Haytham Manna vom Syrischen Nationalen Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel (NCC) betont nimmermüde: Der Sturz des syrischen Regimes sei ein langwieriger Prozess, zumal jede ausländische Intervention strikt ablzuehnen sei. Ahmed Riad al-Shaqfa vom Syrischen Nationalrat (SNC) sieht dies ganz anders: Wenn Damaskus den Aufstand weiterhin blutig niederschlage, müsse eine Flugverbotszone erwogen werden, sagt der Vorsitzende der syrischen Muslimbrüder.
Streitpunkt: Militärische Intervention
Die Fronten zwischen den beiden grossen syrischen Oppositionsblöcken scheinen somit klar: der NCC empfindet jeden ausländischen Militäreingriff als Besatzung, der SNC eher als Befreiung. Wie eine solche aber allein schon rechtlich zustande kommen soll, bleibt offen. Selbst wenn westliche Politiker das libysche Muster wiederholten wollten (wofür es bislang keine Anzeichen gibt), würde die hierzu nötige Resolution am Veto Russlands und Chinas scheitern. Auch Burhan Ghalioun, der Vorsitzende des SNC, weiss dies und erklärte nun gegenüber libanesischen Medien, dass der SNC eine von der NATO oder sonstigen Organisationen autorisierte Intervention ebenso ablehne wie eine waffenfreie Pufferzone entlang syrischer Grenzen. Damit scheint der Vorsitzende die Linie seines eigenen Gremiums zu konterkarieren und sich dem NCC anzunähern (in dessen Lager er tatsächlich bis September stand).
Doch der Eindruck täuscht. Ghalioun will vielmehr die UN-Charta zum internationalen Kriegsvölkerrecht angewandt sehen und zwar speziell deren Klausel zum Schutz von Zivilpersonen im Krieg. Diese soll durch internationale und arabische Beobachter, ausländische Medien und Hilfsorganisationen sowie durch massivere Sanktionen umgesetzt werden. Den doppelten Haken daran – eine sich abschottende syrische Diktatur und ein Sanktionen gegenüber abgeneigtes Russland und China - verdrängt Ghalioun offensichtlich. Möglicherweise übt sich der auf dem politischen Parkett noch unerfahrene Intellektuelle aber auch nur im Schönreden. So erklärte er noch vor zwei Wochen, dass die gesamte UN-Charta zum internationalen Kriegsvölkerrecht auf Syrien anzuwenden sei. Dies aber ermöglicht letztlich nichts anderes als eine militärische Intervention à la Libyen.
Exklusive Treffen mit Hillary Clinton
Ghaliouns Zick-Zack-Kurs könnte freilich damit erklärt werden, dass die Entwicklung eines politischen Programms mehr Zeit benötigt als die wenigen Wochen, die seit Gründung des SNC im September verstrichen. Sie könnte aber auch damit erklärt werden, dass der säkulare Ghalioun selbst mit der Leitlinie des SNC hadert. So betonte er Anfang September in einem Telefonat mit Journal 21 noch seine Aversion gegenüber ausländischen Agenden. Gerade diese spielen aber wohl eine Rolle in dem Gremium, ist doch die Präsenz (moderater) Islamisten unter seinen Mitgliedern auffällig, vor allem in Gestalt der sogenannten „Unabhängigen“, die keiner Organisation angehören. Etwa der 29-jährige Muhammad al-Abdallah (Sohn einer prominenten Dissidentenfamilie und erklärter Hizbollah-Gegner) oder der 32-jährige Radwan Ziadeh (einstiger Student am rechtsorientierten United States Institute for Peace in Washington).
Beide wurden im August von Hillary Clinton ins Weisse Haus gebeten – eine Einladung, die andere ethnische oder religiöse Fraktionen überging, was Syriens Minoritäten, die sich vor dem Sturz des säkularen Regime ohnedies fürchten, zusätzlich verunsicherte. Dies wie auch die Finanzspritzen, die das State Department Oppositionellen gewährte, die dem SNC nahe stehen, schürte das Misstrauen des NCC. Haytham Manna machte dies unlängst deutlich, indem er den SNC in der libanesischen Zeitung „Al Akhbar“ beschuldigte, „Syriens Washington Club“ zu sein. Eine Unverhohlenheit, die er bislang nur in der arabischsprachigen Welt an den Tag legt, doch der Tonfall zwischen den Oppositionsblöcken wird auch so unüberhörbar rauher.
Fragwürdiges Demokratieverständnis
So etwa als die NCC-Mitglieder Michel Kilo und Fayez Sara am 13. Oktober ein Symposium am Pariser Institut iReMMO abhalten wollten. In letzter Minute sagte dieses ab – angeblich auf Wunsch des seit Jahrzehnten an der Pariser Sorbonne lehrenden Ghalioun. Umso bemerkenswerter ist, dass Sara wie auch Kilo, der noch in Paris den mangelnden Meinungspluralismus im SNC kritisiert hatte, kurz darauf aus dem NCC ausschieden. Sara soll gar mittlerweile in den SNC übergewechselt sein - infolge von dessen gezielten Abwerbekampagnen. Ob die Mutmassungen stimmen, sei dahingestellt. Unbestreitbar aber ist die Aggressivität, mit der sich das Gremium, das bislang noch von keiner Staatsregierung offiziell anerkannt wurde, als einziges Oppositionsforum platzieren will. So sorgten die dem SNC angehörenden Koordinationsgruppierungen dafür, dass das Motto der Freitagsdemonstrationen vom 7. Oktober lautete: „Der SNC repräsentiert mich“.
Jeder ist ein Agent
Der NCC verurteilte dies scharf und verwies darauf, dass er als Dachverband von 18 verbotenen syrischen Parteien „80 Prozent der Opposition im In- wie Ausland“ stelle. Glaubt man jedoch syrischen Bloggern, verliert das Lager an Boden. So beschuldigen einige auf dem beliebten Gemeinschaftsblog the-syrian.com Haytham Manna, selbst in ausländischen Diensten zu stehen – in diesem Fall denen von Moskau, das um seinen Einfluss im arabischen Raum ringt. Ein Grund für die Verdächtigung Mannas liegt denn nicht zuletzt darin, dass der NCC so vehement westliche Interventionen ablehnt. „Das syrische Volk aber benötigt Hilfe, und zwar rasch. Allein ist es am Ende“, lautet der Tenor der Blogger.
Und tatsächlich: Viel Beistand erhielten die demonstrierenden Syrer von ihren Repräsentanten bislang nicht. Im Gegenteil.