Im vergangenen April brennt die Pariser Kathedrale Notre-Dame. Schnell schreibt die AfD auf Facebook: „Würde wohl niemanden verwundern, wenn es ein Anschlag mit islamistischem Hintergrund wäre.“ Zwar wisse man noch nichts Genaues. Doch: „Ob man auch wirklich die Wahrheit später preisgibt?“
Der rechtsextreme PI-Blog schreibt: „Ein weiterer Schritt Richtung Eurabia“. Und die AfD doppelt nach: „Die Attacken auf christliche Hoheitsabzeichen werden in den nächsten Jahren massiv zunehmen, und wir alle wissen warum!“
„Schweigekartell“
Diese Reaktionen stehen beispielhaft für die Vorgehensweise rechtspopulistischer und rechtsextremer Kreise: Man stellt unbelegte Behauptungen auf, sät Zweifel, wiederholt diese immer wieder – und suggeriert, dass die etablierten Medien und die Politik etwas bewusst verschweigen. Es existiere ein eigentliches „Schweigekartell“.
Zwar wurde rasch klar, dass der Brand in Notre-Dame alles andere als ein islamistischer Anschlag war – aber die Zweifel waren gesät, die Verschwörungstheorie wucherte und verbreitete sich wie eine Krake.
„Fakten gegen Fake News“
Noch ein Beispiel: Im April fährt ein Auto in Münster (Westfalen) in eine Menschengruppe. Drei Menschen sterben. Für die AfD-Politikerin Beatrix von Storch ist sofort klar: die Schuld tragen Angela Merkel und ihre Flüchtlingspolitik. Zwar liegen absolut keine Hinweise auf einen islamistischen Täter vor, doch die Meldung verbreitet sich. Später steht fest, dass der Schuldige ein Deutscher mit psychischen Problemen ist.
Der ARD-Journalist Patrick Gensing zählt in seinem neuen Buch „Fakten gegen Fake News“ *) zahlreiche solcher Beispiele auf. Minutiös beschreibt er, wie Rechtspopulisten, Rechtsextreme, Troll-Fabriken und Social Bots Verschwörungstheorien verbreiten und damit die Gesellschaft destabilisieren.
Ziel der Fake News sei es, mit bewusst irreführenden Meldungen Gräben in der Gesellschaft zu vertiefen, Glaubwürdigkeit zu zerstören und die gesellschaftlichen Konflikte anzuheizen. Fake News „zielen darauf ab, Menschen zu verwirren, zu manipulieren und zu desinformieren“.
„Gezielten Falschmeldungen“
Fehler, die unbeabsichtigt geschehen, sind keine Fake News, schreibt der Autor, denn sie entstehen nicht mutwillig. Auch wer nach bestem Wissen und Gewissen arbeitet, kann Fehler machen. Fake News hingegen seien „bewusst irreführende Meldungen, die gezielt verbreitet werden“. Der Begriff sei schwammig geworden. Viele sprächen deshalb besser von „gezielten Falschmeldungen“.
Da wird behauptet, Angela Merkel, die „Blutkanzlerin“, wolle Deutschland mit 12 Millionen Migranten fluten. Flüchtlinge, hiess es, würden bei der Abgabe von Lebensmitteln an Bedürftige gegenüber Deutschen bevorzugt. Und natürlich geht es um die Feinstaub- und die Klima-Lüge.
Bedrohen, einschüchtern, lächerlich machen
Immer wieder spricht man von Wahlbetrug, so bei den Europa-Wahlen in diesem Jahr. Immer ohne Belege. „Taucht eine solche Falschmeldung auf, wird sie binnen weniger Stunden auf verschiedenen Kanälen, Blogs und Seiten gespiegelt verlinked oder leicht verändert widergegeben.“
Politiker oder Journalisten, die politisch auf der Gegenseite stünden, würden durch koordinierte Attacken im Internet bedroht, eingeschüchtert, lächerlich und unglaubwürdig gemacht. Der Autor zitiert ein rechtsextremes Handbuch: „Beleidigen. Und da ziehe jedes Register. Lasse nichts aus. Schwacher Punkt ist oftmals die Familie. Habe immer ein Repertoire an Beleidigungen, die Du auf den jeweiligen Gegner anpassen kannst.“ Verleumdungen und Hate Speech würden strategisch eingesetzt. „Klassische Opfer“, heisst es in dem Handbuch, seien vor allem „junge Frauen, die direkt von der Uni kommen“.
