„Händler flüchten in als sicher geltende Staatsanleihen“, weiss die NZZ, „viele Händler flüchten in als sicher geltende US-Staatsanleihen“, vermeldet der „Tages-Anzeiger“. Wer hat da wem abgeschrieben? Natürlich keiner keinem, denn das ist das ewige Mantra aller Analysten in struben Zeiten. Es ist selbstverständlich kreuzfalsch, wie das meiste, was Finanzspezialisten so von sich geben.
Um diese kühne Behauptung zu belegen, muss zunächst ein kurzer Ausflug in die Geschichte gemacht werden. In den plagiatskritischen heutigen Zeiten möchte ich gerne zugeben, dass ich mich dabei bei den Resultaten bediene, zu denen Reinhart und Rogoff in ihrer Analyse der Crashs in den letzten 800 Jahren gekommen sind. Das Werk heisst „Dieses Mal ist alles anders“* und basiert auf der Auswertung der wohl grössten Wirtschaftsdatenbank der Welt, auf die Rogoff seit seiner Zeit als Chefökonom des Internationalen Währungsfonds Zugriff hat.
Staaten sind häufig bankrott
Nach vielen gegenteiligen Behauptungen kommen immer mehr Finanzanalysten zum Schluss, dass Griechenland unter Umständen pleite gehen könnte, obwohl das eigentlich undenkbar sei. In Wirklichkeit sieht es so aus: Griechenland, das so sicher in den Staatsbankrott segeln wird wie die Akropolis vor sich hinbröckelt, war seit seiner Neugeburt als moderner Staat im Jahre 1830 häufiger und länger pleite als nicht. Unglaublicherweise wird auch von den meisten Finanzkoryphäen übersehen, dass nur eine radikale Minderheit der europäischen Staaten in den letzten 200 Jahren niemals Bankrott erklärte.
Erweitern wie den Blickwinkel von Europa auf die Welt: Die überwiegende Mehrheit aller 66 Staaten, die von 1800 bis heute im Schnitt über 90 Prozent des Weltbruttozialprodukts herstellen, waren in dieser Zeit ein Mal oder mehrfach zahlungsunfähig. Staatsbankrotte sind also nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Der „lender of the last resort“, wie Staaten auch gerne genannt werden, weil sie über das Monopol verfügen, Geld zu drucken, erweckt immer gerne den Eindruck, dass er sozusagen über den wirtschaftlichen Ereignissen schwebe, nicht ganz von dieser Welt sei. Das hilft ihm, seine Staatsschuldpapiere für möglichst wenig Zinsen loszuwerden, gehört ansonsten natürlich zu den Märchen aus 1001 Nacht.
Vielleicht nicht Griechenland
Selbst unterbelichtete Anlageberater würden ihren Kunden heutzutage nicht unbedingt empfehlen, in griechische Staatsanleihen zu investieren, obwohl die ja bereits hübsche Renditen von weit über 10 Prozent abwerfen. Das ist allerdings nur mehr etwas für Anleger mit starken Nerven, denn diese schöne Verzinsung verwandelt sich in einen Verlust, wenn der griechische Staat endlich bekannt gibt, dass er seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen kann, umschuldet und damit seine Gläubiger rasiert, wie der nette Fachausdruck lautet. Auch irische, portugiesische oder spanische Staatsanleihen sind inzwischen nur mehr etwas für Investoren mit Zockergenen, die sich dem Lebensmotto verschrieben haben: No risk, no fun.
Damit wäre also schon mal klar, dass Staatspapiere im Allgemeinen keineswegs sicher sind, obwohl sie „als sicher gelten“, wie die Wirtschaftspresse immerhin mit vorsichtiger Einschränkung schreibt. Aber da gibt es ja glücklicherweise den Fels in der Brandung, sozusagen den Gral der sicheren Anlage: die US-Schatzpapiere. Da hat der verunsicherte Anleger doch einen sturmfesten Hafen für sein Geld gefunden. Ach ja? Um zu erläutern, dass auch das ein Trugschluss ist, müssen wir einen zweiten Ausflug unternehmen, diesmal aber in die Gegenwart.
Von den Koryphäen lernen
Es gibt weltweit viele Fonds, also Geldanlagemaschinen, aber nur wenige ganz grosse. Der allergrösste, wenn man den Hedgefonds Blackrock mal aussen vor lässt, heisst Pacific Investment Management Company, kurz Pimco. Noch nie davon gehört? Sollten Sie aber, denn Pimco verwaltet die beeindruckende Summe von 1,2 Billionen Dollar (gerne auch mal in Zahlen: 1 200 000 000 000). Hier lassen unter anderen viele Pensionskassen die Einzahlungen zukünftiger Rentner verwalten, hier reden wir von einer Finanzmacht, vor der auch Präsident Obama Ehrfurcht hat. Wenn der Gründer von Pimco, Bill Gross, die Augenbrauen hebt oder senkt, dreht sich der Wind, greifen Staatenlenker hektisch zum Telefon. Also wählt Gross sicherlich seine Worte mit Bedacht, äussert nur Nebulöses wie weiland Alan Greenspan. Nun, nicht wirklich: „Hat es jemals ein dreisteres Schneeballsystem gegeben?“, schimpft Gross. Und er meint damit nicht Madoff, sondern die Politik der US-Notenbank FED, Staatsanleihen auszugeben und auch gleich wieder selber aufzukaufen: «Schecks in Milliardenhöhe auszustellen, ist keine Sache, die Anleihebesitzer glücklich machen sollte, sie wirkt stattdessen inflationär und, um die Wahrheit zu sagen, wie ein Schneeballsystem», doppelt Gross angesichts der Tatsache nach, dass die US-Notenbank inzwischen sogar China als grössten Geldgeber der USA abgelöst hat.
„Sucker’s Rally“ ist schon unterwegs
Aber Gross schimpft nicht nur, er handelt auch. So hat Pimco vor kurzem bekannt gegeben, dass sie sämtliche US-Staatspapiere abstösst und keine Investments in diesem Bereich mehr hält. Aus, Schluss, Ende. Das führte natürlich zu einem Erdbeben, einem Tsunami und einer Kernschmelze auf dem Markt für US-Schatzbriefe. Ach was, denn Anhänger von falschen, aber eingefahrenen Weisheiten wie „Staatspapiere sind sicher“ sind bekanntlich beratungsresistent. Schlimmer noch, wenn grosse Könner aussteigen, dann steigen viele kleine Nichtskönner ein. Auch dafür haben Finanzspezialisten einen passenden Ausdruck, den sie aber natürlich nie vor ihren Kunden verwenden würden: „Sucker’s Rally“, also Idiotenrennen. Passender wäre es vielleicht, von Lemmingen zu sprechen.
*Carmen M. Reinhart und Kenneth S. Rogoff: Dieses Mal ist alles anders. Acht Jahrhunderte Finanzkrisen. FinanzBuch Verlag, 2010