Der Regionalvorstand SRG Deutschschweiz sieht seine Aufgabe nach eigenem Bekunden darin, "das Unternehmen in der Gesellschaft zu verankern und bei seiner Entwicklung mitzuwirken. Dazu zählt namentlich, dass wir die Programme und das übrige publizistische Angebot der SRG SSR für das deutschsprachige Publikum begleiten und Einfluss nehmen auf seine Ausrichtung und Qualität." Er nimmt sich wahr als Führungsgremium und ist mithin eine erste Adresse auch für die Prüfung kritischer Grundsatzfragen.
Schweigen statt führen
Solche sind berechtigt, weil Radio und Fernsehen den Kulturauftrag zerstückeln und über Bord werfen. Das Denken weicht schleichend, konzessionswidrig und unruhestiftend dem Quotendenken. Statt einzugreifen und die Rückbesinnung auf den Service public durchzusetzen, übt sich der Regionalvorstand in billigendem Schweigen.
Er vermittelt dieses Bild mit seiner kärglichen Reaktion auf begründete, schriftlich unterbreitete Fragen. Sie waren kurz gehalten und wären teils leicht mit Ja oder Nein zu beantworten gewesen.
Kahlschlag im Programm
Das Kulturradio, früher DRS 2, heute SRF 2 Kultur, kippte dieses Jahr fünf Sendungen aus dem Programm - "Atlas", "DRS 2 aktuell", "Apéro", "Cocktail", "Mattinata" -, will "Kontext" und "Reflexe" fusionieren und strich die Berichterstattung über das international reputierte Dokumentarfilm-Festival Nyon. Das Fernsehen der deutschsprachigen Schweiz eliminierte "Stars" und "Box Office", kürzte die Länge des "Kulturplatzes", liess die Biennale Venedig unbeachtet und zog sich von der Organisation des Schweizer Filmpreises zurück.
Die Frage, wie er diesen Kahlschlag beurteilt, mochte der Regionalvorstand nicht beantworten. Er ersparte sich auch einen Kommentar zum Verlust der Filmsendung "Box Office", die er einst als besonders gelungenes Beispiel bezeichnete, um ein jüngeres Publikum für den Bildschirm zu gewinnen.
An der Konzession vorbei
Gemäss Artikel 3 Absatz 2 der Konzession strebt die SRG "eine hohe Akzeptanz bei den verschiedenen Zielpublika an" und bemisst diese "nicht in erster Linie in Marktanteilen." Obwohl die beiden Vorgaben zwingend und präzis sind, weichen die neuen Programmkonzepte für Radio SRF 2 Kultur und für TV Kultur davon ab. Das Radiokonzept legt Wert darauf, "nicht nur einschlägig vorinformierte Zielgruppen" anzusprechen, sondern auch ein "breit kulturinteressiertes Mehrheitspublikum". Das kommt der Jagd auf ein Phantom gleich, weil es zwar ein Mehrheitspublikum gibt, aber kein "breit kulturinteressiertes". Es ist eine Minderheit, die Kultursendungen hört und sieht.
Das TV-Konzept dreht gar die Gewichte um, indem es das Kulturangebot "nicht nur an ein Mehrheitspublikum, sondern auch an speziell interessierte Zielgruppen" richtet. Als ob es die Konzessionsbestimmung nicht gäbe, betont das TV-Konzept die Hinwendung zum Mehrheitspublikum und die Abwendung vom minderheitlichen Zielpublikum überdies mit dem Bekenntnis, "künstlerische Qualität und Publikumsnähe" seien "gleichermassen Massstab der Arbeit".
In der programmpraktischen Konsequenz läuft dies darauf hinaus, das Populäre zu bevorzugen und jenes künstlerische Schaffen krass zu benachteiligen, das noch keine "Publikumsnähe" erreicht hat, vielleicht auch nie erreichen wird, aber womöglich wichtiger ist.
Persilschein für Quotentreiber
Mit diesem mehr als bloss zweifelhaften Gebaren konfrontiert, flüchtet der Regionalvorstand zunächst auf einen Gemeinplatz: "Die Programmkonzepte von SRF werden gemäss Statuten alljährlich vom Regionalvorstand innerhalb der programmstrategischen Vorgaben des Verwaltungsrats festgelegt."
Diesem Allerweltssatz folgt tatsachenwidrig die Behauptung, "Die Bestimmungen in Gesetz und Konzession sind dabei verbindlich vorgegeben und werden selbstverständlich auch eingehalten." Mit diesem Persilschein lachen sich die Quotentreiber ins Fäustchen, ermuntert, den Kulturauftrag bequemlichkeitshalber zu vergessen.
Komplizierte Ausrede statt fadengrades Handeln
Der Regionalvorstand missversteht das von ihm genehmigte TV-Kulturkonzept fatal. Es besagt deutsch und deutlich, dass "SRF Kultur grundsätzlich auf die Mehrheitsfähigkeit der Sendungsinhalte bedacht ist", jedoch "in Kauf" nimmt, "dass mit einzelnen (relevanten) Sendungen auch Minderheiten angesprochen werden." Aus dem in der Konzession verankerten Auftrag, ein kulturaffines Zielpublikum zu bedienen, wird ein bedauerlicher Betriebsunfall.
