Die griechische Regierungspartei Nea Dimokratia hat die Wahlen vom 25. Juni mit absoluter Mehrheit von 158 von 300 Sitzen im Parlament gewonnen und kann allein regieren. Kleine Parteien auf der rechten Seite des politischen Spektrums sind auf dem Vormarsch, die zweitplatzierte Syriza bricht weiter ein.
Die Nea Dimokratia (ND) von Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis erhielt 40,5% der Stimmen bei den griechischen Parlamentswahlen gegenüber 17,8% für die oppositionelle linke Syriza des ehemaligen Ministerpräsidenten Tsipras (47 Sitze). Die sozialdemokratische Pasok legte wiederum zu, auf 12% (32 Mandate). Stabil ist die kommunistische KKE mit 7% (20 Sitze). Neu im Parlament ist die Linkspartei Plevsi Eleftherias («Freiheitskurs») mit 3% (8 Sitze).
Diese Zahlen ähneln denjenigen der ersten Wahl vom Vormonat. Die ND gewann aber eine absolute Mehrheit, weil diesmal nicht das Proporzwahlrecht, sondern das verstärkte Proporzwahlrecht angewendet wurde, das dem Sieger Bonussitze zuschanzt.
Spartaner, Niki und Elliniki Lysi ante Portas
Die Überraschung kommt auf den hinteren Plätzen: Nicht weniger als drei kleine Rechtsparteien haben es ins Einkammerparlament geschafft: Auf den fünften Platz kommen die Spartaner. Zum ersten Mal angetreten, haben sie 4,7% (13 Sitze) auf sich vereinigt. Geholfen hat den Spartanern die verbale Unterstützung des Neonazi Ilias Kassidiaris, der früher für die nationalsozialistische Goldene Morgenröte im Parlament sass. Im Moment sitzt er eine langjährige Haftstrafe ab, was aber nicht ausschliesst, dass er sich in den Medien äussert. Schon bisher im Parlament vertreten war die Elliniki Lysi («Griechische Lösung») mit 4% (12 Sitze). Neu ist auch die Niki («Sieg») mit 3,72% (10 Sitze).
Dieses Ergebnis hat kaum jemand erwartet und es ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass diese Parteien von den Medien nach Kräften behindert wurden. Selbst im Wahlstudio des Staatssenders ERT gestern Nacht kamen sie ausser für ein kurzes Statement kaum zu Wort. Auch eine vertiefte Analyse ihres Erfolges fehlt in den Medien. Die Journalisten des gestrigen Wahlstudios machten ein erstauntes Gesicht und fragten sich, wie es sein kann, dass Parteien, die «niemand kennt» auf Anhieb im Parlament vertreten sind. Dazu ist zu sagen, dass es die griechischen Medien selbst waren, die dieses Phänomen der Unzufriedenheit ignoriert haben. Wer in den sozialen und den alternativen Medien recherchiert hat, für den kommt das bemerkenswerte Resultat auf der rechten Seite des politischen Spektrums hingegen wenig überraschend.
Der Chef der Spartaner redet von Tonfall und Wortwahl her wie die Exponenten der Militärjunta von 1967 bis 1974. Als Rechtsanwalt hat er zum Beispiel Menschen vertreten, die sich im staatlichen Gesundheitsdienst gegen die Entlassung wegen fehlender Impfung gewehrt haben, oder Eltern, die sich gegen LGTB-Propaganda in der Primarschule wehren. Die Elliniki Lysi war schon bisher im Parlament vertreten, legte aber nun zu. Sie steht in der Tradition mehrerer kleiner Rechtsparteien, die sich in kurzer Abfolge in den letzten 30 Jahren im Parlament abwechselten. Hinter der Niki stehen klerikale Kreise, die sich gegen die komplette Säkularisierung Griechenlands und die Verdrängung der Religion aus Schule und Öffentlichkeit wehren.
