In der langfristigen Betrachtung kann die schweizerische SP zufrieden sein: Sie war es, die vor mehreren Jahrzehnten die ökologische Frage auf den Tisch gelegt hat, als es weit und breit noch keine Grünen gab. Diese kamen in Deutschland auf, und zwar deshalb, weil die deutschen Sozialdemokraten für Ökologisches damals kein Musikgehör hatten. Dass grüne Parteien in der Folge europaweit gegründet wurden, ist logisch und auch positiv zu bewerten.
Die ökologische Frage hat die Wahlen 2019 weitgehend dominiert und das Feld der ökologisch Motivierten hat sich massiv verbreitert. Dies bedeutet eine reiche Ernte für die politische Ausrichtung, die von der SP vor Jahrzenten begründet worden ist. Erfahrungsgemäss passieren solche Durchbrüche oft dann, wenn man nicht mehr weiss, woher die Idee eigentlich gekommen ist. Wenn eine Idee politisch einmal reif geworden ist, setzt sie sich meistens genau dann durch, wenn sich ihre Träger vervielfältigt haben. Genau das ist bei den Wahlen 2019 passiert.
Jetzt braucht die SP ein neues Vorreiterthema, und zwar eines, das mindestens so quer liegt wie damals die Ökologie, gleichsam als Alleinstellungsmerkmal der Partei. Die ökologische Fragestellung hat sich durchgesetzt, sie verschiebt sich in die Phase der tagespolitischen Umsetzung, und die SP wird sie im Verbund mit den grünen Parteien voranbringen, wie sie es schon seit dem Auftauchen dieser Parteien auf der politischen Bühne gewohnt ist. Neben diesem tagespolitischen Geschäft braucht die SP aber auch einen zukunftsorientierten Schwerpunkt, der durchaus kontrovers und „sperrig“ sein soll. Das war die Ökologie vor Jahrzehnten auch.
Das Thema liegt bereits auf dem Tisch und heisst „Europa“. Damit ist nicht vor allem die Auseinandersetzung mit dem Rahmenabkommen gemeint, denn dies gehört zur tagespolitischen Notwendigkeit der Wahrung schweizerischer Interessen. Das eigentliche Vorreiterthema kann nur der Beitritt der Schweiz zur Europäischen Union sein. Dieses Thema garantiert nicht nur die Alleinstellung, sondern es fügt sich ein in die Grundhaltung der Sozialdemokratie und ihrer internationalen Verantwortung. Das Ignorieren der Beitrittsfrage kommt einer Politik-Verweigerung im Rahmen der EU gleich und passt eigentlich schlecht zu dieser internationalen Verantwortung.
Nach den Wahlen ist der Raum frei für eine neue Themensetzung. Mit der ökologischen Frage hat die SP damals ein entscheidendes Thema gesetzt. „Themen Setzen“ hat immer zu den vornehmsten Aufgaben dieser Partei gehört, sei dies anfänglich vor allem im Bereich der Sozialpolitik, dann in der Ökologie oder nun eben auch im Bereich der internationalen Verantwortung gegenüber Europa.