An seinem Sieg gibt es nichts zu rütteln. Laut den provisorischen Ergebnissen hat Daniel Ortega seinen stärksten Herausforderer, den 79-jährigen konservativen Medienunternehmer Fabio Gadea, deutlich hinter sich gelassen. Auch das frühere Staatsoberhaupt Arnoldo Alemán hatte gegen den amtierenden Präsidenten und Chef der legendären Sandinistischen Befreiungsfront keine Chance. Der 65 Jahre alte Alleinherrscher im rechtsgerichteten Partido Liberal Constitucionalista leistete Ortega sogar indirekt Wahlhilfe, spaltete er mit seiner Kandidatur doch die Opposition. Er bedankte sich damit gewissermassen dafür, dass er mit Ortegas gütiger Mithilfe auf die politische Bühne zurückkehren durfte. Alemán, der Nicaragua zwischen 1997 und 2002 regiert hatte, war 2003 wegen schwerer Korruption zu 20 Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden. Im Januar 2009 hob jedoch der mit Gefolgsleuten des Präsidenten besetzte Oberste Gerichtshof das Verdikt auf.
Almosen und religiöse Rhetorik
Der 65-jährige Ortega verdankt seinen erneuten Sieg einer Kombination von Hilfen für die Armen, die in Nicaragua immer noch rund die Hälfte der 5,7 Millionen Einwohner ausmachen, Steuergeschenken an Unternehmen und erzkatholischen Moralvorstellungen, die sich etwa darin äussern, dass heute selbst eine Abtreibung aus therapeutischen Gründen strafrechtlich verfolgt wird. Er selbst nannte im Wahlkampf das Leitmotiv seines politischen Handelns „christlich, sozial und solidarisch“. Und er sorgte dafür, dass sowohl im staatlichen Fernsehen als auch auf mehreren privaten Fernseh- und Radiokanälen, die von seinen Kindern kontrolliert werden, unablässig das hohe Lied seiner Sensibilität für die Nöte der wirtschaftlich und gesellschaftlich Benachteiligten gesungen wurde.
Sozialpolitik und Armutsbekämpfungen spielen heute in Nicaragua tatsächlich eine grössere Rolle als vor Ortegas Amtsantritt 2007. Nicht zuletzt deshalb, weil Venezuelas Staatschef Hugo Chávez dem zentralamerikanischen Staat Öl zu einem Freundschaftspreis liefert. Ortega verfügt damit ausserhalb des ordentlichen Staatshaushalts über Hunderte Millionen Dollar, die er nach seinem Gutdünken einsetzen kann.
Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) anerkennt in seinem Bericht 2010 die bildungspolitischen Erfolge seiner Regierung durch die Ausweitung des kostenlosen Schulbesuchs. Auch die Initiativen für eine bessere Gesundheitsversorgung und zur Verringerung des vor allem in ländlichen Gebieten weit verbreiteten sozialen Elends stufen die aussenstehenden Beobachter als ernstgemeint ein. „Aber“, so schränkt das deutsche Institut für Lateinamerika-Studien in einer kürzlich veröffentlichten Analyse ein, „alle diese Programme wurden nicht uneigennützig aufgelegt und dienen Ortega vor allem dazu, sich trotz der Aushebelung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit weiterhin den Zuspruch durch grosse Bevölkerungsteile zu sichern.“
Recht ist, was ihm nützt
Wie konsequent Ortega den Rechtsstaat untergräbt, zeigt sich am deutlichsten darin, dass er bei der Präsidentschaftswahl vom Sonntag erneut antrat, obwohl er eigentlich nicht durfte. Die nicaraguanische Verfassung verbietet sowohl eine direkte Wiederwahl als auch ein drittes Mandat. Damit wäre Ortegas Zeit als Staatschef Ende 2011 abgelaufen, hatte er doch von 1985 bis 1990 erstmals die Geschicke des Landes gelenkt und 2006 nach drei Niederlagen in Folge die Präsidentschaftskür überraschend erneut gewonnen.
