Die wenigen Prozente, die das Auslandbanking zum Brutto-Inlandprodukt beiträgt, bringen wenig Wertschöpfung, aber viel Schande für die Schweiz. «Suissesecrets» bringt einen neuen immensen Skandal ans Tageslicht.
Der Anteil des Finanzplatzes am schweizerischen BIP, also der gesamten nationalen Wertschöpfung, beträgt knapp zehn Prozent. Davon entfällt ungefähr die Hälfte auf Versicherungen, einen guten Teil des Restes liefert das inländische Bankgeschäft. Es bleiben also lediglich ganz wenige Prozente, welche durch das Auslandbanking – das Geschäft der Schweizer Banken im Ausland und mit Ausländern – erwirtschaftet werden. Letzteres schädigt notorisch den guten Ruf der Schweiz.
Suissesecrets
«Suissesecrets» ist der Codename eines neuen immensen Skandals, welcher dank Whistleblowing und dem investigativen Journalismus des Rechercheteams der «Süddeutschen Zeitung» aufgedeckt worden ist. Es ist das gleiche Team, welches schon die Panama Papers, die Ibiza-Affaire um den rechtspopulistischen Minister Strache in Österreich und andere Affären ans Licht der Öffentlichkeit gezogen hat.
Auf der Basis von Tausenden Kontoauszügen, welche ihnen anonym zugespielt worden sind, zeigen Hannes Munzinger, Frederik Obermaier und Bastian Obermayer in ihrem Buch «Schweizer Geheimnisse» auf, dass die Credit Suisse, entgegen den klaren Gesetzesbestimmung und trotz wiederholten ausdrücklichen Beteuerungen, sich zu bessern, grosse Summen von schmutzigem Geld entgegengenommen hat.
Die lange Reihe der einzelner Vergehen wird am besten mit dem Untertitel des Buches zusammengefasst: «Wie Banker das Geld von Steuerhinterziehern, Foltergenerälen, Diktatoren und der katholischen Kirche versteckt haben – mit Hilfe der Politik».
Rüge der Uno
Der Nachsatz «mit Hilfe der Politik» spricht zwei gravierende staatsrechtliche Probleme der Schweiz an.
Das erste Problem: Artikel 47 des Bankengesetzes verbietet Journalisten unter Androhung von Gefängnisstrafen, mit geheimen Bankdaten zu arbeiten. Im Falle von Suissesecrets bedeutete dies, dass sich das auch international reputierte Investigationsteam des Zürcher «Tagesanzeigers» um Oliver Zihlmann, anders als bei der Aufdeckung früherer Skandale, nicht an Suissesecrets beteiligen konnte.
Die deutschen Ermittler ihrerseits riskieren Gefängnisstrafen, sollten sie in der Schweiz verhaftet werden. Artikel 47 widerspricht der Uno-Menschenrechtskonvention. Dies stellt ein Bericht fest, welcher Ende Juni dem Uno-Menschenrechtsrat vorliegen wird. Dem Gremium also, das mit aktiver Teilhabe der offiziellen Schweiz geschaffen wurde, dem wir angehören und auf das wir immer wieder stolz hinweisen zur Untermauerung des schweizerischen Einsatzes für die Menschenrechte.
Dank Suissesecrets ist dieser offensichtliche Missstand ins öffentliche Bewusstsein gerückt und wird die schweizerische Politik in den kommenden Wochen umtreiben. Von links bis weit in die Mitte des politischen Spektrums wird rasche Abhilfe gefordert.
Whistleblowing
Das zweite Problem: Es fehlt in der Schweiz, anders als in vergleichbaren Staaten, weiterhin ein Gesetz zum Schutz von Whistleblowing in der Schweiz. Verschiedene legislative Versuche wurden immer wieder erfolgreich ausgebremst durch jene politischen Kräfte, welche auch in der Vergangenheit zähe, aber letztlich erfolglose Rückzugsgefechte lieferten beim Abbau des Bankgeheimnisses. Wie Suissesecrets zeigt, ist dieser Abbau allerdings nur teilweise erfolgt.
Neben der rechten Seite des politischen Spektrums zählen zu den Verhinderern namentlich die Lobby der Nichtbanken-Finanzverwalter und Anwaltsbüros, welche Geld für ihre Kunden anlegen. Sie machen in allerjüngster Zeit von sich reden, weil es Ihnen offensichtlich gelungen ist, eine an sich klare Weisung der Bundesbehörden zur Meldung russischer Vermögenswerte zu verwedeln. Das ist in einem Masse geschehen, dass Zweifel aufkommen, ob der Finanzplatz Schweiz bei der Durchführung internationaler Verpflichtungen ebenso gründlich vorgeht wie bei der Annahme von Geldern.
Russische Potentatengelder
Die Schweiz hat alle EU-Sanktionen übernommen und damit auch die meisten der von den USA erlassenen. Die Umsetzung dieser Massnahmen ist aber ins Zwielicht geraten. So jedenfalls die Meinung der US-amerikanischen Helsinki Commission, welche in einem öffentlichen Hearing moniert, dass von den geschätzten rund 200 Milliarden russischer Vermögenswerte in der Schweiz – eine Zahl, welche auch von der schweizerischen Bankiervereinigung genannt worden ist – bislang nur rund 10 Milliarden sequestriert worden sind.
Nun ist diese Helsinki Commission nicht die amerikanische Regierung. Aber man kennt den Ablauf aus der Vergangenheit. Vom Hearing führt er in ein Büro im US-Senat, von da in die amerikanische Gesetzgebung oder doch zur Vorladung der offiziellen Schweiz und der vermuteten Missetäter. Bereits ist also der nächste «Schwitzkasten» vorauszusehen, in welchen die Schweiz in Washington geraten wird.
Nur ein schwarzes Schaf?
In die Mangel genommen zu werden, riskiert in der Folge der Suissesecrets auch die Credit Suisse. Ein einflussreicher Senator hat sich bereits dahinter gemacht, wie im hier angezeigten Buch nachzulesen ist. Sollte es sich wirklich rechtsgenügend beweisen lassen, dass die CS trotz ihrer eidesstattlichen Erklärung durch ihren damaligen Chef, den Amerikaner Brady Dougan 2014 im US-Senat, weiterhin schmutziges Geld von Amerikanern entgegengenommen hat, drohen gravierende Konsequenzen, bis hin zum Entzug der amerikanischen Banklizenz. Was das Ende der internationalen Grossbank CS bedeuten würde. Ist wohl auch deshalb der Aktienkurs der Bank ins Bodenlose abgestürzt?
Dies führt zurück zur Hauptfrage nach der Bedeutung des internationalen Bankengeschäfts für die Schweiz. Ist die CS nur ein schwarzes Schaf in der Schweizer Bankenbranche? Oder ist sie der extreme Fall einer systematischen Fehlentwicklung? Die Autoren von Suissesecrets neigen aufgrund einiger Beispielen der zweiten Denkweise zu.
Aus staatspolitischer Sicht ist jedenfalls festzuhalten, dass die eingangs gezeigte geringe Wertschöpfung des Auslandsbankings den Rufschaden für die Schweiz nicht aufwiegt.
Hannes Munzinger / Frederik Obermaier / Bastian Obermayer: Schweizer Geheimnisse. Kiepenheuer&Witsch, 2022.