Die griechische Tragikomödie ist zwar noch lange nicht zu Ende, aber die gemässigte Reaktion der Weltmärkte auf das Volksnein hat deren internationalen Stellenwert aufgezeigt: Weniger als zwei Prozent macht Griechenland aus am gesamten Wirtschaftsaufkommen der Eurozone. Ohne Finanzminister Varoufakis sinkt zudem auch der Unterhaltungswert dieses Lehrstückes, wie eine links- und rechtsnationalistische Koalition ein ohnehin seit Jahrzehnten schlingerndes Staatsschiff vollends zum Kentern bringen wird.
Wunderkiste Geld
Die klassische griechische Tragödie endet bekanntlich mit der schlimmstmöglichsten Variante. Dies wäre hier ein chaotisches Heraustaumeln aus dem Euro und zurück in die Drachme. Das ist keineswegs auszuschliessen, aber für den Euro durchaus verkraftbar. Im Gegensatz zu gewissen Fundamentalkritiken - primär aus dem angelsächsischen Wirtschaftskuchen und dort interessanterweise von rechts (normal, die Hayekaner) und links (Paul Krugman) - war der Euro nicht ein politischer, sondern ein zwangsläufiger ökonomischer Entscheid. Der freie europäische Wirtschaftsraum, dem ja auch die Schweiz angehört, hat zu einem festen Gewebe von so zahlreichen transnationalen Produktions-, Wertschöpfungs- und Vetriebsketten über den ganzen Kontinent hinweg geführt, dass die Schaffung einer einheitlichen Währung zwangsläufig erfolgen musste, um für alle gleichlange Spiesse zu garantieren.
Ja, für alle. Auch für jene, welche wie Griechenland den Euro bei seiner Einführung primär als Wunderkiste voll von billigem Geld verstanden haben. So wie Irland, Portugal und Spanien. Im Gegensatz zu Griechenland haben diese Länder indes ihre bittere Medizin geschluckt und sind damit zu den schärfsten Gegner einer zu nachgiebigen Lösung für Griechenland geworden. Nicht einmal das haben die Populisten von Syriza &Co. verstanden, welche ausgerechnet die definitiv unpreussische deutsche Bundeskanzlerin und ihren Finanzminister als diabolische Hauptfeinde darzustellen trachten. Mit dem Resultat, dass nun das gesamte Europa sich nichts sehnlicher wünscht, als den unberechenbaren hellenischen Kobold im europolitischen Spiel verschwinden zu sehen.
Dilemma der Schweiz
Ausgerechnet die Schweiz würde wohl vom unkoordinierten Austritt Griechenlands aus dem Euro am meisten zu befürchten haben. Ein Fall des Euro und damit weiterer Aufwertungsdruck auf den Franken würde uns, einmal mehr, vor die Wahl zwischen Pech oder Schwefel stellen: Entweder bläht die Nationalbank durch ‘Glättung’ der Spekulationsschwankungen ihre Bilanz auf oder die schweizerische Wirtschaft rutscht via zusammenbrechender Exporte, verlorener Arbeitsplätze und ausbleibender Touristen vollends in eine Rezession ab.
Es bliebe nur eine Lösung: eine feste, durch keine Spekulation in Frage zu stellende Anbindung des Schweizer Frankens an den Euro (wie dies Dänemark mit seiner Krone tut) oder gleich die wirtschaftlich ideale, aber (innen)politisch schwierige Einfügung in die Einheitswährung.
Die Krise um die Ukraine
Gemessen daran sind andere Probleme weit gravierender. Wie der schweizerische, stellvertretende Missionschef der OSZE Alexander Hug nicht müde wird zu betonen, hat sich die Lage an verschiedenen Waffenstillstandslinien zwischen der ukrainischen Regierung und den von Moskau entscheidend gestützten Separatisten in den letzten Wochen wieder stark zugespitzt. Letztes Mittel, vor einer generellen militärischen Auseinandersetzung, welche niemand will, sind wirklich schmerzhafte, westliche Sanktionen gegen die Scharfmacherclique um Putin sowie, leider, auch gegen die russische Wirtschaft generell.
Dies ist zwar kurzfristig schlimm für jene, welche unter solchen Boykotten am meisten leiden, aber immer noch besser als die beiden einzig möglichen Alternativen: militärisches Eingreifen oder die Tolerierung einer gewaltsamen Grenzänderung in Europa, welche von allen Europäern vom Atlantik bis zum Ural 1990 ausdrücklich ausgeschlossen worden ist.