Dazu meint der Regionalvorstand in schönredender Verdrehung, die Erwähnung "speziell interessierter Zielgruppen“ sei lediglich ein vorsorglich entschuldigender Hinweis auf das "beschränkte Potenzial" und geschehe "nicht zuletzt darum, keine unrealistischen Erwartungen hinsichtlich eines rein quantitativ gemessenen Markterfolgs zu wecken."
Warum so kompliziert? Richtiger und einfacher wäre es, würde ein dem Geist der Konzession verpflichteter Regionalvorstand die Kulturprogramme ohne Wenn und Aber vom Quotenjoch befreien.
Ohne Ziel und Begründung
Weder im Radio- noch im Fernsehkonzept ist auch nur ein einziges Wirkungsziel fassbar genannt. Der Regionalvorstand interpretierte die Unterlagen wohl mit Wunschdenken, wenn er schreibt, die Konzepte "zeigen auf mittlere Frist hinreichend präzis auf, wie SRF dieses Ziel erreichen will". Er wird es in ein paar Jahren erst mühsam suchen und dann sogar mit der Lupe heraus finden müssen, dass es fehlt.
Das Kulturkonzept fürs Fernsehen begründet die Notwendigkeit der kulturfeindlichen Neuerungen mit keinem Wort. Hinter den Änderungen im Kulturradio steht die schwammige Hoffnung, bei der Hörerschaft "das Durchschnittsalter zu halten bzw. zu senken".
Vor allem sticht ins Auge, dass während der Umkrempelung des legendären DRS 2 dieses auf der SRF-Homepage noch über den grünen Klee gelobt wurde. Es sei „Radio mit Lust am Tiefgang“, beleuchte das aktuelle Geschehen, ergründe Zusammenhänge, mische sich ein, „reflektiert und kommentiert – kritisch, klar und kompetent“ und leiste „einen eigenständigen Kulturbeitrag“. Es ist ein seltener Vorgang, dass ein Unternehmen ein Produkt rühmt und ihm gleichzeitig eine Rosskur verordnet.
Die dem Regionalvorstand unterbreitete Bitte, er möge erstens erklären, weshalb er begründungslosen Programmumwälzungen zustimmte, und zweitens, warum er es widersprüchlich zuliess, das hoch gerühmte DRS 2 bis in die Grundfesten zu erschüttern: Diese Bitte prallte auf eine Mauer des Schweigens .
Krisenhafte Situation
Hinter dieser Mauer verschanzt sich das regionale Führungsgremium auch als Reaktion auf die Frage, wie es die Abgänge und Unruhen beim Radiopersonal beurteile. Im Zuge des programmlichen Kahlschlags und organisatorischen Operationen am offenen Herzen verliessen derart viele langjährige und vorzüglich qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Radio, dass von einem krisenhaften Erfahrungs- und Wissensverlust gesprochen werden muss. Unter dem Personal brodelt es bis heute.
Ein klärendes und beruhigendes Wort des Regionalvorstandes wäre der Lage angemessen, damit sich unerfreuliche Tatsachen nicht länger mit Vermutungen und Spekulationen vermischen. Wir hören ein gestörtes Radio.
Vergebliche Hoffnung
Und vom Führungsgremium gar nichts. Ob sein Postulat, das Kulturradio müsse das "unverwechselbare Profil beibehalten respektive weiter schärfen", angenommen worden sei? Funkstille. Ob der Regionalvorstand auf die neuen Programmkonzepte prägend einwirkte und Fehlentwicklungen korrigierte? Totenstille. Ob er die Zusammenlegung von Radio- und Fernsehredaktionen für eine gute Idee halte, die sich in der Praxis bewähre? Grabesstille.
Die Erkundigung, ob die fürs Programm Direktverantwortlichen auf die heftigen internen und externen Unmutsäusserungen gegen den massiven Kulturabbau kommunikativ überzeugend reagiert hätten, wurde vom Führungsgremium wohl als Scherzfrage solidarisch entsorgt.
Post scriptum 1
Dem Regionalvorstand, präsidiert von Dr. Viktor Baumeler, ehemals Staatsschreiber des Kantons Luzern, gehören zwei Frauen und acht Männer an, beruflich zwei Regierungsräte, zwei Angestellte der öffentlichen Verwaltung, ein Gewerkschafter und vier Unternehmens- und Kommunikationsberater. Ein Sitz ist vakant.
Der Vorstand erhielt Gelegenheit, sich zu jedem der in diesem Artikel behandelten Kritikpunkte vor der Veröffentlichung zu äussern. Das Gremium, das über eine Geschäftsstelle mit neun Beschäftigten verfügt, beantwortete von den vierzehn knappen Fragen deren drei und benötigte hierfür ein Nachhaken, drei Wochen und eine Plenarsitzung.
Post scriptum 2
Zum Artikel, der sich auf die Stellungnahme des Regionalvorstandes stützt, bittet Christoph B. Keller, Redaktionsleiter Kunst & Gesellschaft, Radio SRF2 Kultur, um eine Präzisierung:
Die "ehemalige Redaktion Gesellschaft, die 'Kontext' produzierte, und die Redaktion 'Reflexe', die per 01.11.2012 zur neuen Redaktion Kunst & Gesellschaft zusammengelegt" wurden, produzieren "mit einem neuen Fokus die beiden Sendungen" gemeinsam, und zwar "im Sinne des neuen Kulturbegriffs von SRF2 Kultur. Die beiden Sendungen aber blieben und bleiben bestehen."