Das 1941 am Broadway uraufgeführte Musical «Lady in the Dark» von Kurt Weill und Ira Gershwin/Moss Hart ist ein hybrides Werk – halb «Musical Play», halb Operette und Schauspiel, angereichert mit einem Schuss Psychologie und Psychotherapie. Es erfuhr nun am Theater Basel seine späte Schweizer Erstaufführung, die stürmisch gefeiert wurde.
Eine erfolgreiche Frau mit Burnout
«In the Dark» bezeichnet im Englischen sowohl «im Dunkeln» als auch «im Ungewissen». Und die nach aussen hin so erfolgreiche Titelheldin, ihres Zeichens Chefredakteurin eines Lifestyle-Magazins, driftet auf dem Höhepunkt ihrer Karriere auf ein Burnout zu und verliert plötzlich jegliche Entschluss- und Entscheidungskraft, bleibt also «in the dark».
In eine solche, für eine – damals wie auch noch heute – sich in einer Chefposition befindliche und allgemein bewunderte Frau wird dieser Zustand untragbar, und sie flüchtet in eine Psychotherapie. Sigmund Freud war gerade erst 1939 gestorben, und der vor den Nazis geflüchtete und nach Amerika ausgewanderte Kurt Weill war von Europa her bestens mit dem immer populärer werdenden Phänomen Psychologie vertraut.
Vier Traumerzählungen
Die Handlung entwickelt sich in logischer Folge vom Freud’schen Satz «Das Ich strebt nach Lust, will der Unlust ausweichen» durch alle Stationen der Selbstfindung der Lady namens Liza Elliott, wurde aber dramaturgisch vom Autor des Buches, dem New Yorker Bühnenautor Moss Hart, geschickt in vier grosse Traumerzählungen und Zwischenspiele aufgefächert: einen Glamour-Traum, einen Hochzeits-Traum, einen Zirkustraum und einen Kindheitstraum.
Diese Traumerzählungen mit den Lyrics von Ira Gershwin sind das musikalische Herzstück des Werkes. Sie könnten, ganz für sich allein, bereits eine grosse Oper darstellen, denn der Busoni-Schüler Kurt Weill entfaltete in ihnen sein ganzes ansehnliches Instrumentarium, welches jenes eines normalen Theaterorchesters wirkungsvoll erweitert. Er hatte ja seine unverwechselbare Mischung zwischen klassischer und moderner, dem Jazz und der Populärmusik samt profanem Gassenhauer gleichermassen zugewandte musikalische Sprache bereits in Europa mit seinen grössten bisherigen Erfolgen «Die Dreigroschenoper» (1928) und «Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny» (1930) in der Zusammenarbeit mit Bertold Brecht erfolgreich erproben können.
Der Basler Musikchef, der Amerikaner Thomas Wise, legte mit seinem tief in der Orchesterversenkung versteckten Orchester eine dramatische und mitreissende Interpretation vor, welche die Sängerschauspieler, Tänzer und vor allem (!) die Choristen des Basler Theaterchors ansteckte und zu Höchstleistungen auflaufen liess.
Ein Glücksfall
Eine ausserordentliche Leistung bot die Hauptdarstellerin des Abends, die Sängerin und Schauspielerin Delia Mayer, als Grenzgängerin zwischen Sprache, Tanz und Gesang auf die Bühne – ein absoluter Glücksfall für eine solches, alle Grenzen sprengendes Stück, das sowohl von ihr als auch den anderen zahlreichen Beteiligten viel abverlangte.
Natürlich wären auch hier Einzelleistungen hervorzuheben. Die stringente, einfallsreiche Regie von Martin G. Berger, wirkungsvoll unterstützt von der Bühnenbildnerin Sarah Katharina Karl hinterlässt jedoch einen derart homogenen Eindruck, dass der Abend wie aus einem Guss wirkte und alle Beteiligten zu Hochform aufliefen.
Das wurde denn auch vom Publiukum lautstark und lang anhaltend gefeiert.
Nächste Vorstellungen: 7.11., 4.12.