Als Gustavo Dudamel Anfang September 2007 im KKL zur allerersten Probe mit den Wiener Philharmonikern antrat, hätte er sich kaum träumen lassen, dass er knapp zehn Jahre später mit diesem Orchester als bislang jüngster Dirigent das legendäre Neujahrskonzert bestreiten würde. Dudamel leitete damals das Simon Bolivar Jugendorchester aus Venezuela, mit dem er auch heute noch zusammenarbeitet.
«Es ist eine grosse Ehre für mich, dieses ausserordentliche Konzert der Wiener Philharmoniker zu dirigieren», sagt Dudamel heute. Inzwischen ist er Chef beim Los Angeles Philharmonic Orchestra und hat die wichtigsten internationalen Orchester geleitet. Aus dem damaligen Newcomer ist einer der grossen Dirigenten geworden. «Das Neujahrskonzert als Geschenk der Musik mit Menschen in aller Welt zu teilen, ist dieses Jahr von ganz besonderer Bedeutung», betont Dudamel, «denn mit diesem Konzert starten die Wiener Philharmoniker in ihre 175. Saison.»
Damals in Luzern hatte zunächst nichts darauf hingewiesen, dass aus der ersten Begegnung des legendären Orchesters mit dem jungen Shooting Star aus Venezuela so etwas wie eine Liebesbeziehung entstehen würde.
Dudamel, zu jener Zeit 26 Jahre alt, ist aufgeregt und voller Lampenfieber, als er vor das Orchester tritt. Schwarzgelockt, in schwarzem Polohemd und weisser Hose mit feinem, schwarzen Nadelstreifen, um den Hals eine goldene Kette. Ein Hauch von Südamerika steht da Alt-Wiener Tradition gegenüber. Dudamel ist sich der kniffligen Situation durchaus bewusst, den Musikern dieses Orchesters, das einst von Gustav Mahler höchstpersönlich geleitet wurde, nun zu sagen, wie sie Mahler zu spielen haben. Mahlers erste Sinfonie steht an und Dudamel singt vor, wie er’s gern hätte. Die Musiker hören zu, ohne eine Miene zu verziehen. Und dann spielen sie genau so, wie es Dudamel gesungen hat.
«Dies ist eines der besten Orchester der Welt, des ganzen Universums!» schwärmt Dudamel in der Pause. «Ich habe die ganze Zeit das Gefühl, zu träumen. Als Kind habe ich zuhause schon die Wiener Philharmoniker auf LP dirigiert. Und nun habe ich die Gelegenheit, vor diesem grossartigen Orchester zu stehen. Ich bin so glücklich», – er ringt nach Worten, wirft die Arme in die Luft und sagt nur noch: «Wow!»
Trotz aller Euphorie ist vor allem exakte Arbeit gefragt. Die Musiker beobachten Dudamel mit einer gewissen Skepsis, lassen sich aber überzeugen. Was ist denn nun der Unterschied zwischen seinem Simon Bolivar Jugendorchester und den Wiener Philharmonikern? «Für mich?» fragt Dudamel. «Also ich versuche, so zu arbeiten, wie ich es gewohnt bin. Es gefällt mir, dass die Wiener sehr offen sind.» Und so spielen sie denn ihre wunderbar warmen, weichen und unvergleichlich schmelzenden Klänge, strukturiert durch Dudamels durchaus auch raue Akzente.
Der Dudamel-Hype, die grosse Aufregung um den jungen Dirigenten aus Venezuela, war bis dahin fast spurlos an den Wienern vorübergegangen. «Unsere Kollegen haben alle gefragt, wer ist denn dieser Dudamel, von dem überall gesprochen wird», so Rainer Honeck, Konzertmeister der Wiener Philharmoniker, und er fügt gleich bei: «Aber ich muss sagen, Dudamel ist eine ganz aussergewöhnliche Begabung.» Schon während der Proben freunden sich die Musiker mit dem Jungdirigenten an. Dieter Flury, Flötist und einziger Schweizer bei den Wiener Philharmonikern, meint: «Aus altem Musikeraberglauben sagt man natürlich vor dem Konzert noch gar nichts. Aber ich habe den Eindruck, das Orchester fühlt sich wohl und wir freuen uns sehr.»
So hat es damals auch das Publikum im KKL erlebt. Gemeinsam mit den Wiener Philharmonikern hat Dudamel das Publikum im Sturm erobert. Es war der Anfang einer wunderbaren Freundschaft, die inzwischen zu 46 gemeinsamen Konzerten geführt hat und zu mehreren CDs beim renommierten Label Deutsche Grammophon. Jetzt mit dem Neujahrskonzert erreicht die Zusammenarbeit einen weiteren Höhepunkt. Rund 50 Millionen Zuschauer in 90 Ländern werden das Konzert mitverfolgen. Im Programm auch zwei Stücke, die der aktuellen Weltlage entsprechen: der Walzer «Mephistos Höllenrufe» und die Schnell-Polka «So ängstlich sind wir nicht!», beides von Johann Strauss, Sohn.
Sonntag, 1. Januar 2017
11.15 Uhr bis 13.45 Uhr , SRF
Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker
Leitung: Gustavo Dudamel