Man kann sagen, dass es sich hier um rechtsextreme Parteien handelt. Man kann auch besorgt sein darüber, dass diese praktisch 15% an Stimmen gesammelt haben. Aber diese Betroffenheit zielt am wahren Problem vorbei, wonach nämlich die mit absoluter Mehrheit regierende ND dem Land in Sachen Menschenrechte und Pressefreiheit in Europa die rote Laterne eingebrockt hat.
Ein breites Betätigungsfeld für Spartaner & Co.
Auch wenn die Medien in den letzten vier Jahren praktisch komplett auf Regierungskurs gebracht wurden, gibt es offenbar trotzdem eine stattliche Anzahl von Wählerinnen und Wählern, die hinter die glänzende Fassade der Regierungspolitik blicken.
In den hiesigen Medien wurde das kaum kommentiert und es wurde höchstens erwähnt, dass die Flüchtlingspolitik durch den Druck von weit rechts restriktiv bleiben wird. Diese Erklärung greift zu kurz: Die Regierung führt zwar in Zusammenarbeit mit der EU-Agentur Frontex die europäische Flüchtlingspolitik aus und ist an vorderster Front tätig, weil Hellas eines der wichtigsten Erstaufnahmeländer ist – und geht manchmal an der Grenze über das hinaus, was offizielle Politik ist. Allerdings gelingt es ihr kaum je, abgewiesene Asylbewerber auszuschaffen, wodurch sich gerade in den Ballungszentren grössere Gemeinschaften aus eigentlich sicheren Herkunftsländern gebildet haben.
Dieses Thema kommt bei Gesprächen immer wieder auf und sorgt für Besorgnis – auch in Bezug auf die öffentliche Sicherheit, die die Regierung immer weniger zu gewährleisten vermag. Der kürzliche bestialische Mord an einer polnischen Staatsbürgerin in Kos durch einen Asylbewerber aus Bangladesh ist ein Beispiel dafür. Während der Untergang eines mit Migranten überfüllten und nicht seetauglichen Bootes vor der griechischen Küste in den hiesigen Medien breit ausgewalzt und die Schuld dafür reflexartig in Europa gesucht wurde, war meines Wissens nach der Mord an der Polin keinem deutschsprachigen Medium auch nur eine Zeile wert. In Griechenland ist aber die ständig steigende Kriminalität sehr wohl ein Thema und entspringt nicht einfach der Einbildung konservativer Kreise.
Ein weiteres Thema, das neuen Rechtsparteien ein breites Betätigungsfeld öffnet, ist die Tatsache, dass die Regierung Mitsotakis eine internationalistische Politik betreibt, bei der man nicht immer weiss, wessen Interesse vertreten wird. Gesellschafts- und familienpolitisch setzt er das ganze Spektrum von Änderungen um, das international auf der Tagesordnung steht, ohne sich darum zu kümmern, ob dies der griechischen Lebenswirklichkeit entspricht. Widerstand aus der Zivilgesellschaft und zum Teil aus der eigenen Partei ignoriert er. Mitsotakis fährt aussenpolitisch einen pro Nato-Kurs, ohne aber dafür Gegenleistungen zu verlangen. Es ist immer noch so, dass bei einem Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei die Nato nicht zum Eingreifen gezwungen ist, weil die Türkei auch der Nato angehört. Trotzdem hat der griechische Ministerpräsident neue Nato-Basen im Land bewilligt, ohne mit der Wimper zu zucken. Die Tatsache, dass sich im Moment im Verhältnis zur Türkei eine Entspannung abzeichnet, ist erfreulich und ich werde in einem gesonderten Beitrag darauf zurückkommen, aber diese Entspannungspolitik wurde eindeutig nicht in Athen eingefädelt. Gelegentlich holt den Ministerpräsidenten die Vergangenheit ein: Als Oppositionsführer hat er sich entschieden gegen das Prespes-Abkommen mit Nordmazedonien ausgesprochen und angekündigt, als Ministerpräsident dieses aufzukündigen, was er natürlich dann nicht getan hat. Griechenland hat bisher von diesem Vertrag sehr profitiert und konnte im Rahmen der Nato sogar die Luftverteidigung des nördlichen Nachbarn übernehmen. Nun ging aber dieser Auftrag an Italien – das Misstrauen in Nordmazedonien gegenüber Mitsotakis ist noch nicht überwunden. Immerhin wurde auch diesmal nicht die Türkei berücksichtigt.
