„Ich bin gegen Waffen vorgegangen. Obama kann das auch“, heisst der plakative Titel eines Meinungsbeitrags in der „New York Times“. Der Autor: John Howard, der zwischen 1996 und 2007 Australiens Premier war und 1996 nach dem Amoklauf eines Geistesgestörten die Waffengesetze des Landes drastisch verschärfte. Der Killer hatte in Port Arthur (Tasmanien) mit zwei halbautomatischen Gewehren 35 Menschen erschossen.
Australiens Waffenpolitik
Die nicht landesweit unterstützte Reform der Gesetzgebung gelang: Seit 1996 hat es in Australien kein Massaker annähernd vergleichbarer Grössenordnung mehr gegeben. Studien zufolge ist nicht nur die Zahl der Tötungsdelikte mit Schusswaffen, sondern auch jene der Selbstmorde deutlich gesunken. Suizide mit Handfeuerwaffen gingen gar um 74 Prozent zurück. Der Staat kaufte seinerzeit an die 700‘000 Schusswaffen auf – eine Menge, die in den Vereinigten Staaten 40 Millionen Waffen entsprechen würde.
Seit dem Massaker an der Sandy Hook Elementary School in Newtown (Connecticut), dem am 14. Dezember des vergangenen Jahres 20 Kinder und sechs Erwachsene zum Opfer fielen, sind in Amerika (Selbstmorde nicht mitgezählt) 900 Menschen durch Schusswaffen getötet worden. Staatlichen Statistiken zufolge werden jährlich 11‘000 Morde und 19‘000 Selbstmorde mit Handfeuerwaffen begangen. Gemäss solcher Zahlen dürfte es in den USA seit Mitte Dezember 2500 gewaltsame Todesfälle durch Schusswaffen gegeben haben.
Umdenken in Amerika
Glaubt man Umfragen, müsste es auch in den USA machbar sein, die Waffenkontrolle zu verschärfen. Gemäss einer Gallup-Befragung sind 38 Prozent der Amerikaner mit dem Status quo unzufrieden – was auf den ersten Blick nicht eben beeindruckt. Seit 2001 aber ist die Zahl der Unzufriedenen noch nie so hoch gewesen und sie hat sich innert Jahres Jahr verdoppelt.
Ein Umfrage von „Washington Post“ und „ABC News“ hat ergeben, dass die meisten Amerikaner eine Verschärfung der Waffengesetze, inklusive eines Verbots von Sturmgewehren, sowie die Stationierung bewaffneter Wächter vor jeder Schule befürworten. Mehr als die Hälfte der Befragten gaben an, das Massaker in Newtown habe sie schärferen Kontrollen gegenüber empfänglicher gemacht.
Laut einer Meinungsumfrage des Pew Research Center schliesslich unterstützt eine klare Mehrheit der Bevölkerung eine nationale Datenbank zur Registrierung von Waffenkäufern, die Vorweisung eines Leumundszeugnisses bei privaten Käufen und Waffenausstellungen sowie Verbote für halbautomatische Schusswaffen, Sturmgewehre, grosse Magazine und Munitionskäufe online.
Die Macht der National Rifle Association (NRA)
Angesichts dieser Stimmungslage erstaunt nicht, dass es Barack Obama, tatkräftig sekundiert von Vizepräsident Joe Biden, nun mit einer Verschärfung der amerikanischen Waffengesetze offenbar ernst meint. Mit seiner Initiative hat der Präsident, der zuvor in dieser Sache eher passiv war, wohl etliche seiner Anhänger positiv überrascht – nicht zuletzt deswegen, weil es auch innerhalb der demokratischen Partei etlichen Widerstand gegen härtere Gesetze gibt.
Nach wie vor fürchten Amerikas Politiker, gleich ob Republikaner oder Demokraten, die Macht der National Rifle Association (NRA), jener landesweiten Waffenlobby, deren Vertreter diese Woche an einer grossen Waffenausstellung in Las Vegas (Nevada) umgehend „den Kampf des Jahrhunderts“ gegen Barack Obamas Pläne angekündigt haben. Die NRA erblödete sich diese Woche auch, einen Fernsehspot zu verbreiten, der den Präsidenten „elitärer Heuchelei“ bezichtigt.
Obamas moderate Vorschläge
„Sind die Kinder des Präsidenten wichtiger als eure Kinder?“, fragt im Spot eine männliche Stimme: „Warum aber zögert er dann, vor unseren Schulen bewaffnete Sicherheitsleute aufzustellen, während seine Kinder in der Schule von bewaffneten Wächtern beschützt werden?“ Mit den „Wächtern“ sind jene Agenten des Secret Service gemeint, die amerikanische Präsidenten, gleich welcher Partei, sowie deren Familie rund um die Uhr bewachen.
Dabei sind Barack Obamas Vorschläge im internationalen Vergleich eher moderat. Sie umfassen vier Gesetzesentwürfe und 23 präsidiale Massnahmen. Die Gesetzesvorschläge betreffen die obligatorische Kontrolle des Leumunds von Waffenkäufern, die Erschwerung des Waffenhandels, das Verbot von Sturmgewehren und Magazinen mit mehr als zehn Schuss Munition.
