Zur Abwechslung haben in New Hampshire, dem kleinen US-Staat im Nordosten des Landes, die unzähligen Meinungsumfragen korrekt prognostiziert. Überraschungen blieben aus, obwohl in einer Befragung kurz vor der Vorwahl noch mehr als die Hälfte republikanischer Wähler angegeben hatte, unentschlossen zu sein.
Doch am 9. Februar hat sich der Trend bestätigt, welcher sich bereits zu Beginn des Wahlkampfs im vergangenen Sommer abgezeichnet hatte: Donald Trump auf republikanischer und Bernie Sanders auf demokratischer Seite haben deutlich triumphiert, beides unkonventionelle Kandidaten, die es wagen, sich gegen das Establishment ihrer Partei zu stellen. Und die gerade deshalb von Wählerinnen und Wählern belohnt werden, die traditioneller amerikanischer Politik - „business as usual“ - überdrüssig sind.
Auf dem Boden der politischen Realität
Trumps deutlicher Erfolg in New Hampshire ist insofern überraschend, als etliche Beobachter gezweifelt hatten, ob es dem Kandidaten gelingen würde, seine guten Umfragewerte auf dem Boden der politischen Realität umzusetzen, d.h. ihm wohlgesinnte Wählerinnen und Wähler an einem Wintertag mit Schnee und Eis zur Urne zu bewegen. Anders als seine engsten Konkurrenten hatte es Donald Trump nicht für nötig befinden, in New Hampshire eine engagierte und loyale Wahlkampforganisation aufzubauen, deren Mitarbeiter mit Hausbesuchen und Telefonanrufen persönlich um Stimmen warben.
Trump, dessen Wahlkampfauftritte jeweils Tausende lautstarker Fans anziehen, räumt ein, es sei ihm nie in den Sinn gekommen, sich „am Boden“ entsprechend zu organisieren: „Ich dachte einfach, die Leute verlassen ihr Haus und gehen wählen.“ Auch in Fernsehwerbung hat der New Yorker Milliardär bisher nur wenig investiert. An Veranstaltungen pflegt er zu prahlen, er liege in Sachen Werbung „40 Millionen Dollar unter Budget“. Ob sich diese für ihn ungewohnte Zurückhaltung in einer späteren Phase des Wahlkampfs nicht rächt, ist eine offene Frage.
Unterschiedliche Visionen
Donald Trump wie Bernie Sanders gelingt es offenbar, mit ihren Visionen die Menschen anzusprechen, mögen diese Vorstellungen noch so utopisch sein. Geschäftsmann Trump verspricht ein starkes Amerika, dessen Feinde wie den "Islamischen Staat" er skrupellos vernichten und dessen Errungenschaften er gegen unerwünschte Einwanderer mit allen Mitteln verteidigen würde – etwa durch eine Mauer an der Grenze zu Mexiko. Sozialdemokrat Sanders indes plant eine Anhebung des Mindestlohns, freie Universitätsbildung und eine Reform des Gesundheitswesens, ohne allerdings zu präzisieren, wie genau er all diese an sich lobenswerten Vorhaben ausser über massive Steuererhöhungen für Wall Street und Wohlhabende finanzieren würde.
Es sind zwei Visionen von Amerika, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Wobei Trumps Vision von einer starken, selbstbestimmten Nation mit Aufstiegschancen für alle traditioneller ist als Sanders’ Vorstellung von einem fairen, gerechten Land, das sich auch um die sozial Schwachen kümmert.
Clinton: Verkörperung des alten Amerika
Donald Trump ist Amerikaner durch und durch, Bernie Sanders fast schon Europäer. Der Erfolg der beiden Politiker ist wohl auch Ausdruck dafür, wie gespalten angesichts des politischen Stillstands in Washington D.C. die amerikanische Bevölkerung ist. Furcht vor Neuem und Hoffnung auf Überwindung des Alten scheinen sich die Waage zu halten und noch ist unklar, welches Gefühlt auf Dauer obsiegen wird.
Hillary Clintons Pech ist es, gerade ihrer unbestrittenen politischen Erfahrung wegen für viele als Verkörperung des alten Amerika zu gelten. Nicht nur ist es ihr bisher im Wahlkampf missglückt, Junge zu überzeugen, auch Frauen werden von ihr weniger stark angezogen, als es noch 2008 der Fall war, als sie gegen Barack Obama antrat und es zumindest zeitweise so aussah, als könnte sie die erste Präsidentin der Vereinigten Staaten werden.
Sukkurs der NYT
Wenig geholfen hat Clinton auch die Unterstützung prominenter Amerikanerinnen wie der Feministin Gloria Steinem oder der früheren Aussenministerin Madeleine Albright. „Es gibt einen besonderen Platz in der Hölle für Frauen, die einander nicht helfen“, liess Albright Anhängerinnen der Kandidatin wissen – eine Bemerkung, an der sich vor allem jüngere Amerikanerinnen stossen, die sich als Bürgerinnen nicht nur auf ihr Geschlecht festlegen lassen wollen.
