Es ist eine alte Wahrheit, dass Kriege nicht nur mit Waffen, sondern auch mit Worten und Bildern sowie neuerdings über soziale Medien ausgefochten werden. Das trifft auch auf den jüngsten Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern in Gaza zu. Das Gefecht an der Propagandafront ist für beide Seiten so wichtig wie der Kampf an der Kriegsfront.
Für Aussenstehende ist es meist nicht möglich, die Wahrheit zu eruieren, wie zum Beispiel jüngst am Montag, als in Gaza Raketen das Shifa-Spital und den nahe gelegenen Park eines Flüchtlingslagers trafen. Zehn Kinder, die im Park spielten, wurden getötet, 46 Menschen verletzt. Während die Hamas die Israelis beschuldigte, das Spital aus der Luft attackiert zu haben, liess ein israelischer Armeesprecher verlauten, „Terroristen in Gaza“ hätten mit irregeleiteten Raketen ihre eigenen Leute getroffen.
Im Allgemeinen gelten die Israelis in Sachen Public Relations als ungleich stärker als die Palästinenser, obwohl die „New York Times“ vergangene Woche berichtet hat, Auslandkorrespondenten in Israel würden sich über Einschüchterungsversuche seitens von Einheimischen beklagen - keine gute PR. Aus Gaza City derweil meldeten die britischen „Channel 4 News“ feindselige Reaktionen einzelner Bewohner eines zerstörten Quartiers. Auch wurden am Montag Fernsehteams daran gehindert, beim Shifa-Spital zu filmen.
Avi Shlaim, emeritierter Politologe der Universität Oxford, stellt in einem Meinungsbeitrag für den Londoner „Independent“ die Frage, ob es für die Medien in einem asymmetrischen Krieg wie jenem in Gaza möglich sei, ausgeglichen zu berichten. Dies, nachdem der BBC sowohl von Anhängern Israels wie von Sympathisanten der Palästinenser vorgeworfen worden ist, einseitig über den Konflikt zu berichten und es zu versäumen, das aktuelle Geschehen in einen historischen Kontext zu stellen.
Der israelische Historiker verweist auf an einen Report, den die BBC 2006 bei einem unabhängigen Gremium in Auftrag gab, um ihre Berichterstattung über den israelisch-palästinensischen Konflikt grundsätzlich evaluieren zu lassen. Die Verfasser des Berichts fanden damals keine Belege für eine bewusst einseitige Berichterstattung des Senders. Was sie aber feststellten, war „ein Versagen, die Ungleichheit der israelischen und der palästinensischen Erfahrung angemessen zu vermitteln und den Umstand zu berücksichtigen, dass die eine Seite die Kontrolle hat und die andere unter Besatzung lebt.“
Angesichts dieser Asymmetrie, so Shlaim, erweckten die Bemühungen der BBC um Ausgeglichenheit den Eindruck, beide Seiten seien gleich stark, was grundsätzlich, obwohl unbeabsichtigt, irreführend sei. Im heutigen Fall sei die BBC aber ernsthaft gewillt, einige dieser Schwachpunkte zu korrigieren.
Auch Avi Shlaim zweifelt jedoch nicht daran, dass Israel als die stärkere Seite im Propagandakrieg in der besseren Lage ist, seine Interpretation der Geschichte durchzusetzen, nicht nur was die Vergangenheit, sondern auch was die Gegenwart betrifft: „Und nach meiner Meinung als revisionistischer israelischer Historiker beinhaltet diese Erzählweise fundamentale Fehler.“
Apropos PR: Die Foreign Press Association in Tel Aviv beschwerte sich unter andrem über einen Angriff von Israels Verteidigungsstreitkräften (IDF) auf die Büros von „Al Jazeera“ im 11. Stock eines Bürohauses in Gaza City. Die Attacke erfolgte nur einen Tag, nachdem Jerusalems Aussenminister Avigdor Liberman den Fernsehsender aus Katar als „Hauptstütze des Propagandasystems der Hamas“ kritisiert und mit der antisemitischen Wochenzeitung „Der Stürmer“ der Nationalsozialisten verglichen hatte – nicht eben ein Beispiel geglückter staatlicher Öffentlichkeitsarbeit. Die israelische Armee entschuldigte sich jedenfalls für den Angriff auf „Al Jazeera“ und versprach, den Vorfall zu untersuchen.
