Iran wählt am 26. Februar, doch die Ergebnisse dieser Wahlen werden erst nach Stichwahlen im April bekannt werden. Stichwahlen sind notwendig, weil nur der bei den Parlamentswahlen als gewählt gilt, der mehr als 25 Prozent der Stimmen auf sich vereinigt.
Der "Herrschende Religionsgelehrte"
Was die gleichzeitig durchzuführenden Wahlen für den Expertenrat angeht, wird man das Ergebnis sofort nach dem Wahlgang kennen. Jedoch wird dieses Wahlresultat nicht besonders sensationell ausfallen, denn im Wesentlichen steht es jetzt schon fest.
Der Expertenrat von 88 Mitgliedern hat eine einzige Hauptaufgabe. Er bestimmt - nach dem Tod des gegenwärtigen Herrschenden Religionsgelehrten, Ali Chameneis - wer ihm, ebenfalls auf Lebenszeit - nachfolgen wird. Wann dieser Zeitpunkt eintritt, weiss man nicht. Doch Chamenei gilt als krank, oder, wie manche behaupten, schwer krank. Wenn diese Entscheidung getroffen wird, wird sie die Zukunft des Landes bestimmen, weil der Herrschende Religionsgelehrte über alle wirklichen Machthebel Irans verfügt.
Hindernisse der "Reformfreunde"
Das Parlament hat seinerseits politische Bedeutung für die Tagesentscheide. Es berät Gesetze und erlässt sie. Doch es ist der direkt gewählte Präsident, zur Zeit Hassan Rohani, welcher die Regierungsmitglieder ernennt. Das Parlament von 290 Abgeordneten hat das Recht, die Minister, die vom Präsidenten vorgeschlagen werden, anzunehmen oder abzulehnen.
Präsident Rohani und seiner Regierung ist es gelungen, das Atomabkommen unter Dach und Fach zu bringen und dadurch die Aufhebung des einschneidenden Boykotts des Uno-Sicherheitsrates zu erreichen. Der Präsident möchte nun seine aussenpolitische Öffnung des Landes auch innenpolitisch fortführen, indem er die strengen inneren Kontrollen und engen Bande lockert. Dies steht unter der Bezeichnung "Reform". Rohani kann jedoch nur Reformen durchführen, wenn die Parlamentarier ihm dabei mehrheitlich helfen. Wird das Parlament von seinen "konservativen" Gegnern beherrscht, sind Reformen so gut wie unmöglich. Darum geht es bei den Parlamentswahlen.
Reform- und Anti-Reform-Koalitionen
Es gibt keine fest gefügten Parteien. Was sich Parteien nennt, sind eher Gruppen von Anhängern und Mitläufern, die sich um bestimmte Chef-Persönlichkeiten herum sammeln. Diese Gruppierungen, Assoziationen und Vereine haben sich zu zwei grossen Verbänden zusammengeschlossen, zu dem Verband der Reformer und dem der "Prinzipalisten". Dieser zweite Begriff wurde geprägt, um das Wort "Fundamentalisten" zu vermeiden. Doch es meint das gleiche.
Die städtischen Iraner, besonders in Teheran, wissen, welche Personen und Gruppen zu den Reformern oder den Konservativen zu zählen sind. Jedoch die Grenzen zwischen den Gruppen sind nicht immer scharf gezogen. Es gibt "harte" Konservative, die jede Veränderung ablehnen, es sei denn, sie bringe den "islamischen" Machthabern zusätzliche Machtbefugnisse. Und es gibt "gemässigte" Konservative, die vielleicht bereit sein könnten, Änderungen in Betracht zu ziehen, die sie als nützlich für das Gemeinwesen erachten, solange sie nicht die bestehenden Machtverhältnisse verschieben.
Auch unter den Reformern gibt es Politiker mit ganz unterschiedlichen Haltungen und Meinungen.
Die Unterschiede zwischen Stadt und Land wirken sich dahin aus, dass den einfachen Leuten in ländlichen Bezirken, die lokalen Belange am wichtigsten sind. Ein Politiker, der ihnen in ihrem eigenen Lebensbereich Vorteile verspricht, oder - noch besser - verschafft, findet Zustimmung, ob er nun zu den Reformern gehört oder zu den Konservativen.
