Kleine Philosophie des Hundskommunen (1)
Philosophie befasst sich nach landläufiger Meinung mit altehrwürdigen, tiefen und ernsten Fragen über das, was es gibt (und nicht gibt); Fragen nach der Stellung des Menschen im Universum, speziell in der Evolution, Fragen nach der Grenze zwischen Ich und übriger Welt, des freien Willens, der Möglichkeit objektiver Werte und und und. Lauter respektable Themen, ohne Zweifel, aber etwas kommt dabei stets zu kurz: das Hundskommune, das uns alltäglich begleitet und begegnet – ihm möchte ich mich in einer kleinen losen Serie widmen. Und ich beginne mit … dem Hund.
Eine Geschichte der Missverständnisse
«Die Wirklichkeit des Hundes ist hinter einem Schleier menschlicher Wünsche und naiver Identifikationen verborgen», schreibt der deutsche Zoologe Joachim Illies. Eine Vielzahl von Analogien sprechen dem Hund Eigenschaften zu, die man mit Vorteil auf den Menschen überträgt. Eine der ältesten stammt von Platon, der die Hundenatur als ideale Eigenschaft für die Wächter des idealen Staates – will heissen: des Regimes einer Herrenrasse – preist. Hunde seien «philosophisch», nicht im Sinne der Weisheitsliebe, sondern der Gelehrigkeit. «Es ist edler Hunde Art, von Natur aus gegen Hausgenossen und Bekannte so sanft zu sein wie nur möglich, gegen Unbekannte aber ganz das Gegenteil.» (Das wird, nebenbei, heute auch von Pitbulls gesagt.) So gestaltet nach dem Vorbild von Hirt und Hund sollte nach Platon auch die Aufzucht der Wächter im idealen Staat sein: «Die Wächter sind dem Herrscher unterworfen wie Schäferhunde den Hirten des Gemeinwesens.»
Die Tendenz zur Vermenschlichung
Fraglich an solchen Analogien ist, ob es sich wirklich um Hundeeigenschaften oder eher um menschliche Projektionen auf den Hund handelt. Die Tendenz zur Vermenschlichung – der Anthropomorphismus – ist fast unumgänglich. Die Beziehung zwischen Mensch und Hund scheint oft enger zu sein als zwischen Mensch und Mensch. Nicht selten lesen wir unsere eigenen Temperamente und Neurosen in das Hundeverhalten hinein. Bezeichnenderweise bezieht sich schon das lateinische Wort «canis» sowohl auf Hunde wie auf bissige Menschen. Darf man also vielleicht in der Beisswut und Bösartigkeit des Hundes die heimliche Beisswut und Bösartigkeit seines Halters vermuten? Der Kulturphilosoph Hartmut Böhme hat vor einiger Zeit die These gewagt: «Wenn uns der Pitbull anspringt, so wütet, im Medium des Hundes, Mensch gegen Mensch. Im Grunde wissen wir das und verleugnen es immer wieder: Nicht die Kampfhunde in unseren Städten sind das Problem, sondern eine Zivilisation, die sich in ihnen ausdrückt.»
Die Tendenz zur Verhundung
Zur altbekannten Vermenschlichungstendenz gesellt sich quasi als Gegenpol die Verhundungstendenz. Damit meine ich ein Phänomen, das vor allem im urbanen Milieu zunehmend zu beobachten ist. Man begegnet heute vermehrt Mensch-Hunde-Paaren. Wenn die Verhaltensforscher sagen, der Hund nehme mich als Artgenossen wahr (Menschen sind auch bloss Hunde), dann ist das in dem Masse harmlos, in dem ich ihm als Artgenosse gleichgültig bin. Aber wenn ich irgendwo im öffentlichen Raum jogge und ein übermütiges Vieh rennt mir hinterher und springt an mir hoch, hört mein Verständnis als Mithund auf. Vor allem gegenüber Beschwichtigungen von Hundehaltern: «Er will ja nur spielen.» Solche kursorischen trivialpsychologischen Belehrungen über die gutartigen Motive ihres Hundes – mögen sie zutreffen oder nicht – haben für mich insgeheim stets etwas Zurechtweisendes, wie wenn man mir meine mangelnde Hundekonformität vorhielte: «Hab dich doch nicht so, sei ein gutes Mithundchen!»
Der Hund als «Ich-Erweiterung»
Waren es in früheren Stadien der Verhäuslichung seine «zivilen» Funktionen als Wach-, Hüte- oder Jagdhund, die man am ihm schätzte, so kommen heute in der Verstädterung des Hundes andere Seiten zum Vorschein. Zum Beispiel eine Verschiebung zu eher symbolischen Funktionen. So wie das Auto schon längst nicht mehr blosses Vehikel des schnelleren Transports ist, sondern Symbol eines Lifestyles, so wird auch der Hund zunehmend zum Ausdruck einer bestimmten, meist urbanen Lebensführung. Er wird zum Identifikations-Tier. Seine Rasse und Klasse spiegeln jene seines Halters. Man präsentiert sich, rüstet sich auf, reagiert sich ab «im» Hund. Er ist ein Mittel der Ich-Erweiterung. Vielleicht auch der Ich-Erhöhung. Denn, wie schon der Hundefreund Darwin erkannte, blickt der Hund zum Menschen auf wie zu Gott.
