Joseph Haydns grosses Oratorium «Die Schöpfung» erfährt in Basel eine szenische Umsetzung, welche direkt auf das Heute und Jetzt zielt. Theater im Theater, sehr jung, sehr zeitgeistig.
Das hätte sich «Papa Haydn» wohl nicht träumen lassen: Dass Jugendliche lachend und begeistert sein barockes Weltbild samt Theaterkulissen besetzen. Genau genommen handelt es sich ja um das Weltbild des englischen Dichters und Puritaners John Milton (1608–1674), festgehalten in seinem Epos «Paradise lost» (zehnbändige Erstausgabe 1667).
Paradise lost
Die Schöpfungsgeschichte gemäss dem ersten Kapitel der Genesis aus Miltons gewaltigem Werk wurde von Haydns Freund und Gönner Gottfried van Swieten nach einer englischen Vorlage als Libretto in deutscher Sprache ausgearbeitet. Die stürmisch gefeierte Uraufführung der «Schöpfung» fand 1799 im Burgtheater Wien statt und festigte den Ruf des damals 66-jährigen Josef Haydn als König der Wiener Klassik gegenüber seinem in England Triumphe feiernden Konkurrenten Georg Friedrich Händel. Mozart war damals bereits acht Jahre tot.
Die Schöpfungsgeschichte leitet bekanntlich über zum Sündenfall und zum verlorenen Paradies. Auf dieses schmerzvolle Kapitel nach all den unschulds- und freudevollen Schöpfungsresultaten, gekrönt durch die Liebe zwischen Adam und Eva, verzichteten van Svieten und Haydn. Doch bleibt nach jedem Erleben dieses Oratoriums – und damit sind wir in der Jetztzeit gelandet – ein bitteres, ahnungsvolles Gefühl des unausweichlichen Unterganges all dieser Geschöpfe und Szenerien.
Ein Schöpfungstag von heute
Die Basler Fassung katapultiert die Theaterzuschauer und -hörer mitten hinein in die Befindlichkeiten von heutiger Jugend; genauer gesagt: von Schülerinnen und Schülern der Baselbieter Gymnasien Oberwil und Muttenz. Beide Gymnasien feierten 2022 ihr fünfzigjähriges Bestehen. Mit der Teilnahme ihrer Chöre an einem derart anspruchsvollen Musiktheater-Projekt gehen sie unter der Leitung des holländischen Regisseurs Thomas Verstraeten mutig an eine breite Öffentlichkeit innerhalb professioneller Theaterarbeit. Und das Publikum erlebt mittels permanenter Videoeinspielungen staunend und auch amüsiert einen «Schöpfungstag» von heutigen jungen Menschen. Denn diese, befreit und übermütig, streifen durch die Basler Innenstadt, nachdem sie aus der Barocktheaterwelt, welche im Foyer des Basler Theaters aufgebaut ist, ausgebrochen sind.
Barocktheater und Realität
In einer verkürzten Fassung wird von den Jugendlichen auf einer bewusst naiv eingerichteten kleinen Bühne die Schöpfungsgeschichte nachgespielt. Zusammen mit einem kleinen Schulorchester aus beiden Gymnasien führen die zumeist ungeschulten jungen Stimmen hier einfallsreiches und amüsantes Schülertheater vor. Doch nach dem Umzug des Publikums in den eigentlichen Bühnenraum tritt die Livekamera in Aktion und begleitet einige ausgewählte Jugendliche vom Abschminktisch weg nach aussen. Ihre ungezwungenen Alltagsszenen, manchmal unterbrochen durch gestellte Tableaux vivants, werden später den optischen (Film-)Hintergrund zur professionellen Aufführung auf der Bühne des Grossen Hauses bilden.
Sie enden – wie bei Haydn – beim Sichfinden eines Liebespaares. Auf dieses aber wartet, ahnungsvoll und ein bisschen kitschig angedeutet, schon der Sündenfall mit der adäquaten Schlange. Ganz wie bei Milton, der mit seinem Gesang über den Sündenfall an die Schöpfungsgeschichte der ersten sechs Tage anschliesst. Haydn aber liess es beim Sichfinden von Adam und Eva bewenden, ganz in den leuchtenden Goldfarben und -klängen des Spätbarocks. Hier gibt es keinen Höllensturz und kein menschliches Leid.
Gewaltige Klänge
Zu leuchtenden, ja zuweilen gewaltigen Klängen führte der deutsche Dirigent Jörg Halubek dann, bei der originalen Aufführung des Oratoriums, überlegen das riesige Ensemble von sage und schreibe vier Chören (Theaterchor Basel, Extrachor Basel sowie die beiden Chöre der Gymnasien unter der Gesamtleitung von Michael Clark), das wie immer kompetent spielende Basler Barockorchester La Cetra sowie die drei hervorragenden Solisten Alfheidður Erla Guðmundsdottir, Ronan Caillet und Yannick Debus. Alles in allem eine gelungene und mutige Zusammenführung von heutigen Befindlichkeiten von Jugend und Kunst, welche durch grossen Applaus belohnt wurde.
Nächste Aufführungen: 26., 28., 30. April / 2., 4. Mai