Zwischen den 1930er Jahren und unserer Gegenwart gibt es gewisse Parallelen: Wie damals stehen auch heute die demokratischen Staaten unter zunehmendem Druck. Während sich in unserem Land die Linke seinerzeit den Bedrohungen stellte, verharrt heute Rot-Grün in ihrer ideologisch Versteinerung.
Nun hat die GSoA ihre Unterschriften gegen die Kampfjets F-35 eingereicht. Obwohl das Volk dem Rahmenkredit von 6 Milliarden Franken vor knapp zwei Jahren – allerdings nur hauchdünn – zugestimmt hat, wollen die Armeeabschaffer gemeinsam mit SP und Grünen den Kauf per Verfassungsinitiative verhindern. Auch die von Bundesrat und Parlament ins Auge gefassten höheren Jahrestranchen für die weitere Modernisierung der Armee (z. B. Artillerie) entsprechen in keiner Weise den Vorstellungen des links-grünen Lagers. Es lehnt die Armee ab und setzt ganz auf Friedenspolitik.
Ein Blick in die 30er Jahre
Nach dem Ersten Weltkrieg hat die Parole «Nie wieder Krieg!» seine Wirkung rasch eingebüsst. Revanchismus und Nationalismus breiteten sich aus, 1925 schwang sich Mussolini zum Diktator des faschistischen Staats Italien auf, 1933 Hitler zum Diktator des Deutschen Reichs, 1935 lancierte Italien den völkerrechtswidrigen Krieg gegen Abessinien, 1936 General Franco einen Bürgerkrieg gegen die demokratisch gewählte Regierung in Spanien. Und eine ganze Reihe weiterer Ereignisse stürzten die demokratisch gebliebenen Länder in stets grössere Verunsicherung.
Auch die kleine Schweiz war verunsichert. Und die Verunsicherung ergriff namentlich auch die führenden Köpfe der Sozialdemokraten. «Diktatur des Proletariats», Ablehnung der Armee – geht das noch in dieser Zeit? Der SP-Parteitag 1935 in Luzern entsorgte die «Diktatur des Proletariats» in den Papierkorb und bekannte sich vorbehaltlos zur Demokratie und – dies aber nur bedingt – zur militärischen Landesverteidigung. Es brauchte weitere zwei Parteitage, auf denen vehement um die Wehrfrage gerungen wurde: der revolutionär-klassenkämpferische Flügel und die Pazifisten gegen die reformorientierten Kräfte.
Der Weitblick der grossen Tenöre
Vertieft man sich in die Verlautbarungen der grossen Tenöre von damals, fällt auf, mit welcher Gründlichkeit und mit welchem Weitblick (über die Grenzen des Kleinstaats hinaus) sie das Thema Landesverteidigung angingen. Ernst Nobs, der 1943 zum ersten SP-Bundesrat gewählt werden sollte, schrieb 1936 in der Roten Revue, dem parteitheoretischen Organ: «Wir können uns nicht wünschen, dass Europas Kleinstaaten […] abrüsten und zum Spielball der Grossstaaten werden. Indem die Kleinstaaten sich wehrhaft halten zur Verteidigung ihrer Grenzen – indem sie nach Kräften zur kollektiven Sicherheit gegen jeden Angreifer beitragen, können sie in Europa zu einem nicht zu unterschätzenden Faktor der Erhaltung des Friedens und des Rechts werden.» Und Max Weber, auch er später für kurze Zeit SP-Bundesrat, erklärte, mit Mussolinis Abessinienfeldzug sei die Vision kollektiver Sicherheit durch den Völkerbund gescheitert, womit auch die pazifistische Vision des ewigen Friedens nicht mehr haltbar sei.
Beim SP-Parteitag 1937 in Zürich legten sich dann die grossen Tenöre, Hans Reinhard, Robert Grimm, Hans Oprecht, Walther Bringolf, nochmals gehörig für die bedingungslose Anerkennung der militärischen Landesverteidigung ins Zeug. Bringolf, der ehemalige Kommunist, dessen Sympathien selbstverständlich bei den republikanischen Widerstandskämpfern gegen Franco lagen, rief unter Applaus in den Saal: «Warum begeistert Spanien? Weil man dort die Freiheit mit Gewalt gegen Gewalt verteidigt.» An jenem Parteitag setzte sich der reformorientierte Flügel durch: Die Genossen votierten mit 370 gegen 77 Stimmen für die Armee. Und als im September 1938 auf der Münchner Konferenz die Aufteilung der Tschechoslowakei beschlossen wurde, verlangte die SP-Leitung vom Bundesrat sogar ausdrücklich die Verstärkung der Landesverteidigung, vor allem der Luftwaffe.
