Hand aufs Herz: Wissen Sie, wieso die Herabstufung der Bonität eines Staatsschuldpapiers dermassen verheerende Auswirkungen hat? Also wenn sie von einer oder mehreren Rating-Agenturen vom Bereich A (mehr oder minder bombensicher) auf D (Default, Zahlungsausfall, Ramsch, Schrott) runtergestuft wird?
Politiker haben darauf eine Antwort: Die dadurch entstandene Verschärfung der Eurokrise sei deren Schuld, ihr Handeln «unverantwortlich», «unverschämt», gar «Terrorismus». Und Verschwörungstheoretiker vermuten dahinter dunkle Machenschaften der USA, da die drei wichtigsten Rating-Agenturen der Welt, Moody’s, Standard & Poor’s und Fitch, die zusammen rund 90 Prozent des entsprechendes Marktes beherrschen, so verdächtig englische Namen haben.
Abgesehen davon, dass Fitch eine britisch-amerikanische Firma ist, handelt es sich hier um hanebüchenen Unsinn. Schlimmer noch: Um glatte Lügen. Um das zu verstehen, muss man lediglich drei Absätze lesen.
Die Position der Rating-Agenturen
Die drei Grossen bekamen 1975 von der US-Börsenaufsicht den Ritterschlag «national anerkannte Rating-Organisationen». Damit wurden ihre Bewertungen sozusagen amtlich. Und was tun sie genau?
Sie geben Einschätzungen und Prognosen ab, wie gross die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein Gläubiger verliehenes Geld wieder zurückkriegt. Also ob der Schuldner in der Lage ist, den Kredit in der vereinbarten Zeit samt Zinsen vollständig zurückzuzahlen. Kriselt es da, ist der letzte Schritt vor einem Totalschaden, dem völligen Zahlungsausfall, eine Umschuldung.
Also genau das, was mit der «freiwilligen» Beteiligung privater Gläubiger am Griechenland-Schlamassel geplant war. Nach den öffentlich einsehbaren und seit Jahrzehnten bekannten Kriterien der Rating-Agenturen muss das eine Herabstufung der Bonität des Schuldners auf D nach sich ziehen. Nachdem sie in der letzten Finanzkrise bei Hyposchrott-Derivaten dermassen kläglich versagt hatten, walten sie also nur ihres Amtes.
Nichts gelernt, nichts gemacht
Als Konsequenz des damaligen Versagens wurde in den USA und in Europa von vielen Politikern gefordert, dass ein dermassen wichtiger Steuerungsmechanismus in der Finanzwelt nicht weiter von drei privaten Firmen beherrscht werden dürfe, die sich zudem von Schuldnern als ihren Auftraggebern, nicht etwa von Gläubigern, für ihre Ratings bezahlen lassen.
Und zudem für die Folgen ihrer «freien Meinungsäusserung» nicht belangt werden können, also völlig haftungsfrei auch Fehleinschätzungen und völlig falsche Bewertungen abgeben dürfen. Zudem wurde auch damals schon die US-Dominanz auf diesem Gebiet bemängelt. Geschehen ist seither, in den USA und in Europa – nichts. Das haben die gleichen Politiker zu verantworten, die sich nun mit Schaum vor dem Mund und roten Köpfen über das angeblich «unverantwortliche» Handeln der gleichen Rating-Agenturen erregen. Die zudem, immerhin, aus ihren damaligen Fehlern gelernt haben. Im Gegensatz zu den Eurokraten.
Die Politiker sind schuld
Warum haben nun solche Herabstufungen eines Schuldpapiers dermassen verheerende Auswirkungen? In erster Linie deswegen, weil es staatliche Gesetze und Vorschriften gibt, die institutionelle Geldanleger, also Finanzinstitute, Versicherungen und vor allem Pensionskassen, dazu zwingen, sich sofort von entsprechenden Papieren zu trennen, wenn die ihr A-Rating verlieren. Das bedeutet konkret, dass Pensionskasse P amtlich verpflichtet war, Staatsschuldpapiere mit dem Rating A zu kaufen und nun die Vorschrift befolgen muss, sich von diesem Papier mit dem neuen Rating D sofort zu trennen.
Diese Herabstufung haben aber weder die Rating-Agenturen, noch die Pensionskassen zu verantworten. Sondern die Politiker innerhalb Griechenlands, Portugals, Irlands, den USA und auch ausserhalb. Die Politik hat diese Anlagevorschriften erlassen, sie an das Urteil der Rating-Agenturen geknüpft, ein Desaster in den Staatsfinanzen angerichtet – und beschimpft nun den Überbringer der schlechten Nachricht, will den Boten köpfen, einen Sündenbock in die Wüste schicken. Bezeichnenderweise, deshalb noch ein Zusatzabschnitt, nimmt das weder die Öffentlichkeit noch die geballte Fachkompetenz der Wirtschaftsjournalisten zur Kenntnis.
Schon mal was von Solvency II gehört?
Das ist ein ähnliches Gebastel wie Basel I bis III. Basel soll weltweit die risikogewichtete Eigenkapitalausstattung von Banken regeln. Solvency II soll europaweit die Vorschriften zusammenfassen, wie vor allem Versicherer und Pensionskassen die ihnen anvertrauten Altersgroschen und Sparguthaben anlegen dürfen. Dabei geht es, verständlich, in erster Linie um den Aspekt Sicherheit, also möglichst geringes Ausfallrisiko auf Seiten des Schuldners. Und angelegt werden muss das Altersguthaben, da sich Geld bekanntlich nicht von selbst vermehrt. Wer darf nun die Sicherheit solcher Anlagen bewerten?
Wessen Bewertungen müssen diese institutionellen Anleger befolgen, ob es ihnen passt oder nicht? Über den Umweg, sonst wäre es ja keine Euro-Bürokratie, des «Verzeichnisses der registrierten Rating-Agenturen», die Bewertung der grossen drei, eben Moody’s, S&P und Fitch. Geht es noch absurder? Aber sicher, sonst wären wir nicht in der EU. In diesem Verzeichnis sind bislang nämlich unter anderen nur weltberühmte Rating-Buden wie Euler Hermes Rating GmbH, die Japan Credit Rating Agency und, besonders vertrauenserweckend, die Bulgarian Credit Rating Agency AD registriert.
Keine Agentur aus den USA, notabene. Fragen Sie also doch mal den nächsten Euro-Politiker, der Ihnen über den Weg läuft, was dieser gesamte Schwachsinn soll. Oder noch besser – aber nein, es gibt ja den Straftatbestand der öffentlichen Aufforderung zu Gewalt.
Und eine Fussnote zu den Banken
Vielleicht vermisst man hier ein gewohnt kritisches Wort zu den Banken. Hier ist es: Vor diesem absurden Gekungel zwischen Staat und Rating-Agentur gehörte es zu den wichtigsten Aufgaben einer Bank, die Bonität eines Schuldners selbst zu überprüfen. Und damit gegenüber dem Gläubiger das Risiko zu übernehmen, falls dessen Investition in Rauch aufging, sich auf die selbst hergestellte Bewertung behaften zu lassen.
Wenn nun aber die Bank dieses Risiko auf den Schuldner selbst abwälzen kann, der auf eigene Kosten ein Rating herstellen lassen muss, auf das sich die Bank berufen kann, während die Rating-Agentur unter Verweis auf die freie Meinungsäusserung jegliche Verantwortung ablehnt, dann ist der Gläubiger angeschmiert. Und dieses Schlamassel wurde von den Staaten selbst, von ihren Regierungen und Politikern angerichtet. Unglaublich, aber Realität.