In Europa sind wir von Freunden und Partnern umgeben, im Rest der Welt können wir nur sehr teilweise mit Verständnis für die Schweiz als demokratischem Rechtsstaat – und nicht als reicher Hafen für allerlei Umgehungen und andere Ungesetzlichkeiten – rechnen. Da würde man annehmen, dass wir mit, nicht gegen Europa Aussenpolitk betreiben. Im Moment ist das Gegenteil der Fall.
Nicht nur das Rahmenabkommen
Zum fahrlässigen Abbruch der Verhandlungen mit der EU über ein Rahmenabkommen durch den Bundesrat ist bereits viel geschrieben worden. Eine Erklärung für einen der schlimmsten Misstritte der schweizerischen Regierung seit dem 2. Weltkrieg sucht man allerdings vergebens. Die Geltendmachung eines Rechtsgutachtens des Bundesamtes für Justiz, wonach die angeblich bevorstehende Übernahme der Unionsbürgerrichtlinie „dem Bundesrat keine andere Wahl gelassen habe“ macht die Angelegenheit schlimmer, nicht besser. Werden staatspoltisch bedeutsame Entscheidungen also von der Verwaltung und nicht von den dafür gewählten Volksvertretern getroffen?
Mit der Wahl eines amerikanischen, und nicht eines gleichwertigen europäischen Kampfflugzeuges hat unsere aussenpolitisch orientierungslose Regierung gleich nach dem InstA-Entscheid einen weiteren, von der EU nur als weiteren Affront verständlichen Beschluss getroffen. Dass auch hier von der VBS-Vorsteherin ein „unumgängliches Rechtsgutachten“ ins Feld geführt wird, mutet staatspolitisch noch bedenklicher an.
Eine weitere anti-europäische „Grosstat“ der Schweiz stellt das bilaterale Abkommen über die Börsenequivalenz dar, welches die Schweiz mit dem anderen europäischen Aussenseiter Grossbritannien abgeschlossen hat. Die vor ein paar Tagen erfolgte Wiederaufnahme der Kotierung schweizerischer Wertpapiere an der Londoner Börse hat es dieser erlaubt, ihr Volumen wieder über jenes der Amsterdamer und der Frankfurter Börse zu erhöhen, nachdem wegen Brexit ein Abfluss von Börsengeschäften Richtung Kontinent erfolgt war. Sehr schön: Brexit und „Swexit“ fröhlich vereint, um ihre vermeintliche Unabhängigkeit von Brüssel zu beweisen. Der politische Preis auch dafür wird allerdings eine vorübergehende Stärkung des Finanzplatzes Schweiz übertreffen.
Paradigmenwechsel in China
Die Argumentation, allfällige Ausfälle für die schweizerische Aussenwirtschaft in der Folge unseres mit dem InstA-Entscheid eingeleiteten Rückzugs aus dem europäischen Binnenmarkt könnten mit vermehrtem Chinahandel abgefederten werden, ist naiv. Denn einmal sind Wirtschaftskontakte mit dem China von Xi Jinping politisch heikel. Repression im Innern gegenüber jeder Kritik und gegenüber Minderheiten, nackte Aggression und „Wolfsdiplomatie“ gegen aussen, kann keine westliche Regierung ohne Protest, und auch Massnahmen, tolerieren, wenn sie nicht wegen kurzfristiger Wirtschaftsinteressen moralische Autorität gegenüber der eigenen Bevölkerung und dem Rest der Welt verlieren will.
Zudem sind die Rahmenbedingungen für die Privatwirtschaft in China zunehmendem Druck durch die Regierung ausgesetzt. Im Moment läuft eine Grossoffensive der Behörden gegen die wichtigsten, auch im westlichen Ausland bekannten – und damit an ausländischen Börsen kotierten – chinesischen Techfirmen. Nach dem persönlichen Angriff auf Alibaba-Chef Jack Ma wurde eben das chinesische Pendant zu „Uber“, der Fahrdienstleister „Didi“ ins Mark getroffen, indem seine App aus den chinesischen Appstores verbannt worden ist. Die Kommunistische Partei steht der Privatwirtschaft heute grundsätzlich negativ gegenüber. Das bedeutet einen Paradigmenwechsel gegenüber der Zeit, als sich die chinesische Wirtschaft in Richtung Marktwirtschaft öffnete.
Chinapolitik ist auch Europapolitik
Wenn überhaupt, kann chinesische Politik von aussen nur durch grossen Druck von grossen Einheiten beeinflusst werden. So von der EU, da China weiterhin von europäischem Know-how und Kapital abhängig ist. Ein auch informelles Andocken der schweizerischen Aussenpolitik an europäische Politik und Initiativen gegenüber China ist damit das einzig erfolgversprechende Vorgehen auch für uns. Seit einiger Zeit tun wir in der Schweiz das Gegenteil und versuchen, mit Bauernschläue, aber ohne Strategie kleine Vorteile zu erhaschen. So mit einem verfrühten Freihandelsabkommen mit China und speziell mit einer Absichtserklärung über eine schweizerische Beteiligung am chinesischen Infrastrukturvorhaben „Belt and Road Initiative“, der modernen Seidenstrasse. Konkrete Vorteile für schweizerische Unternehmen sind keine bekannt. Daran werden auch die vier im Jahre 2021 geplanten Besuche von Bundesrätinnen in Beijing nichts ändern.
Ein Versuch der Koordination unserer Chinapolitik mit Brüssel wäre erfolgversprechender; in die europäische Hauptstadt sind indes 2021 keine Regierungsreisen vorgesehen. Soviel zum vom Bundesrat nach seiner InstA-Ablehnung vollmundig als „Plan B“ angekündigten politischen Dialog mit der EU.
Kehrtwende jetzt
Die schweizerische Aussenpolitik befindet sich auf dem Holzweg. Gegenüber der EU kann das in den letzten Wochen zerbrochene Geschirr allein mit klarem Bekenntnis der Schweiz zu ihrem zentralen Interesse an der Teilnahme am Binnenmarkt geflickt werden. Völlig ungenügend sind ohnehin seit Jahren geschuldete kleinere Beiträge an den EU-Kohäsionsfonds. Das EU-Nichtmitglied Norwegen leistet hier seit Jahren ein Vielfaches der ebenso reichen Schweiz.
Nötig wäre beispielsweise eine substantielle Beteiligung am europäischen Wiederaufbaufonds. Dieser ist letztlich das Instrument zum Erhalt und zur Ankurbelung der gesamteuropäischen Austausche in der Folge des Pandemieeinbruchs. Daran ist die Schweiz ebenso interessiert wie jedes der EU-Mitgliedsländer.
Im Verkehr mit dem China von Xi Jinping ist dagegen Zurückhaltung angebracht. Anstatt von vier Besuchen einzelner bundesrätlicher Ressortvertreter in Beijing wäre ein in unserer Landesregierung koordinierter, staatspolitisch definierter Einzelbesuch völlig genügend.