Erinnert sich noch jemand an den 1979 geborenen ECU? Eine Verrechnungseinheit, die Ordnung in das Wirrwarr der europäischen Währungen bringen sollte. Und brachte. Denn im Rahmen der beginnenden Globalisierung war es geradezu mittelalterlich, dass ein in Portugal hergestelltes Produkt, das in Italien weiterverarbeitet, anschliessend von einem belgischen Transporteur nach Spanien gebracht, dort abgefüllt und schliesslich in Deutschland umetikettiert und verkauft wurde, in seinem Lebenszyklus fünf verschiedene Währungen durchlaufen musste. Die meisten der damit verbundenen Probleme löste der ECU zufriedenstellend.
Soweit, so gut. Bis die beiden Riesenökonomen François Mitterrand (Lizentiat in Recht und Literaturwissenschaft) und Helmut Kohl (Dr. phil., kein Plagiatsverdacht) 1989 beschlossen, endlich eine europäische Wirtschafts- und Währungsunion zu schaffen. Man könnte auch sagen, dass die Aufgabe der D-Mark der von Frankreich geforderte Preis für die Zustimmung der ehemaligen alliierten Siegermacht zur deutschen Wiedervereinigung war.
Der Vertrag von Maastricht
1992 versuchte man das Problem zu lösen, wie man finanzpolitisch unabhängig und souverän agierende Staaten unter das Dach einer gemeinsamen Währung kriegen könnte. Der Artikel 126 im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union legt verbindlich fest: «Die Mitgliedstaaten vermeiden übermässige öffentliche Defizite.» Konkret: Das jährliche Haushaltsdefizit darf nicht 3 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) und die Staatsverschuldung nicht 60 Prozent des BIP übersteigen.
Im Art. 125, der «Nichtbeistandsklausel», wird ausdrücklich untersagt, dass innerhalb der EU die Schulden eines einzelnen EU-Landes übernommen werden. Ausser, sonst wäre es ja keine Juristerei, «aufgrund von Naturkatastrophen oder aussergewöhnlichen Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen», so Art. 122. Schon Italien als Mitgründungsstaat erfüllte diese Maastricht-Kriterien nicht, Griechenland schummelte sich mit getürkten Zahlen in die EU, im Zuge der letzten Finanzkrise durchbrachen dann alle 17 Euro-Staaten eines oder beide Kriterien. Folgen- und sanktionsfrei. Also eine Fehlgeburt, die von Anfang an künstlich beatmet und ständig operiert werden musste.
Weder Italien noch die Griechen wären heute pleite
Italien hat traditionell eine hohe Staatsverschuldung, was aber, ähnlich wie bei Japan, kein grosses Problem darstellte, da die Mehrzahl der Gläubiger Italiener oder einheimische Banken sind. Da Japan eine eigene Währung hat, ist die Insel, trotz Fukushima und jahrzehntelangem wirtschaftlichem Stillstand, finanziell bis heute stabil. Italien wäre das auch, denn die traditionell schwache Lira hätte dafür gesorgt, dass das Land sich nicht zusätzlich hätte verschulden können. Hohe Zinsen und das Misstrauen der Anleger regeln das.
Das Gleiche gilt natürlich für das wirtschaftlich viel kleinere Griechenland mit seiner Drachme. Und wäre es zum Äussersten gekommen, hätte sich ein Abenteurer das Geld ans Bein streichen können, wenn Lira oder Drachme abgewertet worden wären – oder ein Staatsbankrott für klare Verhältnisse gesorgt hätte. Courant normal für jeden Gläubiger eines Pleitestaats.
Die Todesspirale
Stattdessen können heute Hedgefonds, Banken und andere Zocker gegen Italien oder Griechenland spekulieren, indem sie die Wackelpolitik der Europolitiker ausnützen. Sie setzen sich sozusagen auf beide Seiten einer Schaukel, kassieren entweder die höheren Zinsen eines Staatsschuldpapiers dieser Staaten oder spekulieren mit CDS, das Derivat einer Kreditausfallversicherung, auf deren Niedergang. Mit gehebelten Leerkäufen oder -verkäufen natürlich, also mit geliehenem Gratisgeld und ohne im Besitz dieser Papiere zu sein.
Dass sie damit eine Todesspirale auslösen, ist ihnen egal, schliesslich ist ihr Profitstreben legal, und an der vom Wahnsinn umzingelten europäischen Finanzpolitik sind sie auch nicht schuld. Während eine (weitere) Lira-Krise ein lokaler Brand gewesen wäre, wird eine Euro-Italienkrise so zum Flächenbrand, und eine weitere Pleite von Griechenland mit seiner Drachme wäre nicht mal gross aufgefallen, sondern hätte höchstens zur Frage geführt: Was, schon wieder?
Statt Integration Ruinen
Ideologisch unterfüttert wurde die Einführung des Euro als «europäische Integration»; es wurde so getan, als ob ohne Euro Europa zum Untergang verurteilt sei, sich auflösen würde, womöglich gar den Dritten Weltkrieg vom Zaune bräche. Als ob Europa VOR dem Euro eine sieche Landschaft verhungernder Lumpen gewesen wäre. Als ob die Schweden und Norweger, von den Schweizern wollen wir mal gar nicht reden, allesamt am Hungertuch nagen würden.
Im Gegenteil, diesen drei Staaten mit ihren Nationalwährungen geht es ausgezeichnet. Und da die Schweiz netto mehr aus dem Euro-Raum importiert als dorthin exportiert, profitiert sie vom Niedergang dieser Währung, steigert sogar ihre Exporte, während lediglich Tourismus und ein paar Industriesparten leiden.
Währenddessen führt das Festhalten an der Chimäre «europäische Integration» zum Desaster; in Griechenland, Portugal und Irland ist es bereits eingetreten, Spanien und Italien stehen in den Startlöchern. Und die verbliebenen Retter verschulden sich bis über die Ohren der Kindeskinder ihrer aktuellen Steuerzahler, um einen Popanz am Leben zu erhalten. Also die besten Voraussetzungen, um Europa wirklich in eine Ruinenlandschaft zu verwandeln.
Und dann noch die politischen Folgen
Europa war auf politischer Ebene nie demokratisch organisiert, die klassische Trennung von Legislative, Exekutive und Judikative wurde von Anfang an ausgehebelt. Im Rahmen der «Rettungsschirme» wurden weitere völlig undemokratische Strukturen geschaffen, Troikas, Dunkelkammern, deren Abgesandte bereits unter völliger Missachtung der hochgepriesenen Souveränität der Einzelstaaten den griechischen Staat unter Kuratel gestellt haben, sich in seine Finanzpolitik einmischen und den Ausverkauf seines Tafelsilbers mitbestimmen, kontrollieren und durchführen.
Thomas Schmid, der Chefredaktor der «Welt», befürchtet zu recht eine «gefährliche Refeudalisierung der Politik» und kommentiert: «Die Tendenz, das jeweilige Regierungshandeln gereizt „alternativlos“ hinzustellen, zeugt von einer gefährlichen Missachtung des Souveräns.» Also statt «europäischer Integration» kommen finstere Zeiten auf uns zu, wirtschaftlich und politisch. Die Frage steht immer klarer im Raum, ob dieses Schlamassel innerhalb mehr oder weniger demokratischer Strukturen überhaupt aufzuräumen ist. Darauf gibt die europäische Geschichte eine klare und beängstigende Antwort.