Auswahl durch den Wächterrat
Zu den Besonderheiten der iranischen Wahlen gehört, dass die Kandidaten vorab ausgewählt werden. Diese Vorauswahl für die Wahl beider Instanzen, Expertenrat und Parlament, trifft eine weitere Instanz, die Wächterrat heisst. Der Vorsitzende und die Hälfte der Mitglieder dieses zwölfköpfigen Rates werden vom Herrschenden Gottesgelehrten ernannt, die andere Hälfte vom obersten Richter, den seinerseits ebenfalls der Herrschende Gottesgelehrte bestimmt. Die Ratsmitglieder sind alle Gottesgelehrte und Vertrauensleute Chameneis.
Dieser Wächterrat pflegt in zwei Stufen zu auszuwählen. Zuerst entfernt er alle Kandidaten, die ihm irgendwie nicht absolut linientreu erscheinen. Dann erfolgt ein Aufschrei unter den oftmals Tausenden von Ausgeschiedenen. Sie haben das Recht, eine Revision des Ratsbeschlusses zu fordern, die der gleiche Rat vornimmt. Die Revision führt dann dazu, dass der Rat einige der zuerst Eliminierten doch noch zulässt. Dieses elastische Vorgehen war schon bei früheren Wahlen der Fall und wurde auch diesmal wieder angewandt. In einem ersten Durchgang hat der Rat nur 30 von 3000 Kandidaten, die als reformfreudig galten, zugelassen. Gegenüber "nur wenigen" der 7200 konservativen Kandidaten, die ebenfalls ausschieden. In der Revision seiner Entscheide liess der Rat dann doch einige weitere der reformorientierten Kandidaten zu. Man kann vermuten dass die nun doch Zugelassenen eher zu den "vorsichtigen" Reformern gehören als zu den "radikalen" unter ihnen.
Vermuteter Wahlbetrug
Die Befürworter von Reformen, unter ihnen zwei ehemalige Präsidenten Irans, Ali Akbar Hashemi Rafsanjani und Mohammed Khatami, forderten die Wähler auf, die Wahlen nicht zu boykottieren und für die verbliebenen Reformkandidaten zu stimmen. Sogar einige der politischen Gefangenen liessen sich über ihnen Nahestehende in diesem Sinne vernehmen, und die unter Hausarrest gestellten, immer noch einflussreichen Vorkämpfer der Proteste gegen vermuteten Wahlbetrug in den Präsidentschaftswahlen von 2009 meldeten sich über ihre Familienmitglieder im gleichen Sinne zu Wort.
Bei den Bewerbungen für den oben erwähnten 88-köpfigen Expertenrat war die Auswahl der Kandidaten noch strenger als im Falle des Parlamentes. Von 800 Kandidaten, alle müssen Gottesgelehrte sein, wurden nur 161 zugelassen. Unter den Ausgeschiedenen befinden sich engste Vertraute des verstorbenen Republikgründers, Ajatollah Chomeini, und auch ein Enkel desselben. Die Reformfreunde möchten Rafsanjani in diesen Rat bringen, der als ein "Pragmatiker" gilt. Er bildet den Kopf ihrer Liste, Nummer zwei darauf ist Präsident Rohani.
Undurchsichtigkeit dient der Machterhaltung
Es ist nicht nur die Vor-Auswahl, die in derartigen Wahlen zu Gunsten der bestehenden Machthaber wirkt. Auch die Undurchsichtigkeit des gesamten Wahlvorgangs dient dem gleichen Zweck. Je weniger transparent die Prozeduren sind, desto leichter fällt es den im Hintergrund wirkenden Kräften mit korrigierender Hand einzugreifen, wenn sich unerwünschte Entwicklungen zeigen. Die Kräfte im Hintergrund, die weitgehend an den Willen des Herrschenden Gottesgelehrten gebunden sind, bestehen aus den Geheimdiensten, dem Heer der Revolutionswächter, den Instanzen der Polizei und der Volksmilizen (Bassidsch), und auch die Gerichte gehören dazu. Je weniger transparent das Geschehen, desto leichter ist es für sie, ihre Absichten durchzusetzen.
Unmittelbar vor dem Beginn des Wahltermins wandte sich der Zweite Vorsitzende einer der Reform Gruppierungen, Rasul Muntakheb-Nia, an das Innenministerium, um zu melden, er habe Kenntnis von einem geheimen Plan der Reformgegner. Sie beabsichtigten am Wahltag, eine Million Landbewohner und Bewohnerinnen nach Teheran zu bringen, um die dortigen Wahlen in ihrem Sinn zu beeinflussen. Wie das Innenministerium auf die Meldung reagierte, wurde nicht bekannt.