Erstarrt in Wunschvorstellungen
Heute sind die Zeiten – hoffentlich – noch nicht ganz so dramatisch wie damals. Unverkennbar aber ist, dass sich mit den immer hemmungsloseren Auftritten autoritär bzw. diktatorisch regierter Staaten die Weltlage massiv verdüstert. Während China ungehemmt Richtung Weltherrschaft marschiert und Russland erst in Syrien und nun in der Ukraine seine Interessen mit massiver Feuerkraft durchzusetzen trachtet, taumelt das gespaltene Amerika eher hilflos über die Bretter der internationalen Bühnen und führt, wie am 6. Januar 2020, der Welt ein Schauspiel vor, das all jenen, die noch an die Demokratie glauben, Schrecken einjagt.
Und wie verhält sich nun die Linke im Kleinstaat Schweiz? Bewegt sie sich, wie ihre Altvordern sich einst bewegt haben? Nein, das tut sie nicht. Sie hängt unbeirrt ihren Vorstellungen nach, wie die Welt eigentlich sein sollte.
Im Vergleich zu den Analysen, die die einstigen SP-Führer zur Sicherheitspolitik in die Arena warfen, sind die Verlautbarungen ihrer heutigen Sprecherinnen und Sprecher dürftig. Sie triefen von Antikapitalismus, Antiamerikanismus, Anti-Nato. Wenn es am Kapitalismus und an Amerika auch viel zu kritisieren gibt, so ist damit zu einer kohärenten Sicherheitspolitik aber noch gar nichts gesagt. Einzig auf pazifistische Parolen zu setzen, schafft nicht Sicherheit; jedenfalls ist schwer vorstellbar, Herrschaften wie Xi Jinping, Putin und Konsorten würden sich davon beeindrucken lassen.
Die Schweiz, für immer behütet?
Nicht überzeugend ist auch das im links-grünen Lager wieder und wieder vorgebrachte Argument, die Schweiz, schön eingebettet mitten in Europa, habe nichts zu befürchten, weil die Wahrscheinlichkeit, dass die Russen bis an den Bodensee vorstossen könnten, noch nie so klein gewesen sei wie heute. Dieses Argument lässt erstens ausser Acht, wie gerade Russland auf verschiedenen Ebenen versucht, westeuropäische Staaten zu beeinflussen. Und zweitens geht es von der fixen Idee aus, Westeuropa selber sei für alle Zeiten eine friedliche, durch EU-Regeln gebändigte Weltgegend.
Ein Blick in diese Gegend lässt Zweifel an solchen Gewissheiten aufkommen. Frankreich ist nach den letzten Wahlen gespalten, die rechtsextreme, EU-kritische und Putin-freundliche Marine Le Pen erreichte im 2. Durchgang der Präsidentschaftswahlen 42,5% der Stimmen, im linken Lager eroberte der ebenfalls EU-kritische Jean-Luc Mélenchon die beste Position. In Italien hat gegenwärtig die Postfaschistin Giorgia Meloni offenbar gute Chancen, Ministerpräsidentin zu werden. Und in verschiedenen osteuropäischen Ländern gibt es starke zentrifugale Kräfte. Orbán sorgt mit Revanchismus und Nationalismus für Unruhe, und sollte dereinst auch Serbien EU-Mitglied werden, hätte Russland auf dem Westbalkan eine Plattform, auf der es seine «Störsender» womöglich noch wirkungsvoller in Stellung bringen könnte.
Alles in allem ist es ein Zeichen von Dürftigkeit, wenn ein wichtiges politisches Lager unseres Landes auf dem weiten Feld der Sicherheit nichts weiter zu bieten hat, als «dagegen» zu sein. Und wenn in die Verfassung geschrieben werden soll, dass man bei den Amerikanern keine Kampfflugzeuge kaufen darf. Ein solcher Text im Grundgesetz ist auch nicht gerade das, was als «neutral» zu bezeichnen ist.
Aber die Initiative ist eingereicht. Sie soll behandelt und zur Abstimmung gebracht werden – wenn möglich noch bevor Bundesrätin Amherd den Vertrag mit den USA unterzeichnet. Ein Votum würde klare Verhältnisse schaffen – und es wäre wohl auch ein Plebiszit zur Rüstungspolitik im weiteren Sinn, dessen Ausgang für Links-Grün ein Problem werden könnte.