Sie vollzieht nach, macht technisch mit (Schengen), ohne an den grossen politischen Entscheiden Europas – politische Union, Währungsunion, Ostintegration, Aufbau eines Gegenpols zu China, Verselbständigung gegenüber den isolationistischer werdenden USA – teilzuhaben. Dank geschickter Diplomatie und grosszügiger Duldung durch unsere Nachbarn war unserer Schlaumeierpolitik – Anschluss an den Binnenmarkt via bilaterale Verträge, ohne die Verpflichtungen eines Mitglieds auf sich zu nehmen – bislang wirtschaftlicher Erfolg beschieden. Aber ohne Garantie für die Zukunft.
Zur Farce ist unsere Europapolitik verkommen, seit sich der Bundesrat im Alleingang und ohne Not von der einzig möglichen Fortsetzung des bilateralen Weges, der Aushandlung eines Rahmenvertrags, zurückgezogen hat. Ausgerechnet von einem umfassenden, dauerhaften Gerüst für alle Bereiche der Europapolitik, was aus der Schweiz jahrelang als beste (Not)Lösung ohne EU-Beitritt propagiert worden war, wollte der Bundesrat nichts mehr wissen. Zugegebenermassen unter dem Dauerbeschuss der SVP, der verstärkt war durch potente Finanzwale von rechts und nationalistisch kleinkarierten Bedenken von links (Gewerkschaften). Seither hat sich nichts wirklich geändert. Was immer das Endresultat sein wird, es droht ein völliges Fiasko mit zunehmender Abnabelung vom europäischen Binnenmarkt oder halsbrecherisches Hangeln von Eckwert zu Eckwert mit immer mühsameren Notlösungen. Die Schweiz ist mit Blick auf die EU kein europäisches Land mehr.
Das war Mitte des 19. Jahrhunderts anders, als die moderne Schweiz, damals einziges republikanisches und demokratisches Staatswesen, ein europäischer Leuchtturm war. Wenn wir diesen Herbst das 175-jährige Jubiläum dieser Schweiz feiern, dürften sich die Ochsenbein, Druey und Franscini im Grabe umdrehen angesichts ihrer Nachfolger und deren aktueller Republik. Wohlhabend, ordentlich, aber ein europäischer Aussenseiter.
Minimalbeteiligung bei Hilfen für die Ukraine
Seit der nolens volens erfolgten Übernahme der EU-Sanktionen gegen Russland tut die offizielle Schweiz in ihrer Unterstützung der vom neofaschistischen Putin-Regime in ihrem Überleben bedrohten Ukraine nur noch eines: zurückrudern. Die von Kiew am dringendsten benötigten Militärgüter werden mit Verweis auf Neutralität und geltende Gesetzgebung im Rüstungsbereich entrüstet als Tabu behandelt. Beides ist unehrlich. Die schweizerische Neutralität ist international tot und Gesetze können jederzeit geändert werden. Hätte der Bundesrat gleich nach der russischen Invasion gehandelt, wäre diese Änderung nun durch; sie war für älteres Material, wie die Ruag-Panzer – ein europäisches Dreiecksgeschäft zwischen Deutschland, Italien und Holland – zudem gar nicht nötig.
Die Schweiz ist ein global wichtiger Finanzplatz und die weltgrösste Rohstoffbörse. Völlig selbstverständlich, dass die wichtigsten westlichen Demokratien verlangen, sie solle im Aufsichtsgremium der Sanktionen gegen Russland voll mitwirken. Wiederum ein offizielles Njet der Schweiz unter Angebot von «Gesprächen». Da fragt man sich besonders besorgt, warum sich Bern so in die zwielichtige Gesellschaft von Drehscheiben wie Dubai begibt.