„Digitale Landplage“
„Trolle“ sind meist rechtsradikale Online-Aktivisten, die Menschen auf der persönlichen Ebene angreifen. Sie sind, so der Autor, „eine digitale Landplage“. Jede argumentative Auseinandersetzung mit ihnen sei sinnlos. Wenn beispielsweise eine Nachrichtenseite über rassistische, rechtsextreme Gewalttaten berichte, „tauchen erstaunlich schnell Kommentare auf, die massenhaft auf linke Gewalt hinweisen“.
Nicht nur gezielte Falschmeldungen werden verbreitet, sondern auch sogenannte „Memes“, manipulierte Fotos. Auch falsche Profile von Flüchtlingen würden angelegt. Da schreibt einer, in Syrien herrsche kein Krieg, die Migranten könnten problemlos zurückkehren. Falsche Namen tauchen auf. Eine Karina Z. twittert unaufhörlich gegen Migranten. Sie behauptet, in Zürich zu leben und gibt im Impressum eine Schweizer Rechtsanwaltskanzlei an. Die Rechtsanwälte wissen nichts davon. Auch Doras, Emmas und andere sind unermüdlich im Einsatz. Als ein Amerikaner in Las Vegas 58 Menschen erschoss, wurden Meldungen verbreitet, es handle sich um einen politisch links eingestellten Demokraten.
Speerspitze AfD
Da gibt es frei erfundene Zitate von Politikern, die es nicht gibt. Der Grünen-Politiker Tobias Weihrauch wird mit den Worten zitiert, er wolle „die Abschaffung Deutschlands“ anstreben und möglichst viele Afrikaner und Syrer ins Land holen. Es gibt keinen Grünen-Politiker Tobias Weihrauch.
Die meisten „wirkungsmächtigen Falschmeldungen“ würden von rechts und nicht von links kommen. „Fake News werden in Deutschland vor allem von Rechten, Rechtspopulistischen und Rechtsextremen verbreitet“, zitiert der Autor eine Studie. Dabei bilde „die AfD die Speerspitze der Verbreitung“.
„Der grosse Bevölkerungsaustausch“
Im Umfeld von AfD-Konten würden auch viele „Social Bots“ agieren. Da würde die moderne Technik für Propagandazwecke instrumentalisiert. Social Bots sind virtuelle Roboter, die das Netz mit zehntausenden, hunderttausenden Meldungen fluten können. Die Frage stelle sich, ob diese automatisierten Konten die Macht hätten, politische Debatten oder gar den Ausgang von Wahlen zu beeinflussen.
Die rechtsextreme „Identitäre Bewegung“ und ihr Strippenzieher Martin Selltner (siehe Journal21: „Rassismus ist die reinste Form von Patriotismus“) heizen die Angst vor dem „grossen Bevölkerungsaustausch“ an. Immer wieder würde es um die Kriminalität von Ausländern gehen.
Sich gegenseitig befeuern
Wenn bestimmte Webseiten, wie Einzelfall.info, alle Meldungen zu Verbrechen in Europa bündelten, schreibt der Autor, könne der Eindruck entstehen, es herrsche überall nur noch Mord und Totschlag. Viele Menschen seien mit diesem Trommelfeuer überfordert. Tatsächlich gehe die Gewaltkriminalität seit Jahren zurück.
Die Agierenden in diesen Netzwerken zitierten und befeuerten sich gegenseitig. „Fake News A verweist als Quelle auf Fake News B, die sich wieder auf Fake News C und A bezieht.“ Die blosse Wiederholung falscher Behauptungen trage dazu bei, deren Glaubwürdigkeit zu erhöhen.
„Staatliche Trollfabrik“
Aktiv ist auch die russische „Internet Research Agency“ (IRA). Der Autor bezeichnet sie als „staatliche Trollfabrik“. Sie habe sich erwiesenermassen massiv zugunsten von Trump in den amerikanischen Wahlkampf eingemischt. Doch nicht nur dort. Die IRA diskreditiere auch das spanische demokratische System, unterstütze die Unabhängigkeit Kataloniens, mische sich ins Brexit-Gerangel ein, ebenso in Schottland und Mexiko. Ziel sei es, Konflikte anzuheizen und die Öffentlichkeit zu verwirren.
