Die Berset-Nachfolge verspricht einiges an Spannung. Nicht zum ersten Mal, wie der Blick in die turbulente Geschichte der Bundesratswahlen zeigt.
Daniel Jositsch will. Der Zürcher SP-Ständerat hat sich schon mal auf Platz 1 des Bewerberfeldes um die Nachfolge seines Parteikollegen Alain Berset im Bundesrat gesetzt. Andere denken noch nach und klären ab. Die Basler vor allem, mit der Ständerätin Eva Herzog und dem Regierungspräsidenten Beat Jans. Die Berner (mit der Regierungsrätin Evi Allemann). Die Bündner (mit Nationalrat Jon Pult). Vielleicht auch die Waadtländer (mit Nationalrat Pierre-Yves Maillard). Man muss sich umhören. Denn Jositsch, dem weitherum Bundesrats-Eignung attestiert wird, obwohl er sich nie in einem Exekutivamt bewährt hat, hat Gegner, seitdem er, bei der letzten Vakanz, den Frauen und der eigenen Parteispitze in die Quere gekommen ist.
Ein allzu geschmeidiger Bewerber?
Wobei ihm nicht nur diese parteiinterne Frontlinie zu schaffen macht. Seine taktische Geschmeidigkeit wecke Misstrauen, fasst am Wochenende der Chefredaktor des «Sonntagsblick» die politische Jositsch-Kritik zusammen. «Im Frühjahr hielt er bei der Ständeratsdebatte über Waffen für die Ukraine eine Neutralitätsrede mit strengem Albisgütli-Stallgeruch. Er verfasst Gutachten für Milieu-Anwalt Valentin Landmann. Und während seine Genossen an Demos mitmarschieren, taucht er am <Weltwoche>-Fest auf. Was sein Wahlkomitee nicht von dem Aufruf abhielt, gemeinsam mit Jositsch <die SVP zu stoppen>.»
Noch ist also nichts entschieden, noch nicht einmal vorentschieden. Und die Journalisten hoffen natürlich auf das, was die Älteren am 7.Dezember 1983 erleben durften, als anstelle der vorgeschlagenen Lilian Uchtenhagen der von seiner SP bereits aufs Altenteil geschickte Solothurner Otto Stich nach der seither sprichwörtlichen «Nacht der langen Messer» in die Landesregierung spediert wird (was seine Partei in eine Bundesrats-Austrittsdebatte stürzt). Oder auf eine attraktiv-aufwühlende Hängepartie wie im März 1993, als zuerst die von der SP portierte Genfer Nationalrätin Christiane Brunner übergangen und der Neuenburger Staats- und Nationalrat Francis Matthey gewählt wird, dieser dann aber zugunsten der Gewerkschafterin Ruth Dreifuss verzichtet.
Offizielle Kandidaten zählen zuweilen wenig
So dramatisch wird es aber wohl nicht werden. Es wird sich auch nicht wiederholen, was am 10.Dezember 1940 geschieht, als auf Antrag des oppositionellen Landesrings der noch weitgehend unbekannte St.Galler Freisinnige Karl Kobelt sehr rasch den offiziellen Kandidaten der Partei aus dem Feld schlägt – ein bemerkenswertes Ereignis angesichts der damaligen Kräfteverhältnisse. Oder wie am 5.Dezember 1973, als gleich drei inoffizielle Bewerber (Hans Hürlimann, CVP, Willi Ritschard, SP, Georges-André Chevallaz, FDP) die offiziell vorgeschlagenen Enrico Franzoni (CVP), Arthur Schmid (SP) und Henri Schmitt (FDP) überrunden.
Schon hier zeigt sich: Jede Bundesratswahl entwickelt ihre eigenen Gesetzmässigkeiten. Manchmal geht es ruckzuck. Wie am 8.Dezember 1971 beim St.Galler CVP-Nationalrat Kurt Furgler oder am 14.Juni 2006 bei CVP-Präsidentin Doris Leuthard, die beide im ersten Wahlgang reüssieren. Dann wieder betritt – unter dem Protest ihrer Partei, der SVP – eine Unbekannte die Bühne wie am 12.Dezember 2007 die Bündner Regierungsrätin Eveline Widmer-Schlumpf, die im Zug von Chur nach Bern von ihrer Wahl (und von der Abwahl Christoph Blochers) erfährt. Um gleich beim Bild vom Zug zu bleiben: CVP und SP haben da, still und heimlich, die Notbremse gezogen.
Wie Philipp Etter in den Bundesrat kam
Der Normalfall ist das nicht. Aber der Normalfall ist auch die glatte Wahl als einziger Kandidat oder einzige Kandidatin - oder im Feld mit einem oder weiteren Vorschlägen - nicht unbedingt. Selbst scheinbare Überflieger müssen sich anstrengen. Wie der freisinnige Walliser Pascal Couchepin, der am 11.März 1998 fünf Wahlgänge benötigt, um seine Mitbewerberin Christiane Langenberger zu überrunden.
Was aber auffällt: Im Einzelfall kommt es weit mehr auf die Konstellation an als auf Bekanntheit. Als am 28.März 1934 der Zuger Regierungs- und Ständerat Philipp Etter als Vertreter der «Katholischen Volkspartei» - Vorgängerin der späteren CVP und der heutigen Mitte – in den Bundesrat einzieht, ist nicht nur er selber überrascht von der dringlichen Anfrage aus freisinnigen und KVP-Kreisen. Die ihn portieren, wollen nach dem irrlichternden Freiburger Jean-Marie Musy Ruhe in die Landesregierung bringen, und bekommen Recht. Etter wird 25 Jahre lang regieren, und sich so den Übernamen «Etternell» verdienen.
Philipp Etter kommt so überraschend zu seinem Amt wie am 1.Februar 1989 der freisinnige Luzerner Kaspar Villiger, den der erzwungene Rücktritt von Elisabeth Kopp in die Favoritenrolle katapultiert. Und auch sein Parteikollege, der Ausserrhoder Ständerat Hans-Rudolf Merz, macht am 10.Dezember 2003 «als Quereinsteiger spät, aber im Eiltempo Karriere», wie Othmar von Matt im von Urs Altermatt herausgegebenen Bundesratslexikon schreibt. Nachdem das Parlament dem SVP-Anführer Blocher seine Stimme gegeben habe, «setzte es im Sinn einer bürgerlichen Richtungswahl auf Merz, der als Mann der Wirtschaft vom rechten FDP-Flügel galt».
Samuel Schmid warnt vor Brandstiftern
Auch das freilich ist heute Schnee von gestern. Fünf Jahre vor Blochers Wahl in die Landesregierung hat SVP-Fraktionschef Samuel Schmid vor «zäuselnden Brandstiftern und Agitatoren» gewarnt, und ist, gegen seine Partei, in den Bundesrat gewählt worden. Schon 2007 ist das Kapitel Blocher auch schon wieder abgeschlossen, es ist eine Lehrstunde fürs Parlament.
So sollte es bleiben. Die Bundesversammlung wird gut daran tun, nicht auf die Agitatoren zu schauen, und auch nicht allzu sehr auf intellektuelle Überflieger. Denn oft entfalten die stillen, teamfähigen Schaffer im Kollektivgremium Bundesrat weit bessere Wirkung. Um es an einem Beispiel zu illustrieren: Was dem Überflieger Furgler verwehrt war, ist seinem Nachfolger, dem unauffälligen Innerrhoder Arnold Koller gelungen: erfolgreich die Bundesverfassung zu revidieren.