Der erste Weltbestseller überhaupt, Sebastian Brants «Das Narrenschiff», welches 1494 in Basel herausgekommen war, dient heute dem Theater Basel als Vorlage und Ansporn für einen satirischen, höchst vergnüglichen Abend. Eine Uraufführung mit Tiefgang.
Es fängt schon mal damit an, dass ich – Narr wie alle Anderen auch – beim Nachdenken über all die verschachtelten Bezüge und historischen Verknüpfungen eines Stoffes, der immerhin über 500 Jahre alt ist, zu scheitern drohte. Da aber hier nicht Platz für eine theoretisch-wissenschaftliche Erörterung ist, versuchen wir es mal im möglichst einfachen Überblick.
Der 1457 in Strassburg geborene, lange Zeit in Basel lebende und hier sogar zeitweise als Dekan der ersten Schweizer Universität wirkende Sebastian Brant wurde mit seinem, in deutscher Sprache 1494 in Basel verlegten Werk «Das Narrenschiff» europaweit berühmt und landete den ersten Longseller der Literaturgeschichte. Das philosophisch-moralische Grundthema, nämlich dass wir alle Narren seien, ist – bei aller Komplexität – auf Anhieb einleuchtend und sehr einfach zu verstehen.
Kein Wunder also, dass spätestens William Shakespeare, mit seinem unvergleichlichen Riecher für Publikumswirksamkeit, die Figur des Narren – bei ihm Sir John Falstaff – rund 100 Jahre später in mehreren seiner Dramen aufgriff. Uns heutigen Theaterfreunde unde -Freundinnen dürfte, nochmals rund dreihundert Jahre später, das unvergessliche Shakespeare-Zitat musikalisch aus dem Schlussensemble von Giuseppe Verdis Falstaff in den Ohren klingen:
Tutto il mondo è burla
Dass die ganze Welt ein Narrenhaus ist – Sebstian Brant hatte die Welt in Form von 109 Närrinnen und Narren aller Ausformungen und Art an Bord seines Weltenschiffes geladen. Da das Thema jedoch ganz klar modellhaft strukturiert aufgebaut ist, griff in Basel eine motiviertes, junges Ensemble von heute zu und goss das Ganze, mal hohnlachend, mal verzweifelt, gemeinsam in eine wirksame Bühnenfassung. Diese wird vor allem von der Unausweichlichkeit der auf dem Schiff in einer ziellosen Endlichkeit Treibenden bewegt, oder, um Michel Foucault zu zitieren: «... Eingeschlossen in das Boot, aus dem es kein Entrinnen gibt, ist der Irre dem tausendarmigen Fluss, dem Meer mit tausend Wegen und jener grossen Unsicherheit, die ausserhalb alles anderen liegt, ausgeliefert ... Er ist der Gefangene der Überfahrt ...» (aus: M. F. in «Wahnsinn und Gesellschaft», 1961). Das sollte die generelle Ernsthaftigkeit des Themas genug beleuchten.
Virtuose Verschränkung der Sprachebenen
Aber keine Angst: Am Schauspielhaus Basel handelt es sich um einen höchst vergnüglichen, anregenden Abend, und es wird mehr gelacht als bei mancher Satiresendung im Fernsehen! Allein schon die virtuos gehandhabte Verschränkung der beiden Sprachebenen ist ein Born des Vergnügens – pardon, «macht happy»: hie Sebastian Brants mittelalterlicher Duktus («Weil alles, was da ist auf Erden, für Torheit muss geachtet werden ...»), dort moderne Alltagssprache («Ich will aber am Montag wieder ins Büro!»). Die Szene (Bühne und Kostüm: Florian Kiehl) ist in bester mittelalterlicher Manier mit einfachen Prospekten ausgestattet, in denen das Narrenschiff wie der fliegende Holländer seine Seelen hin- und herschiebt, aussichtslos und ohne Happy End. Denn die Moral von der Geschicht: Narr zu sein ist ein höchst erstrebenswertes Ziel – tutti gabbati!
Eine lustvolle Reise
Der junge deutsche Komponist Marius Schötz begleitet das Ensemble unterstützend und wirkungsvoll mit einem Klangset-Mix von musicalhaften, manchmal etwas kitschigen Songs und dramaturgisch aufgebauten Sound-Clustern, in denen neben diversen musikalischen Zitaten auch schon mal Erinnerungen von Basler Trommeln und Piccolos anklingen. Als universell einsetzbar erweist sich die gleichzeitig als Musikerin und Schauspielerin wirkende Jia Lim mit Live-Musik auf Klavier, Akkordeon und Trompete.
Das kleine Schauspielensemble (Barbara Colceriu, Annika Meier, Andrea Bettini, Julian Anatol Schneider und Jia Lim) macht sich in der einfallsreichen Regie von Marthe Meinhold so lustvoll auf die närrische Reise ins Nirgendwo, dass dem Publikum gar nichts anderes übrig bleibt, als mitzulachen und zu wünschen, dass ein solch vergnügter, gescheiter Abend niemals enden möge.
Nächste Vorstellungen: Schauspielhaus Basel, 23., 28. Okt, 7., 10., 12. Nov.