Die warmen Abende in den südlichen Ländern Asiens sind erfüllt vom Lärm der Tiere, vom Zirpen der Grillen, dem Zischen und Pfeifen der Fledermäuse, dem Quaken der Frösche und dem Schmatzen und Bellen der Geckos: Wenn man neunmal das "geck-oh, geck-oh" der kleinen Echsen hört, geht ein Wunsch in Erfüllung, sagen die Thais.
Die possierlichen Tierchen von der Familie der Schuppenkriechtiere gehören in jede Wohnung, in jedes Büro, in jede Werkstatt, in jedes Restaurant, in jede Bar - von Mexiko bis Chile, von Indien bis auf die Philippinen. Und jedermann mag die Geckos, die dem Lärm und der Hektik des Tages in ihre Verstecke hinter Bildern oder Schränken entfliehen und nachts schmatzend über die Wände huschen, weshalb die meisten unter ihnen (etwa 75 Prozent) den dämmerungs- oder nachtaktiven Tieren zugerechnet werden.
Nach Einbruch der Dunkelheit sind diese „Lamellengeckos“ dank der perfekten Adhäsion (Haftkraft) ihrer mit Milliarden feinster Härchen besetzten Füsse mächtig aktiv, fressen praktisch all die lästigen, insektenartigen Bewohner menschlicher Räumlichkeiten, Spinnen, Moskitos, Fliegen, Ameisen oder Kakerlaken. Dieser Nachtaktivität sind auch ihre Augen mit der auffallenden Spaltpupille angepasst. Die sogenannten Zapfen der Netzhaut der Augen etwa des Helmgeckos, des einzigen Wirbeltieres, das auch bei Nacht Farben erkennen kann, sind circa 350-mal lichtempfindlicher als jene der menschlichen Augen bei Dämmerlicht, haben Forscher der schwedischen Universität Lund herausgefunden.
Gedichte und Lieder rühmen sie
Wer liebt sie nicht, diese kleinen Echsen, die beinahe durchsichtig kaum eineinhalb Zentimeter, aber auch fett und verfressen bis zu 40 Zentimeter lang werden können? In Gedichten wurden sie gerühmt, etwa in Björn Lunds „Das Leben als Gecko“:
„A-Gecko auf der Lauer liegt,
als über ihm 'ne Fliege fliegt.
Das kommt dem Gecko sehr gelegen,
sein Gecko-Herz klopft ihretwegen
Die Zunge fängt das kleine Tier
- das Fliegenleben endet hier.
A-Gecko geckt vergnügt umher,
das Frühstück mundet ihm gar sehr…“
Die australische Chanson-Sängerin Kavisha Mazzella machte das „Gecko-Lied“ aus Bali in ganz Südostasien und auf dem fünften Kontinent bekannt und bei Youtube rocken Geckos sogar selbst. Die ersten beiden Alben der Londoner „Gecko-Band“ trugen völlig zu Recht die Titel „Terrible Lizard“ und „Songs in the Key of Lizard“. Und die Zeit lobt: „Gecko ist ein tolles Magazin für Kinder.“ Die Chinesen haben die Geckos gar zum Fressen gern.
Dörfer ohne Geckos
In einigen Dörfern im Nordosten Thailands aber fehlen die vertrauten Laute der Geckos, kein Bellen, kein Schmatzen ruft die heimische Atmosphäre hervor. Die Geckos bleiben stumm. "Die Geckos", gibt ein alter Mann mit einem zahnlosen Lächeln Auskunft, "die Geckos gehen China. Dort entlang", deutet er die schmale Strasse hinab, "gehen Sie dort entlang, und Sie werden schon sehen."
Am Ende von "dort entlang" ist ein winziges Dorf, das nicht einmal auf den Landkarten eingetragen ist. Nava ist sein offizieller Name, doch die Leute hier im Nordosten Thailands nennen den Ort nur "das Geckodorf". Weiter unten, bei einem riesigen Lagerhaus aus Beton, stinkt es erbärmlich, es ist der Gestank des Todes. Das Gebäude ist die Geckofabrik.
