Seit Wochen pflastern die Gegner der Energiestrategie Plakatwände und Zeitungen mit Schauermärchen zu. Rasch wird klar: Die SVP hat ihre Kampagnenmethode an den Zeitgeist angepasst und ist mit einer Fake-Strategie à la Donald Trump unterwegs. Steigende Mieten, zerfledderte Vögel, schreiende Kinder, Zuwanderung – jede Bevölkerungsgruppe wird nach dem System des „Microtargeting“ mit ihren individuellen Sorgen bedient. Und das von einer Partei, die grundsätzlich den Schutz von Mieter/innen bekämpft oder wertvolle Naturlandschaften mit neuen Strassen zupflastert. Auch punkto Beweglichkeit und Flexibilität steht die SVP dem Trump-Stil in nichts nach. Parteipräsident Albert Rösti vertritt gleichzeitig die Wasser-, die Atom- und die Ölheizungslobby und passt als Diener vieler Herren auf jedem Podium seine Aussagen an. Noch vor einem Jahr vertraute er auf neue, „gefahrenlos implodierende“ Atomkraftwerke. Heute will er von der teuersten Energieform aller Zeiten nichts mehr wissen und den wegfallenden Atomstrom durch Gaskraftwerke ersetzen. Hauptsache, man gewinnt die Abstimmung und damit die Lufthoheit über die Energiepolitik. Werte und Zukunftschancen spielen in diesem Spiel keine Rolle. Es geht einzig und allein um – rechtslibertäre – Macht.
Die Frage ist, wie die demokratischen Kräfte auf diesen Gipfel der Verlogenheit reagieren. Demontieren wir akribisch alle Falschaussagen und weisen auf die abstrusen Saltos der rechtspopulistischen Faktenverdreher hin? Zum Beispiel darauf, dass die SVP vor der „Verspargelung der Landschaft“ durch Windanlagen warnt und gleichzeitig die Zahl der möglichen Windkraftgebiete im Kanton Bern verdoppelt hat? Oder reagieren wir mit Humor? Wie Gülsha Adilji, die dem weinenden, nackten und kalt duschenden Mädchen auf den SVP-Plakaten liebevoll erklärt, wie man den Boiler wieder anstellt? Beides ist sinnvoll, aber beides reicht nicht. Denn das Schicksal der Energiestrategie 2050 wird von den Menschen entschieden, die von ihrer Notwendigkeit überzeugt sind. Wir müssen deshalb bis zur Abstimmung die Kernaussage in den Mittelpunkt rücken: Die Energiestrategie sichert den Atomausstieg – ohne gleichzeitig den Klimaschutz zu schwächen.
Die Atomkraftwerke in der Schweiz sind bekanntlich ein Auslaufmodell. 2019 wird das AKW Mühleberg freiwillig stillgelegt. So hat es die Bernische Kraftwerke AG aus wirtschaftlichen Gründen entschieden. Das älteste AKW der Welt, Beznau 1, produziert bereits seit zwei Jahren keinen Strom mehr. Allerdings unfreiwillig, aufgrund von technischen Schwierigkeiten. Selbst Bundespräsidentin Doris Leuthard zweifelte, ob man es je wieder hochfahren kann. Auch das AKW Leibstadt ist angeschlagen. Der Ausstieg aus der Atomenergie scheint damit schneller Realität zu werden, als es in den Planspielen der Energiestrategen vorgesehen war. Damit stehen wir vor der Frage: Wie will die Schweiz rund 33 Prozent Atomstrom ersetzen? Und zwar schnell?
Die Gegner der Energiestrategie kommen bei dieser Frage leicht ins Schwitzen und schweigen dazu in allen Landessprachen. Faktisch zählen sie auf zusätzliche Importe von Öl, Gas, Kohle- und Atomstrom aus dem Ausland. Dass dies eine höchst flatterhafte Angelegenheit ist, hat die Atommacht Frankreich in diesem Winter bewiesen. Wegen unzähligen AKW-Pannen stand das Nachbarland kurz vor dem Blackout. Industrieanlagen drosselten die Produktion und funktionierende Heizungen gab es nur noch dank Energiehilfen der Nachbarländer. Solche belastende Situationen wollen wir den Menschen hier ersparen. Mehr noch: Mit der Energiestrategie können wir aus der Not eine Tugend machen und die energiepolitische Selbstbestimmung stärken – mit positiven Folgen für die Umwelt und für den Forschungs- und Arbeitsstandort Schweiz.
Die Abstimmung vom 21. Mai ist noch nicht gewonnen. Man sollte sie ernst nehmen und in eine globale Perspektive einordnen. Wer vor der eigenen Haustür prinzipiell gegen jede Solarlage oder gegen jede Gebäudesanierung antritt, nimmt in Kauf, dass rund um die Welt weiter schmutziges Öl, Gas und Uran gefördert werden. Mit haarsträubenden Folgen für die Menschen und die Natur. Die Energiestrategie 2050 ist keine Revolution. Aber ein wichtiger Schritt aus der nuklearen und fossilen Vergangenheit in eine erneuerbare, saubere und dezentrale Energiezukunft. Sie verdient nicht nur unsere Unterstützung, sondern unser Engagement.