Luca Pianca spielt Theorbe. Theo was? Und tatsächlich. Ein bisschen exklusiv ist dieses Instrument schon. Nicht einmal jeder Klassik-Fan weiss, was das ist.
Luca Pianca ist allerdings ein ausgesprochener Spezialist auf der Theorbe. Beim Lucerne Festival, das dieses Jahr unter dem Motto «verrückt» lief, ist Pianca in einem der letzten Konzerte aufgetreten. «Follie e stravaganze» heisst das Programm, also «Verrücktheiten und Extravaganzen». Wobei die «Follie» im 16. Jahrhundert in Spanien und Italien absolute Hits waren. Ungezügelt und so wild, dass sie manchmal verboten wurden.
Was ist eine Theorbe, frage ich Luca Pianca. So etwas wie eine Laute? Oder eine Art Gitarre? Luca Pianca hört die Frage nicht zum ersten Mal.
«Es ist eine Weiterentwicklung der kleineren Renaissance-Laute», sagt Pianca. «Man hat einen zweiten Hals für die Bässe beigefügt und hat damit mehr Möglichkeiten und vor allem mehr Bass-Register. Am Anfang wurde die Theorbe als Begleitinstrument zum Gesang geschaffen. Aber sie ist auch ein wunderbares Solo-Instrument.»
Ein bisschen sieht sie immer noch aus wie eine Laute, aber der Hals ist viel länger. Auf alten italienischen Gemälden sieht man sie oft: Wenn Engel musizieren, greifen die himmlischen Heerscharen gern zur Theorbe.
Wiederentdeckung der Alten Musik
Luca Pianca kommt aus Lugano, ist aber in der internationalen Musikwelt zuhause. Wie sind Sie denn zur Theorbe gekommen, frage ich ihn.
«Als ich jung war, kam die Alte Musik als neue Bewegung auf. Das hat mich interessiert,» sagt er, und sein italienischer Akzent klingt selbst schon wie Musik. «Angefangen habe ich mit der Laute. Dann habe ich bei Nikolaus Harnoncourt in Salzburg studiert. Er suchte gerade jemanden, der Theorbe als Begleitung in seinen Barockopern spielen würde. Und da habe ich Theorbe gelernt – und gespielt.»
Heute wechselt er ab zwischen Laute und Theorbe. «Das kann auch ganz schön anstrengend werden, denn man muss die Musik des 16., 17. und 18. Jahrhunderts auf verschiedenen Instrumenten spielen.» Im 17. Jahrhundert hat ein Lautenist nur seine Theorbe gehabt, kein anderes Instrument. Er hat die Musik seiner Zeit gespielt, keine frühere.
«Superschön» sei sie, die alte Musik, sagt Luca Pianca. «Aber in der Zeit der Klassik oder Romantik, also während zwei starken Musikbewegungen, da hat man ein bisschen vergessen, was vorher war. Mozart hat aber das Genie von Johann Sebastian Bach erkannt und Felix Mendelssohn hat die Passionen von Bach aufgeführt. Mit Klavier statt Orgel und mit zwei Celli statt Cembalo und so weiter. Er hat die alte Musik modernisiert. Aber die grosse Wiederentdeckung fand im 20. Jahrhundert statt. Und dabei war Nikolaus Harnoncourt der Wichtigste.»
Geprägt von Nikolaus Harnoncourt
Dreissig Jahre hat Luca Pianca dann mit Harnoncourt und dessen Orchester «Concentus Musicus» zusammengearbeitet. «Ich habe nie, nie, nie wieder so einen Menschen getroffen. Er war ein Gigant! Ich kann sagen, dass ich für ihn ein Freund war, und auch ein Fan! Die Arbeit mit ihm war für mich absolut spannend, weil er alle Aspekte dieser alten Musik gründlich elaborierte. Er war einfach wunderbar. Und stellen Sie sich vor, wie es ist, dort mitzuspielen!» Luca Pianca kommt noch heute ins Schwärmen über diese lange Zeitspanne an der Seite von Nikolaus Harnoncourt.
Gleichzeitig gehört Luca Pianca aber auch zu den Mitbegründern des Ensembles «Giardino Armonico», das sich unter der Leitung von Giovanni Antonini auf alte Musik spezialisiert hat. Und als Solist ist er international unterwegs. Am Wiener Konzerthaus leitet er überdies seit 2008 einen Bach-Zyklus in dem bisher mehr als hundert Bach-Kantaten, das Weihnachtsoratorium und die Johannes-Passion aufgeführt wurden. Als Anerkennung für diese Leistungen wurde Luca Pianca vor drei Jahren vom Bundesamt für Kultur mit dem Schweizer Musikpreis ausgezeichnet.
Musik im Blut
Die Liebe zur Musik liegt den Piancas schon im Blut. «Mein Grossvater war Sänger», erzählt er. «Und nicht nur das, er war Sänger zu Verdis Zeit in Italien! Er ist 1864 geboren und ich kannte ihn nicht. Aber er hat noch persönlich unter Giuseppe Verdi als Dirigent gesungen. Er hat in Italien Karriere gemacht, ist dann aber wegen des Krieges in die Schweiz gekommen. Mein Vater hat Klarinette gespielt, aber nur so als Amateur. Mein Neffe ist Jazz-Gitarrist, und er macht das grossartig.»
Mit der Theorbe ist man jedenfalls immer ein Spezialist. Und – so könnte man meinen – es gibt nicht so viel Konkurrenz. Pianca lacht. «Heute gibt es viele junge Leute, die Laute oder Theorbe spielen. Viel mehr als zu meiner Zeit, als ich anfing. In den letzten zehn, fünfzehn Jahren hat sich das sehr verändert. Wenn man heute einen Theorbespieler sucht, dann findet man ihn.»
Zusammen mit Vittorio Ghielmi, Gambist und Professor am Mozarteum in Salzburg, bildet Luca Pianca ein Duo. Mit Sängern, einer Harfenistin oder einem Geiger spielt er immer wieder zusammen, und mit der Schweizer Sopranistin Marie-Claude Chappuis tritt er regelmässig auf. In diesen Tagen auch im Rahmen des Festivals für Alte Musik in Zürich.
Fan von Jimmy Hendrix
Wie ist das denn, wenn man selbst fast immer am Musikmachen ist. Interessiert einen da die Musik von anderen? Welche Musik hört er denn gern?
«Hmmm, ich würde sagen: gute Musik! Ich bin kein Fan von ‘cheap music’.»
Nun gut, möchte man da sagen, aber was ist «gute Musik»? «Musik, die einen Sinn hat», sagt Pianca, «die Qualität hat, Musik, die ehrlich ist. Was heute so als ‘moderne Musik’ läuft, mag ich nicht. Aber ich bin ein Fan von Jimmy Hendrix! Er war ein Supermusiker und ein Superkünstler, den ich heute immer noch mag.» Ansonsten höre er nicht so viel Musik. «Wenn man selbst viel spielt, möchte man den Kopf auch mal leer haben.»
Sagt’s, lächelt, packt seine Theorbe vorsichtig ein und geht.
2. Oktober
«Sous l’empire d’Amour»
Airs de cour und Lautenmusik
Marie-Claude Chappuis & Luca Pianca
Kulturhaus Helferei Zürich