Seit 1996 gibt es die Dialog-Werkstatt Zug, die am Sonntag zum zehnten Mal das Übersetzer-Stipendium vergibt. Dieses Stipendium ist mit 50`000 Franken das höchste dieser Art im deutschsprachigen Raum. Dahinter steckt nicht einfach die Geberlaune wohlsituierter Mäzene. Vielmehr treiben den Verein und seine Juroren Einsichten in die Bedeutung und die hohe Kunst des Übersetzens um. (Die Liste der Juroren findet sich unten auf der Seite zur Preisverleihung 2013)
Zusatzkosten
Eigentlich ist es eine Binsenwahrheit, dass ein literarisches Werk eine entsprechende literarische Übersetzung braucht. Aber das Problem beginnt schon bei der ganz trivialen Verlagskalkulation. Denn zu den Lizenzen für fremdsprachige Bücher beziehungsweise den Autorenhonoraren kommen die Übersetzungskosten hinzu. Entsprechend müsste das Buch teurer sein als eines ohne diesen Zusatzposten. Auf dem hart umkämpften Buchmarkt ist das ein Problem.
Erschwerend kommt hinzu, dass Verlage mit ihren Autorinnen und Autoren werben, nicht mit ihren Übersetzern – wenige Ausnahmen bestätigen diese Regel. Entsprechend selten ist es, dass ein Buch vor allem deswegen gekauft wird, weil es in neuer oder besonders gelungener Übersetzung vorliegt.
Kunst der Übertragung
Und nach landläufigem Verständnis ist eine Übersetzung entweder richtig oder falsch. Dass sie eine eigene literarische Qualität haben kann beziehungsweise haben sollte, erschliesst sich erst, wenn man sich klarmacht, dass das wörtliche Übersetzen vielleicht die Bedeutung von Wörtern trifft, nicht aber ihren spezifischen Sinn und ihren Klang, der sich erst aus ihrem kulturellen Umfeld ergibt. Ein guter Übersetzer muss sich in das Werk und seinen Autor hineinfühlen und zudem über genügend eigene Sprachkraft verfügen, um ein Werk adäquat zu „übertragen“.
Das ist das grosse Thema der Zuger Übersetzer-Gespräche in der „Dialog-Werkstatt Zug“. Wie gut ist es den Übersetzern gelungen, den Intentionen der Autoren nahezukommen? Besonders reizvoll ist es natürlich, wenn die Autoren selbst an solchen Dialogen teilnehmen können. Das war vor kurzem der Fall, als der ungarische Autor Péter Nádas mehrere Wochen in Zug weilte und das Kunsthaus Zug auch seine Fotografien zeigte.
Fachgutachten
Dialoge sind das eine, die Entscheidungen, wer einen „Anerkennungspreis“ und wer ein Übersetzerstipendium bekommen soll, sind ganz offensichtlich schwieriger. Müssen die Juroren zum Beispiel über die entsprechenden Sprachkenntnisse verfügen, um ein begründetes Urteil zu fällen? Jürg Scheuzger, der Präsident der Jury, erklärt, dass die Juroren die geläufigen Fremdsprachen beherrschen. Das gilt sogar für die Beurteilung von Übertragungen aus dem Chinesischen wie im Fall bei Karin Betz, die den Roman „Chinesen“ von Liao Yiwu übersetzte. Da konnte das Jury-Mitglied Manfred Papst, seines Zeichens Sinologe, fachkundig urteilen. Und der Preisträger des Zuger Übersetzer-Stipendiums von 2013, Ferdinand Leopold, übersetzt unter anderem Werke aus dem Rumänischen. Die Qualität seiner Übersetzungen wurde von einem externen Fachmann für gut befunden.
Doch neben den fachspezifischen Begutachtungen geschieht noch etwas anderes, was man nicht unbedingt erwartet: Die Juroren erspüren auch ohne Vergleich mit dem Original die literarische Qualität einer Übersetzung. Es handelt sich also um Neuschöpfungen, die sprachlich auf eigenen Füssen stehen und dadurch überzeugen.
Zähes Ringen um Anerkennung
Der Sinn der Preise und der Arbeit der Dialog-Werkstatt liegt auch darin, das Ansehen und die Position der Übersetzer zu stärken. Scheuzger weist darauf hin, dass es inzwischen eine ganze Reihe von Preisen gibt: der Übersetzer-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, der Paul-Celan-Preis, Übersetzer-Preise der Stadt München, von Nordrhein-Westfalen und anderen.
Und im zähen Ringen um adäquate Bezahlung und Anerkennung hat es kleine Fortschritte gegeben. Inzwischen werden die Namen der Übersetzer in den Büchern prominenter – unter den Titel und im Impressum - platziert. Auch in Rezensionen werden sie in der Regel genannt. Dazu kommt, dass zumindest die prominenteren Übersetzer ab den verkauften 5000 Exemplaren prozentual am Umsatz beteiligt werden. - Erinnert man sich daran, wie der ehemalige Chef des Hanser Verlags, Michael Krüger, der die Zuger Dialog-Werkstatt durchaus gefördert hat, in Anbetracht der Forderungen der Übersetzer den Ruin der Verlage vorhergesagt hat, kann man sich heute nur köstlich amüsieren.
Aushilfstätigkeiten
Aber das Amüsement hält nicht an. Denn man muss sich klarmachen, dass Übersetzer nicht einfach nur ihre Fremdsprachen gelernt haben. Mehrjährige Sprachaufenthalte in den jeweiligen Ländern sind heute selbstverständlich. Gemessen an der hohen Qualifikation sind die durchschnittlichen Honorare, die oft pro übersetzter Seite gezahlt werden, geradezu lächerlich. Es gibt nicht wenige Übersetzer, die ihren Lebensunterhalt als Coiffeuse, Taxifahrer oder Aushilfskellner verdienen müssen.
Um so wichtiger ist es für sie, auf der Bildfläche der Zuger Dialog-Werkstatt zu erscheinen. Bei der öffentlichen Preisverleihung im Casino Zug am Sonntag, den 28. Juni um 17.30 Uhr gehen die Auszeichnungen an Steffen Popp, Andreas Tretner (Zuger Anerkennungspreis 2015) und an Ulrich Blumenbach (Zuger Übersetzer-Stipendium 2015). Die Festrede hält Roger de Weck. Dieser Medienmann ist bilingue: Deutsch und Französisch. Das Übersetzen, besser: das Übertragen, das sich Hineinfühlen in unterschiedliche Sprachen mit ihren Kulturen, ist ihm geradezu angeboren.
Preiswürdigkeit
Wie gross ist der Ansturm auf den Anerkennungspreis und das Übersetzerstipendium? Jürg Scheuzger macht auf eine Paradoxie aufmerksam: Vor zwanzig Jahren bewarben sich etwa 60 bis 80 Übersetzer, jetzt sind es noch 20 bis 30. Das liege daran, dass sich die hohen Massstäbe herumgesprochen haben. Da trauen sich nur noch die, denen viel zuzutrauen ist. Und es genügt nicht, einfach eine gute Übersetzungsprobe abzuliefern. Das Projekt, um das es geht, muss auch überzeugen.
Am Ende unseres Gesprächs sagt Scheuzger etwas sehr Schönes und Berührendes: „Eigentlich sind fast alle, die sich dieses Jahr beworben haben, preiswürdig. Am liebsten möchte ich jedem einen Preis geben.“ Auch das wäre ein schönes Signal nicht nur an die Verlage: Schaut auf eure Übersetzerinnen und Übersetzer, sie sind weitaus besser, als ihr sie behandelt.