Ungeschickt waren vergangene Woche dem „New Yorker“ zufolge auch Äusserungen des israelischen Botschafters in Washington DC. Ron Dermer schlug bei einem Treffen christlicher Anhänger Israels allen Ernstes vor, die IDF seien mit dem Friedensnobelpreis auszuzeichnen für die „unvorstellbare Zurückhaltung“ und die Humanität ihrer Angriffe in Gaza – ihre Warnbomben, ihre Textbotschaften und ihre Telefonanrufe an die Adresse von Zivilisten. „Die Familie Bakr in Gaza City“, kommentierte Chefredaktor David Remnick, „die vier Kinder bei einem Angriff auf den Strand verlor, dürfte eine Einladung nach Oslo ausschlagen.“
Bis Dienstag hatten die Palästinenser in Gaza laut „New York Times“ 1095 Tote zu beklagen. Die Zahl der Verletzten wurde auf mindestens 6000 geschätzt. Die Israelis derweil trauerten um 56 Menschen, in der Mehrzahl Soldaten. Er toleriere, hatte Botschafter Dermer in DC gesagt, keine Kritik seines Landes zu einem Zeitpunkt, „da israelische Soldaten sterben, damit unschuldige Palästinenser leben können.“
Die Logik des Diplomaten erinnert von fern an die Rechtfertigung jenes Majors der US-Armee, den AP-Reporter Peter Arnett Anfang Februar 1968 nach rücksichtslosen Luft- und Artillerieangriffen der Amerikaner auf die vietnamesische Provinzhauptstadt Bén Tre mit folgenden Worten zitierte: “Es war notwendig, die Stadt zu zerstören, um sie zu retten.“
An Vietnam lassen ferner die Tunnels der Hamas denken, deren Zerstörung das Ziel der israelischen Bodenoffensive ist. Israelischen Quellen zufolge sind seit dem 17. Juli 31 Tunnels gefunden und 15 zerstört worden. „Es kann nicht sein, dass die Bürger des Staates Israel unter der tödlichen Bedrohung durch Raketen und der Infiltration durch Tunnels leben – Tod von oben und Tod von unten“, sagte Premierminister Benjamin Netanyahu am Montagabend, nachdem militante Palästinenser durch einen Tunnel auf israelisches Gebiet vorgedrungen waren und mehrere Soldaten der IDF getötet hatten.
Experten zufolge ist die militärische Wirkung von Tunnels seit jeher gering. Umso grösser ist dafür ihre psychologische Wirkung auf gegnerische Soldaten und auf Zivilisten – „als ob der Teufel selbst aus der Hölle steige, um auf Erden Qualen zu verbreiten“, argumentiert Gerard DeGroot von der St. Andrews Universität in Schottland. Dem Historiker zufolge wächst die Wirkung von Tunnels in asymmetrischen Konflikten wie jenem in Gaza: „Ein Feind, der im Untergrund und unsichtbar bleibt, ist ein Multiplikator, der die Moral korrodiert – bedrohlich ist weniger, was ein paar Tunnelkämpfer anzurichten vermögen, als der Umstand, dass sie jederzeit und überall auftauchen können.“
Die wichtigste Funktion von Tunnels ist Professor DeGroot zufolge ihr Propagandawert. Die Vorstellung, dass Tunnels allein den Verlauf des israelisch-palästinensischen Konflikts ändern könnten, sei Unsinn – ein Unsinn allerdings, der den Palästinensern Mut gebe: „ Der Tunnel ist ein wirksames Symbol der Solidarität und des Kampfes.“. Umgekehrt dienten die Tunnels den Israelis dazu, nach aussen den Eindruck einer bedrohten Nation zu vermitteln. Vereinzelt sind denn auch schon Journalisten von den IDF zu Tunnelbegehungen eingeladen worden.