Die Kompromissparameter sind bekannt, an Begegnungs- und Gesprächsmöglichkeiten zwischen allen Kontrahenten besteht keinerlei Mangel. An in der Schweiz so eifrig propagierten Vermittlungsdiensten besteht international kein Bedarf. Das beste, was die Schweiz tun kann, ist, sich möglichst lückenlos in die Sanktionsfront einzureihen. Dies muss allein schon deswegen geschehen, um dem Verdacht zu entgehen - und allfälligen späteren Massnahmen gegen Blockadebrecher - mit Abseitsstehen Konfliktsgewinne anzustreben.
Immigration
Griechenland ist nicht nur ein Opfer seiner Machtcliquen und unfähigen Regierungen, sondern neben Italien auch im Moment das Land mit den höchsten Zahlen illegaler Einwanderer aus der südlichen, und südöstlichen Perpherie von Europa. Was dieses zweite, wirkliche Problem anbelangt, so muss sich Europa bewegen, um den Griechen und den Italienern helfen.
Die gegenwärtige Lage ist aus drei Gründen intolerabel. Weitere menschliche Tragödien im Mittelmeer unterhöhlen den europäischen Anspruch, globaler Hort der Menschenrechte zu sein. Wilde, illegale Einwanderung fördert zweitens die Verunsicherung in weiten Kreisen der Bevölkerung, was sich populistische Scharfmacher auf extrem linker, aber vor allem auf rechter Seite zu Nutze machen.
Drittens braucht Europa eine europäisch geplante und ausgerichtete Immigrationspolitik von ausserhalb des Kontinentes. Dies ist schwierig, muss doch zur selben Zeit die interne Migrationspolitik - eine Kroatin in Irland, ein Pole in London und eine zypriotische Familie in Deutschland sind nicht Immigranten, sondern Teilnehmer am EU-Binnenmarkt mit grundsätzlich europaweiten Sozialregeln - verfeinert und vor allem der eigenen Bevölkerung erklärt werden. Nichtsdestoweniger muss Europa auch klare Regeln für jene aufstellen und durchsetzen, die von ausserhalb kommen. Sei es, weil sie anderswo direkt an Leib und Leben bedroht sind, oder sei es, weil ein alterndes Europa von neuen Arbeitskräften nur profitieren kann.
Globale Perspektive
Bekanntlich ist Europa oft noch eigener Nabelschau verpflichtet, wie im Moment gerade mit Bezug auf Griechenland. Es vergisst dabei die globale Perspektive. Kürzlich wurde in wirtschafts- und handelspolitischer Sicht ein Markstein gesetzt. Dank einem wegweisenden Entscheid im amerikanischen Kongress ist der Abschluss eines transpazifischen Freihandelsvertrages (TPP, Trans- Pacific Partnership), welcher rund ein Drittel des Welthandels regulieren wird, entscheidend näher gerückt.
Dies wiederum muss die EU anspornen, einerseits das seit einiger Zeit in Aushandlung begriffene Transatlantisches Freihandelsabkommen mit den USA (rund ein zweites Drittel der Weltwirtschaftsbeziehungen) entscheidend vorwärts zu treiben und andererseits bilaterale Freihandelsverträge mit der Asean (Südostasien) und mit China substanziell in Angriff zu nehmen. Beides ist für nachhaltiges Wachstum in Europa, welches eben wieder auf einen entsprechenden Pfad zurückgefunden hat, unendlich viel wichtiger, wirtschaftlich und politisch, als der Ausgang des griechischen Kammerspiels.
Für die Schweiz übrigens auch. Mit China haben wir zwar einen bilateralen Freihandelsvertrag, mit den USA , in der Folge des Misserfolges der internationalen Seite schweizerischer Agrarpolitik, aber nicht. Es ist vorauszusehen, dass auf mittlere Sicht die kommenden EU-Verträge sowohl Richtung Westen als auch Osten zum Goldstandard der entsprechenden Wirtschaftsbeziehungen werden. Auch hier bleibt für die Schweiz letztlich nur der autonome Nachvollzug, soll unsere Industrie gegenüber der EU-Konkurrenz nicht hoffnungslos ins Hintertreffen gelangen. Wie viel rationeller, und auch rationaler, wäre ein EU-Beitritt ohne Wenn und Aber.