Jeden Tag von März bis Oktober bringen armselige Tagelöhner Säcke hierher, gefüllt mit Geckos, die sie in ganz Zentral- und Nordthailand gesammelt haben. Die Frauen und Männer in der Fabrik arbeiten die ganze Nacht hindurch. Mit harten Stockschlägen betäuben sie die Geckos, ehe sie die Tiere mit Scheren aufschneiden, die Innereien herausnehmen, die Häute auf Bambusstäbe aufspannen und eine oder zwei Nächte lang vor einem Holzfeuer trocknen. Getrocknet gehen die Geckos China.
Für Gesundheit und Potenz
Zwar weisen Wissenschaftler den populären Glauben, wonach die Echsenhaut, die Zunge oder die Innereien des Tieres gegen Krebs und sogar gegen die Immunschwächekrankheit HIV hilft, als „völlig unbegründete Behauptung“ zurück. Im Gegenteil, die philippinische Regierung warnte neulich sogar vor Gesundheitsrisiken, denen Patienten aufgrund solcher Behandlung ausgesetzt seien. In China werden die Geckos dennoch als Allheilmittel geschätzt. Sie sollen so ziemlich alles von Asthma, Hautkrankheiten, Diabetes, Niereninfektionen oder Krebs bis HIV kurieren. Und natürlich sollen sie – gekocht in schwarzem Reiswein und anschliessend erneut getrocknet oder zerbröselt in Whisky - auch der Libido förderlich sein.
In Nava oder Geckodorf heilen sie nur eines: die Armut. Zwar sind das Töten und Säubern der Tiere harte Arbeit in stinkender Hitze, doch die Fabrikarbeiter können 400 bis 500 Baht (etwa zehn Euro) die Woche machen, weit mehr als sie auf ihren Reisfeldern verdienen.
Andere machen das grosse Geld – und oft ganz legal. Alleine zwischen 1998 und 2002 importierten die Vereinigten Staaten „achteinhalb Tonnen getrocknete Geckos“ legal für den Gebrauch in der traditionellen Medizin, erklärt ein Sprecher der Tierschutzorganisation Traffic Southeast Asia. Und erst vor kurzem haben die Behörden ein Ehepaar festgenommen, das Echsen im Wert von beinahe einer Million Dollar von Thailand nach Malaysia schmuggeln wollte. Malaysia ist eine Drehscheibe im illegalen Handel von Tieren.
Ausgestorben und gefährdet
Der vermutlich aus Neuseeland stammende und im späten 19. Jahrhundert ausgestorbene Kawekaweau-Gecko (Hoplodactylus delcourti) hatte eine Länge von 60 Zentimetern erreicht, ebenso wie der um 1840 ausgestorbene Rodrigues-Riesengecko (Phelsuma gigas). Thailands 40 Zentimeter langer, blaugrauer Tokay-Gecko mit seinen orangefarbenen Flecken steht auch schon auf der Liste der gefährdeten Arten.
Die Leute von Nava müssen inzwischen auf ihrer Suche nach den einträglichen Echsen jedes Jahr etwas weiter fort vom Dorf. Und die gejagten Geckos, die ja bis zu 40 Zentimeter lang werden können, werden kürzer, bestätigen Fabrikarbeiter.
Darum aber mache er sich keine Sorgen, meint der Fabrikmanager optimistisch: "Unsere Leute werden immer neue Plätze finden, um die Geckos zu fangen." Vielleicht, so meinte wenigstens einer der Arbeiter aus Nava nachdenklich, "sind wir schuld daran, dass wir in Thailand keine Geckos mehr haben." Einige Teile Südchinas sind schon so abgegrast, dass die Chinesen Geckos inzwischen auf Farmen ziehen.