Ferner nicht eben hilfreich war anscheinend ein Meinungsbeitrag der „New York Times“. Deren noble Leitartikler empfahlen Ende Januar, Hillary Clinton als demokratische Kandidatin zu nominieren: „Wählerinnen und Wähler haben die Gelegenheit, sich für einen der breitest- und bestqualifizierten Präsidentschaftskandidaten der modernen Geschichte zu entscheiden“. Republikanische Kandidaten dagegen, so die „Times“, hätten die Nation mit leeren Propagandaslogans bombardiert und sich darum gestritten, wer die politisch am wenigsten erfahrene Person für den wichtigsten gewählten Job der Welt sei.
Auch der familiäre Support durch Gatte Bill und Tochter Chelsea hat sich für Hillary Clinton im Wahlkampf bisher eher als kontraproduktiv erwiesen – wohl nicht zuletzt deshalb, weil er den Eindruck bestärkt, da gelte es um jeden Preis eine Dynastie zu stärken. Doch dürfte die Kandidatin in künftigen Vorwahlen stärker als im überwiegend weissen New Hampshire auf die Unterstützung der Afroamerikaner und der Latinos zählen können. Die Tests am 20. Februar in Nevada, wo in Las Vegas und Reno viele Latinos arbeiten und am 27. Februar in South Carolina, von dessen 4,9 Millionen Einwohnern fast jeder Dritte schwarz ist, werden es zeigen.
Enttäuschender Rubio
Enttäuschend ist der Ausgang in New Hampshire für Senator Marco Rubio, der in Iowa mit einem dritten Platz wider Erwarten gut abgeschnitten hatte und in der Folge das republikanische Establishment hoffen liess, es könnte ihm im weiteren Verlauf des Wahlkampfs gelingen, Donald Trump und Senator Ted Cruz (Texas) zu überholen. Die beiden sind den Granden der Partei zutiefst verhasst, weil sie deren Deutungs- und Entscheidungshoheit an sich gerissen haben. Die Spitzen der GOP sind überzeugt, dass sich im November die Wahl weder mit Trump noch mit Cruz gewinnen lässt. Ihr Favorit ist der 44-jährige Senator aus Florida.
Doch Marco Rubio versagte in der letzten Fernsehdebatte vor dem Urnengang in New Hampshire und liess sich am Bildschirm von einem politisch erfahreneren Konkurrenten wie Gouverneur Chris Christie (New Jersey) vorführen. Am Ende landete Marco Rubio lediglich noch auf Platz fünf, hinter Donald Trump, Gouverneur John Kasich (Ohio). Senator Ted Cruz und Ex-Gouverneur Jeb Bush (Florida). Das „momentum“ des Latino, dessen Eltern aus Kuba eingewandert sind, scheint zumindest vorläufig gestoppt zu sein. Ihn schon abzuschreiben ist wohl ebenso verfrüht.
Kühlen Kopf bewahren
Dagegen überrascht der zweite Platz von John Kasich, der zuvor im Wahlkampf eher unscheinbar geblieben war. Für ihn haben Wählerinnen und Wähler gestimmt, die sich selbst als gemässigt und unabhängig beschreiben und die den Pragmatismus sowie den Optimismus des Kandidaten loben. „Wir sind nie negativ geworden, weil es uns wichtiger ist, Gutes zu verkaufen als andere zu kritisieren“, sagte Kasich nach der Wahl: „Wir wollen Amerika wieder hell scheinen lassen, den amerikanischen Geist wiedererwecken und niemanden zurücklassen.“
Delegiertenstimmen derweil waren in New Hampshire nicht viele zu gewinnen: 23 auf republikanischer, 32 auf demokratischer Seite. Um an den Parteikongressen im Sommer nominiert zu werden, sind je über 1000 Stimmen erforderlich. Trotzdem ist nach den Parteiversammlungen in Iowa ein gutes Abschneiden in der ersten richtigen Vorwahl wichtig: Es beschert einem Kandidaten ähnlich einem Sportler das schwer zu definierende „momentum“ und es zeigt potenziellen Wählern und Geldgebern, dass die Marschrichtung stimmt. Für die Kandidaten, schreibt die “New York Times“, sei es nun wichtig, angesichts der jüngsten Ergebnisse kühlen Kopf zu bewahren und sich nicht irritieren zu lassen.
Obama nachtrauern
Und was bedeutet die ganze Entwicklung für Barack Obama? David Brooks, ein konservativer Kolumnist der “Times“ und kein Freund der Demokraten, ist Anfang Woche zum Schluss gekommen, er traure bereits dem Präsidenten nach – allen Differenzen und Vorbehalten zum Trotz. Moralist Brooks konstatiert, was den US-Wahlkampf betrifft, einen allgemeinen Sittenzerfall, einen Mangel an Charakter und Führungsqualitäten.
Zwar habe sich Barack Obama, so Brooks, im Amt allzu häufig als verächtlich, abgehoben, nachtragend und isoliert gezeigt. Doch allmählich verbreite sich ein Tonfall der Hässlichkeit über die Welt, während Demokratien schwächer würden, das Stammesdenken wachse und Misstrauen sowie Herrschaftssucht in den Mittelpunkt rückten: „Obama (dagegen) strahlt einen Geist der Integrität, der Humanität, guter Manieren und der Eleganz aus, den ich schon zu vermissen beginne und den wir, fürchte ich, alle ziemlich vermissen werden, egal wer ihm nachfolgt.“