Verschwörungstheorien seien „der Treibstoff von autoritären Bewegungen, die zum Sturm auf den demokratischen Rechtsstaat blasen“. Viktor Orbán stachele die Ungarn mit dem Feindbild George Soros an und errichte seine „illiberale Demokratie“. Russland verbreite Lügen zum Krieg in Syrien, in der Ukraine oder zu anderen internationalen Konflikten.
Den Überblick in der digitalen Welt verloren
Die populistischen Politikerinnen und Politiker würden sich gerne auf „das Volk“, das sie vertreten, berufen. So würden sie ihren Anhängern das Gefühl vermitteln, eine „schweigende Mehrheit“ zu sein, obwohl es sich in Wirklichkeit um eine lautstarke Minderheit handelt.
Es sind nicht nur Ungebildete, die auf Fake News ansprechen. Der Autor schreibt: „Was den Komplex Desinformation und Fake News betrifft, sind es offenbar mehr ältere Menschen, denen es an Überblick in der komplexen digitalen Welt mangelt, die Fake News teilen, denen die Skepsis fehlt, die zu naiv sind, was die Einschätzung der Manipulationsmöglichkeiten angeht.“
Mehr Medienkompetenz
Was kann man tun? Gezielte Falschmeldungen lassen sich nicht einfach verbieten, schreibt Gensing. Das politische Klima habe sich bereits gewandelt, es sei „ungemütlicher“ geworden, „aggressiver“.
Der Autor fordert: „Mehr Medienkompetenz für junge Leute“. Doch wer soll ihnen diese Kompetenz vermitteln? Viele Lehrkräfte würden „staunend“ vor den neuen technischen Möglichkeiten stehen. Da setzt Gensing Hoffnung in die Jungen. Er zitiert Studien, wonach Jüngere im Gegensatz zu den Älteren vermehrt zwischen sachlichen Nachrichten und Meinungsbeiträgen unterscheiden. Junge seien lernbegierig, sie wüssten um Fake News und um die technischen Möglichkeiten, Bilder und Inhalte zu fälschen – im Gegensatz zu vielen Erwachsenen, die glaubten, sie hätten in ihrem Leben genug Medienkompetenz erlernt.
Das Verbreiten von Fake News sei „kein Kavaliersdelikt“, schreibt der Autor. Er fordert „eine eindeutige Ächtung derjenigen“, die „gezielt irreführende Meldungen verbreiten“.
Die vierte Gewalt
Journalisten sollten sich verstärkt ihrer eigenen Rolle bewusst werden. „In einer Welt, in der Fake News zum politischen Alltag gehören, ist Journalismus als ‚vierte Gewalt‘ wichtiger denn je.“ Gensing plädiert – jetzt erst recht – „für einen verantwortungsvollen Journalismus, der nicht primär von Geschwindigkeit und Sensationsgier getrieben sein darf, sondern dessen wichtigste Währung Genauigkeit ist“.
Das Buch endet mit dem Satz: „Aufklärung, Bildung und Verantwortung, nicht schärfere Gesetze und Beschränkungen der Meinungsfreiheit, sind die Mittel, den Kampf um die Demokratie zu gewinnen.“
Das Buch wäre Pflichtlektüre für jeden politisch Interessierten und jeden Entscheidungsträger. Es beleuchtet ein immer brennender werdendes politisches und gesellschaftliches Problem, das in vielen Kreisen noch immer zu wenig ernst genommen wird. Fake News haben bereits heute teils wesentlichen Einfluss auf die politische Debatte – ein Einfluss, der rasch wachsen könnte. Das Buch richtet sich auch an jene, die sagen: „Alles nicht so schlimm.“
*) Patrick Gensing: Fakten gegen Fake News – oder Der Kampf um die Demokratie, Berlin: Dudenverlag, Oktober 2019, 176 Seiten.
Patrick Gensing leitet seit 2017 das Projekt ARD-faktenfinder. Die ARD ist der Verbund öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten Deutschland.