Gefahr für die Volksgesundheit?
Herstellung und Verkauf von Sturmgewehren waren in Amerika zwischen 1994 und 2004 untersagt. Doch George W. Bush mochte das Gesetz nicht erneuern, obwohl auch Ronald Reagan, 1981 selbst Ziel eines Schusswaffenattentats, den „Assault Weapons Ban“ befürwortet hatte. Das obligatorische Vorweisen eines Leumundszeugnisses soll jene „Schlupflöcher“ schliessen, die Waffenausstellungen („gun shows“) sowie private Waffenverkäufe oder Verkäufe über das Internet offen gelassen haben. 40 Prozent aller Schusswaffen werden in Amerika auf diesem Weg erworben
Die Massnahmen des Präsidenten indes sollen zum Beispiel bestehende Kontrollmechanismen stärken, Ausbildung in „aktiven Schiess-Situationen“ anbieten und die wissenschaftliche Erforschung der Schusswaffengewalt unterstützen. Aus Furcht vor der NRA strich der Kongress in Washington DC Forschungsgelder für die „Centers for Disease Control and Prevention“ (CDC) in Atlanta, einen Zweig der nationalen Gesundheitsbehörde, der, so mutmasst die NRA, Waffengewalt als Gefährdung der Volksgesundheit einstufen könnte.
Was die Verfassung garantiert
Barack Obama ist sich bewusst, dass es angesichts des politischen Klimas im Lande nicht einfach sein wird, seine Vorschläge in die Tat umzusetzen. „Zwar gibt es kein einzelnes Gesetz oder kein Bündel von Gesetzen, das jeden sinnlosen Gewaltakt vollständig verhindern kann, keine Gesetzgebung, die jede Tragödie, jeden Akt des Bösen verunmöglichen wird“, sagte der Präsident bei der Präsentation seiner Pläne: „Wenn es aber nur Eines gibt, um diese Gewalt zu reduzieren, wenn es nur ein Leben gibt, das gerettet werden kann, dann sind wir verpflichtet, das zu versuchen.“
Barack Obama beruft sich bei seinen Bemühungen ausdrücklich auf die amerikanische Verfassung, deren zweiten Zusatz – das Recht, Waffen zu tragen - Gegner verschärfter Kontrollen regelmässig und unbeirrbar bemühen. Dieses Recht, so der Präsident, dürfe andere von der Verfassung garantierte Rechte nicht beschneiden, so zum Beispiel, in Anspielung auf ein Massaker in einem Sikh-Tempel in Wisconsin, das Recht, frei und sicher seine Religion auszuüben oder, in Erinnerung an einen Amoklauf in einem Kino in Colorado, das Recht, sich friedlich zu versammeln. Kindern, Schülern und Studenten würden elementarste Ansprüche wie das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück verweigert, wenn sie Opfer von Schiessereien geworden seien.
Die richtigen Prioritäten
Bei der Ankündigung im Weissen Haus wurde Barack Obama Mitte Woche von vier Kindern flankiert, die ihm nach dem Massaker Ende Jahr in Newtown geschrieben hatten, er möge bitte schärfere Waffengesetze erlassen. Was, typisch für Washington DC, umgehend zu einer Kontroverse führte, ob ein Präsident Kinder für politische Zwecke instrumentalisieren dürfe.
„Präsidenten brauchen immer Requisiten“, meint dazu Edward Andrews, ein Politologe der Texas A&M University, der den Einfluss von Amtsinhabern im Weissen Haus auf die öffentliche Meinung studiert. Andrews zufolge dürfte Obamas jüngster Einsatz von Kindern nur wenig bewirken, schon gar nicht im Kongress, der sich jetzt (zuerst im Senat) der Vorschläge Barack Obamas annehmen muss: „Präsidenten verändern fast nie die öffentliche Meinung. Ereignisse tun es. Tragödien tun es. Und Tragödien, wie jene jüngst, haben die Leute sensibler werden lassen.“
Das weiss Barack Obama. Die Verhältnisse würden sich erst ändern, sagte der Präsident, „falls das amerikanische Volk das fordert“. Dabei müssten sämtliche Teile des Landes Veränderungen unterstützen, nicht nur jene liberalen Staaten und Enklaven, die schärfere Waffenkontrollen eh schon befürworten. Obama forderte die Amerikaner auf, Druck auf ihre Volksvertreter auszuüben und sie zu einer klaren Stellungnahme zu zwingen: „Fragt sie, was wichtiger ist: Alles zu tun, um von der Waffenlobby, die ihre Wahlkämpfe finanziert, Bestnoten zu erhalten oder Eltern in Sicherheit wiegen zu lassen, wenn sie ihre Kinder zur Schule bringen.“
Quellen: „The New York Times“; „The Washington Post“; “The Daily Beast“