Der Hund als Gerät
Zur Vermenschlichung des Hundes gesellt sich seine Instrumentalisierung. Hunde sind auch nur Geräte, möchte man heute mehr denn je sagen. In den hochgezüchteten und abgerichteten Hunden als Kampfmaschinen oder Waffen begegnen uns bloss absonderliche Beispiele dafür, dass der Hund immer schon als Instrument gebraucht worden ist – als Alarmanlage, Sonde, Detektor, Ausrüstungsteil, Heilmittel, Krankheitsmodell, Versuchspräparat. Eigentlich ist der Hund ein Artefakt: Produkt des züchterischen Eingriffs in die Wildformen der Natur – Spiegel der Kunst, nicht der Natur, wie es bereits in der römischen Antike hiess (canis est speculum artis, non naturae).
Ersetzen wir das Wort «Kunst» einfach durch «Technik». Dann erscheint es nur logisch, dass die Zucht des Hundes immer mehr in die Domäne der Technologie hineingezogen wird, präziser: des Bio-Engineering. Was H. G.Wells am Ende des 19. Jahrhunderts in seinem Science-Fiction-Klassiker «Die Insel des Dr. Moreau» noch als Vision ausmalte – nämlich die Möglichkeit, Chimären über die Artengrenzen hinweg herzustellen –, ist heute Realität. Die Fusion von High-Tech und Evolutionsbiologie hat begonnen. Vor kurzem ist das Hundegenom kartiert und damit der alte Züchtungspark definitv verlassen worden. In Reichweite rückt jetzt die Produktion transgener Zwitterwesen mit Eigenschaften nach Wunsch und Belieben. Haarlose Pudel, oder Doggen mit Hörnern vielleicht. Und warum nicht zahnlose Pitbulls? Die Gentechnologie hat ihre Pandorabüchse geöffnet. Was aus ihr in Zukunft herausbellt, bleibt abzuwarten.
AIBO, der Hunderoboter
Es gibt nicht nur die Koevolution von Mensch und Tier, sondern zunehmend auch die Koevolution von Mensch und Maschine. Schon jetzt abzusehen ist eine andere Mutation des Mensch-Hund-Verhältnisses, nämlich die Mutation zu einem Mensch-Gerät-Verhältnis. Sie folgt der Logik der Domestikation. Wenn der Hund viele Ersatzfunktionen übernehmen kann, warum nicht auch ein Hunde-Roboter? In der Tat erhält der Hund heute Konkurrenz aus dem Reich der Artefakte. 1999 kam AIBO, der Roboterhund, auf den Markt (AIBO ist ein Kürzel für Artificial Intelligence and Robot; japanisch «Freund»).
2006 stellte Sony seine Produktion ein. Aber seit 2017 gibt es eine neue Version. Sie wird als «autonom» beworben und soll mit der Zeit eine eigene Persönlichkeit entwickeln. Über zwei Kameras und Mikrofone nimmt AIBO die Umgebung wahr und sein Lernprogramm wertet die gesammelten Daten aus. Er speichert alle Interaktionen und verbindet sich mit dem Internet, um Erfahrungen mit anderen Modellen auszutauschen.
Die «saubere» Interaktivität
Was macht die Attraktivität des elektrischen Hundes aus? Nichts könnte unhündischer sein als der matte metallische Glanz seiner Karosserie. Zyniker werden anmerken, dass der Hund in den modernen technisiert-urbanen Umwelten ohnehin zum treuen Trostgerät mutiert sei, sprich: zum kontrollierbaren und servilen Befehlsempfänger. Man schätze ihn dank maschinenartiger Eigenschaften, die man auch an Roboter delegieren könne. Der Reiz von Roboterhunden scheint in der Tat in ihrem Angebot an «sauberer» Interaktivität zu liegen, welche durch entsprechende Software fast beliebig erweitert werden kann. So gesehen ist der AIBO dem gewöhnlichen Hund sogar überlegen, der ja alle Nachteile der organischen Wetware mit sich bringt: Er muss Auslauf haben und gefüttert werden, haart, kotet ab, stinkt, beisst, wird krank, hat Schmerzen, stirbt. Und in diesem Licht betrachtet erscheint die Technologie des Roboterhundes geradezu als logische Fortsetzung der schon lange anhaltenden Koevolution von Mensch und Hund, die erst noch den Vorteil mit sich bringt, dass man den AIBO im Gegensatz zum Haushund (zumindest jetzt noch) problemlos ein- und ausschalten kann.
Sind wir auf den elektrischen Hund gekommen?
So weit möchte ich nicht gehen. Meine Schnappschüsse eines «zivilisierten» Verhältnisses zum Hund erinnern lediglich an die Geschichte einer Beziehung, deren heutige Auswüchse schon lange latent vorhanden waren; einer Zivilisation, die sich anschickt, im Leben primär Instrument, Sache, Ware, Accessoire zu sehen. Wenn wir also im Mensch-Hund-Verhältnis den eigentlichen Kern des Problems orten, machen wir darauf aufmerksam, dass es sich dabei im Kontext der Domestizierung von Anfang an um ein asymmetrisches Befehlen-Gehorchen-Verhältnis gehandelt hat. Sein Basismotiv: Disziplinierung, Kontrolle, Zurichtung, Verfügenwollen über das Tier, die Natur, die Zuchtnatur, die Techniknatur. Wir stehen heute auf der Schwelle zu einer Epoche, wo sich dieses Motiv triumphal auf die ganze Natur auszuweiten und entsprechende Wunschträume ihrer Neuerfindung zu nähren beginnt.
«Die Menschheit kann von nun an durchaus mit sich anfangen, was sie will», schrieb Friedrich Nietzsche in Menschliches Allzumenschliches. Der Hund ist ein zivilisatorischer Seismograph dafür, was wir Lebewesen antun können. Ich sage also nicht: Hunde sind Geräte. Ich sage: Hüten wir uns, in ihnen nur noch Geräte zu sehen. Der Blick richtet sich eher früher als später auf uns selbst zurück. Wir sind seine Nächsten.