Nicht einmal bei den Finanzen, wo die wohlhabende Schweiz ohne allzu grosse Opfer mehr, viel mehr tun könnte, geschieht Entscheidendes. Im Gegenteil: Ein bisheriges Renommierstück schweizerischer Aussenpolitik, die Internationale Zusammenarbeit (IZA), wird durch einen Finanztrick abgebaut: Ukrainehilfe wird unter dem Generalthema «Humanitäre Hilfe» eingereiht, was de facto zu einer Einbusse von rund 850 Millionen zu Lasten des globalen Südens geht. Hier ist das Parlament aufgerufen, die Botschaft des Bundesrates für den IZA-Rahmenkredit 2025–28 entsprechend zu korrigieren.
Dazu ein «ceterum censeo»: Hilfe für die Ukraine ist Hilfe zur Rettung von Demokratie in Europa schlechthin – und damit auch der Demokratie in der Schweiz. Entsprechend grosse Notkredite ausserhalb der üblichen fiskalpolitischen Schranken sind ein absolutes Muss für unser Land, das sich so gerne als demokratisches Musterland sieht.
Der Blick über den helvetischen Tellerrand des Alltags in Fiskal- und Währungspolitik ist auch angezeigt, was die Nutzung schweizerischer Sonderziehungsrechte (SDR) im Rahmen des Internationalen Währungsfonds (IMF) für Ukrainehilfe anbelangt. Dies ist trotz gegenteiliger Aussage der Verwaltung durchaus möglich, wie ein schweizerisches Non-Paper zeigt, das dem Bundesrat vorgelegt werden soll.
Ausfall der Linken und Grünen
Die SP verfügt bekanntlich über zwei Vertreter im Bundesrat, die offensichtlich in der Europapolitik und der Hilfe an die Ukraine auf der nationalistisch-isolationistischen Spur fahren. Und damit – wohl unbeabsichtigt, aber im Endresultat klar – als Wegbereiter der aussenpolitischen Abrisspolitik der SVP dienen. Die Beratungen im Bundesrat sind bekanntlich erst nach dreissig Jahren öffentlich, aber von den Resultaten her ist klar, dass die Duos Sommaruga/Berset, nun Berset/Baume-Schneider weder in der Europapolitik noch in der Ukrainehilfe dem sozialdemokratischen Credo einer offenen, auch dem europäischen Gemeinwohl verpflichteten Politik gefolgt sind. Beim Thema Europa dürfte hier der Strippenzieher Maillard aus dem Gewerkschaftsbund eine Rolle gespielt haben. Was die Ukrainehilfe anbelangt, ist die Haltung der sozialdemokratischen Amtsträger vollends unverständlich, zumal sie im erwähnten Ruag-Panzergeschäft zusammen mit der Verteidigungsministerin und dem Aussenminister über eine Mehrheit verfügt hätten.
Der tendenziell links wählende, aussenpolitisch interessierte Stimmbürger wird im schweizerischen Wahlherbst auch kaum der Grünen Partei seine Stimme geben können. Anstatt sich an grünen Politikerinnen und Politikern in Deutschland wie Joschka Fischer und Annalena Baerbock ein Beispiel für instinktsichere Aussenpolitik im entscheidenden Moment zu nehmen, verstricken sich die helvetischen Grünen – ganz im Gegensatz zu ihrem liberalen Pendant, der GLP – weiterhin in neo-pazifistische Rückzugsgefechte und bleiben zu Europa stumm.
Schock von aussen nötig
Die Frage ist nun, wie eine vernünftige, der Schweiz würdige Aussenpolitik wieder aufgebaut werden kann. Wie schon in der jüngeren Vergangenheit (Holocaustgelder, Bankgeheimnis) braucht es für eine grundlegende Neuorientierung offensichtlich einen von aussen kommenden Schock. In der Europafrage könnte dieser im schmerzhaften Verlust des Zugangs der Schweiz zum europäischen Binnenmarkt bestehen. In der Ukrainepolitik häufen sich die Anzeichen, dass, wie von Georg Häsler in einem NZZ-Artikel ausgemalt, Washington sowie westeuropäische Partner der Hinhaltepolitik der Schweiz und ihres Beharrens auf veralteten Neutralitätsdogmen müde werden.