Doch was kümmert Ortega das Grundgesetz, wenn es darum geht, an der Macht zu bleiben? Weil ihm für eine Verfassungsänderung die erforderliche Mehrheit im Parlament fehlte, wandte er sich kurzentschlossen an den von Sandinisten dominierten Obersten Gerichtshof, der den entsprechenden Artikel als verfassungswidrig erklärte und Ortega damit den Weg zur Wiederwahl ebnete.
Vom Sandinismo zum „Orteguismo“
Der unbändige Machthunger des Altrevolutionärs, seine liberale Wirtschaftspolitik, das ausufernde Klientelwesen und seine wenig nachhaltige Sozialpolitik haben den Präsidenten von vielen seiner ehemaligen Weggefährten entfremdet. Ortega war einer der Comandantes der Sandinistischen Befreiungsfront, die 1979 die Jahrzehnte lange Herrschaft des Somoza-Clan beendete und eine sozialistisch orientierte Regierung errichtete. Inzwischen ist aus dem Revolutionär ein Caudillo geworden, der um der Macht willen bedenkenlos alte Ideale über Bord geworfen hat. Er und seine Gattin Rosario Murillo, der er schon seit längerem einen grossen Teil der Regierungsgeschäfte überlässt, lenken den Staat wie eine Familien-GmbH, deren oberstes Ziel die Machterhaltung ist. Aus dem Sandinismo, klagen frühere Sympathisanten, sei ein „Orteguismo“ geworden. Nach dem ebenso zweifelhaften wie klaren Sieg ihres Ex-Compañeros am Sonntag werden sie wohl oder übel noch mindestens weitere fünf Jahre unter der Familienherrschaft der Ortegas leben müssen.
Die harte Hand des Ex-Generals
Während Ortega die Armutsbekämpfung in den Mittelpunkt seiner Wahlkampagne gestellt hatte, buhlte in Guatemala der frühere General Otto Pérez Molina mit dem Versprechen, die Kriminalität entschlossener zu bekämpfen als seine Vorgänger. Und er hatte Erfolg: Im zweiten Wahlgang besiegte er am Sonntag den populistischen politischen Quereinsteiger Manuel Baldizón.
Der 60-jährige Offizier im Ruhestand kündigte an, zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung das Militär stärker einzubeziehen. Guatemala hat weltweit eine der höchsten Mordraten. Tag für Tag sterben durchschnittlich 17 Menschen eines gewaltsamen Todes, rund 70 Prozent sind Opfer der organisierten Kriminalität. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass ein Grossteil der 14 Millionen Guatemalteken Hoffnungen in die von Pérez Molina propagierte Politik der harten Hand setzt und ihm ungeachtet seiner dunklen Vergangenheit die Stimme gegeben hat.
Menschenrechtsorganisationen beschuldigen den 60-jährigen, während des Bürgerkrieges (1960 – 1996), der 200 000 Tote forderte, als junger Offizier an mehreren Massakern beteiligt gewesen zu sein. Nachgewiesen konnte ihm jedoch nie etwas, und Pérez Molina hat die gegen ihn erhobenen Vorwürfe stets bestritten. Er präsentiert sich gern als Friedensstifter, weil er bei den Friedensverhandlungen der Regierung mit den Untergrundkämpfern das Militär vertrat. 2000 verliess er die Armee und stieg in die Politik ein. Vor vier Jahren strebte er erstmals nach dem Amt des Staatsoberhaupts, unterlag damals aber in der Stichwahl dem Ende dieses Jahres abtretenden Sozialdemokraten Álvaro Colom.
Die Erfolge von Ortega und Pérez Molina belegen, dass vielen Wählern in Zentralamerika demokratische und rechtsstaatliche Defizite zweitrangig erscheinen. Daran wird sich erst etwas ändern, wenn die Grundprobleme der Region, die soziale Ungleichheit und die Armut, angegangen werden. „Wenn“, wie das Institut für Lateinamerika-Studien es formulierte, „rechtsstaatliche und demokratische Verfahren gemeinsam mit einer aktiven Sozialpolitik die Grundlage des gesellschaftlichen Minimalkonsens darstellen.“ Solange dem nicht so ist, bleibt die Demokratie in Zentralamerika blockiert – und geben weiterhin Caudillos den Ton an.