Die Regierung Mitsotakis profilierte sich im Wahlkampf mit Stabilität, Zuverlässigkeit und einer guten Wirtschaftsentwicklung (hohes Wachstum, gesunkene Arbeitslosigkeit), was die Medien brav nachbeten. Kaum ein Journalist bemerkt, dass das hohe Wirtschaftswachstum von der Inflation, die immer noch um 10% pendelt, mehr als aufgefressen wird. Im Fernsehen wird zwar bemerkt, dass die Arbeitslosigkeit von 20% auf 12% zurückgegangen ist und in einigen Branchen wie dem Tourismus akuter Arbeitskräftemangel herrscht, aber es wird kaum hinterfragt, dass dieser Prozess mit extremen Kürzungen verbunden war und die Löhne einer breiten Schicht kaum mehr existenzsichernd sind und dass die Bevölkerung in den letzten 10 Jahren um 200’000 Menschen geschrumpft ist. Ich habe in einem früheren Beitrag detailliert darauf hingewiesen – in Griechenland leben heute deutlich weniger als 10 Millionen Menschen. Ich merke immer wieder, wenn ich durch Bern laufe: man spricht griechisch – die Einwanderung aus Hellas geht weiter, die Griechinnen und Griechen stimmen auch mit den Füssen ab.
Wie gehabt: Syriza bricht ein
Der Einbruch der ehemaligen linken Regierungspartei Syriza erstaunt weiter nicht mehr. Syriza war zwar die offizielle Opposition, hat aber gerade das vermissen lassen: den Finger auf den wunden Punkt bei der Regierungsarbeit zu legen. Der Abhörskandal wurde in Brüssel aufgedeckt, vor dem kompletten Fehlen einer Zugsicherung auf der Hauptstrecke (was zum katastrophalen Zugsunglück vom Februar geführt hat) haben die Gewerkschaften gewarnt, während der Covid-Pandemie, die die Regierung extrem schlecht gemeistert hat (habe ich in früheren Beiträgen begründet), war Syriza unsichtbar und in Bezug auf die Inflation, die breite Schichten verarmen lässt, aber der Regierung in die Hände spielt, weil dadurch der Schuldenberg schmilzt, hörte man von Tsipras’ Partei auch kaum etwas. Auch die Tatsache, dass Griechenland in Sachen Menschenrechte und Pressefreiheit innerhalb Europas die rote Laterne hat, schien der einstmals führenden Linkspartei nicht der Rede wert.
Weil die Syriza sich dieser Probleme nicht annahm, wählten Wählerinnen und Wähler, die durch diese Probleme auf die eine oder andere Art betroffen sind, Parteien rechts von der ND.
Mitsotakis reloaded
Ministerpräsident Mitsotakis hat nun ein Mandat für weitere vier Jahre und kann mit absoluter Mehrheit regieren. Weil er ein gelehriger Schüler seiner amerikanischen Mentoren und der EU-Kommission ist, lässt man ihn gewähren und setzt sich darüber hinweg, dass er und seine Partei zu den Menschenrechten und zur Pressefreiheit ein – diplomatisch ausgedrückt – pragmatisches Verhältnis haben. Allerdings wird es im neuen Parlament nicht mehr so einfach sein, die obengenannten Probleme zu verstecken. Die neuen Parteien dürften ihm besser auf die Finger schauen.