Gleichzeitig beklagt der israelische Autor Etgar Keret im „New Yorker“ den Umstand, dass in seinem Land Kritiker des Vorgehens der IDF von rechter Seite zunehmend als Landesverräter verunglimpft würden, weil sie die Armee nicht gewinnen liessen: „Wir sehen uns mit der falschen, anti-demokratischen Gleichsetzung konfrontiert, wonach Aggression, Rassismus und Mangel an Empathie gleich bedeutend sind mit Heimatliebe, während jede andere Meinung – vor allem eine, die nicht den Einsatz von Gewalt und den Verlust von Soldatenleben ermutigt - nichts Geringeres ist als ein Versuch, das heutige Israel zu zerstören.“
Zweifellos, schreibt der 47-Jähriger, stelle die Hamas eine Gefahr für die Sicherheit Israels und seiner Kinder dar. Doch das gelte wohl nicht für all jene im Lande, die nun verteufelt und bedroht würden, weil sie sich öffentlich über den Tod palästinensischer Kinder bestürzt gezeigt hätten. Die IDF, argumentiert Etgar Keret, könnten zwar ihre Schlachten gewinnen, doch Friede und Ruhe für die Bürger Israels seien „nur durch politischen Kompromiss“ zu erreichen.
Unlängst hat der Londoner „Independent“ berichtet, dass sich Israels Regierungssprecher bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit auf ein Geheimpapier des amerikanischen Meinungsforschers Frank Luntz abstützen würden. Die Interessengruppe „The Israel Project“ gab die Studie 2009 in Auftrag für all jene, „die sich für Israel an der Front des Medienkrieges befinden.“
Die Folgerungen des Papiers sind laut Nahostkorrespondent Patrick Cockburn „äusserst erhellend, was den Graben betrifft zwischen dem, was israelische Regierungsvertreter und Politiker wirklich glauben, und dem, was sie sagen, Letzteres aufgrund von Umfragen genau dahingehend formuliert, was Amerikaner gerne hören“.
So empfiehlt Frank Luntz, der der republikanischen Partei nahe steht, zum Beispiel, Offizielle sollten bezüglich des Rechte der Palästinenser auf Rückkehr in jene Gebiete, aus denen sie 1948 und später vertrieben wurden oder flohen, statt von einem „Recht“ von einer „Forderung“ reden, weil Amerikaner Leute nicht mögen würden, die Forderungen stellten: „Dann fügen Sie bei, ‚ Palästinenser geben sich nicht mit ihrem eigenen Staat zufrieden. Nun fordern sie Territorium innerhalb Israels‘“. Opportun sei es, davon zu reden, dass das Recht auf Rückkehr unter Umständen Teil einer abschliessenden Lösung „zu einem späteren Zeitpunkt“ werde.
Das 112-seitige Geheimpapier räumt ein, dass die israelische Regierung im Grunde keine Zwei-Staaten-Lösung will. Das aber müsse angesichts des Umstandes, dass fast 78 Prozent der Amerikaner eine solche befürworten, unerwähnt bleiben. Hingegen solle jeweils Hoffnung auf eine Besserung der palästinensischen Wirtschaftslage geäussert werden.
Fett, mit Grossbuchstaben und unterstrichen warnt die Studie israelische Regierungssprecher und Politiker davor, je „das absichtliche Töten von unschuldigen Frauen und Kindern gutzuheissen“ und rät, all jenen aggressiv zu begegnen, die Israel eines solchen Verbrechens bezichtigten. Ein wirkungsvoller israelischer „sound bite“ ist laut Luntz am Ende der folgende: „Mein Mitgefühl gilt im Besondern palästinensischen Müttern, die ihre Kinder verloren haben. Keine Eltern sollten ihre Kinder begraben müssen.“
Quellen: „The New Yorker“; „The New York Times“; “The Washington Post”; „The Guardian“; “The Independent”, “The Times of Israel”; Wikipedia