Auch ein Gericht sieht sich im Nachhinein ausserstande, die Ursache jenes Brandes genau zu benennen, der am 6. März 1971 in der psychiatrischen Universitätsklinik Burghölzli in Zürich wütet. Der Nachtpfleger ist gerade von einem Rundgang ins Büro zurückgekehrt, als ihm dichter Rauch entgegenschlägt. Rasend schnell breiten sich giftige Schwaden in der Abteilung C aus.
Während die Patienten angrenzender Abteilungen in Sicherheit gebracht werden können, kommt für jene der Abteilung C jede Hilfe zu spät. 28 Menschen sterben, grösstenteils bettlägerige oder chronisch kranke Alterspatienten. «Die meisten erstickten im Schlaf; ein paar, die sich zu retten versuchten, scheiterten an den verschlossenen Türen und vergitterten Fenstern», fassen Sabine Jenzer und Thomas Meier das Drama zusammen, dessen Hintergründe sie 2017 in einem Buch erforscht haben, dem sie den bezeichnenden Titel «Eingeschlossen» gegeben haben.
Wie es wirklich aussieht in der Psychiatrie
Anlass für die Aufarbeitung dieser Brandkatastrophe war ein Zufallsfund. Drei Jahre zuvor ist der Rheintaler Kunstmaler Willi Keller in seinem Archiv auf Fotografien gestossen, die er um 1970 im Burghölzli gemacht hat. Keller, gelernter Fotograf, hat sich 1963 zum Psychiatriepfleger ausbilden lassen. Neun Jahre lang arbeitet er im Burghölzli – und wäre wohl noch länger geblieben, wäre er nicht seiner wahren Berufung gefolgt: der Kunst. Fotografiert hat er im Auftrag der Klinikleitung für eine geplante Ausstellung, die einmal zeigen soll, wie es wirklich aussieht in der Psychiatrie.
Diese eindrucksvollen Bilder aus der Psychiatrie sind jetzt im Museum Lagerhaus in St.Gallen zu sehen, und sie bilden den dokumentarischen Kern des Buches, das in einem ersten Teil den Brand nacherzählt und im dritten Teil auf jene Veränderungen zu sprechen kommt, die sich in diesen Jahren angebahnt haben. Ärzte und Pflegende von damals erinnern sich. Zum Beispiel Katrin Angst, die als junge Ärztin ans Burghölzli kommt und noch sehr starke ideologische Frontstellungen antrifft: «Es gab Leute, die haben biologisch-psychiatrisch gedacht, und es gab Leute, die eher psychotherapeutisch-analytisch geprägt waren.» Heute sei diese «versteckte Feindschaft» überhaupt kein Thema mehr: «Heute wird einfach pragmatisch gearbeitet.»
Den Weg geebnet hat die Bewegung des Italieners Franco Basaglia, der aus der Gegnerschaft gegen die Anstaltspsychiatrie heraus die Prinzipien der therapeutischen Gemeinschaft entwickelt. Die Therapien werden breiter, dem Einzelnen angepasster, die Aufenthaltszeit kürzer. Neue Medikamente ermöglichen zusammen mit ambulanter Betreuung eine schrittweise Wiedereingliederung in die Gesellschaft.
Das Eindrücklichste sind die Gesichter
1970 befinden wir uns an einer Schwelle. Auf der einen Seite herrscht in den bedrückend engen Räumen des Burghölzli noch eine ungeheure Monotonie, die man auch auf Willi Kellers Bildern gut erkennen kann. Das Eindrücklichste daran allerdings sind die Gesichter. Menschen, gezeichnet vom Leben, von denen eine ganz starke Ausstrahlung ausgeht.
Diesen Menschen wendet sich die Psychiatrie von den Siebzigerjahren an auf andere Weise zu als zuvor. Willi Keller arbeitet künstlerisch-kreativ mit den Patienten und geht mit ihnen in die Stadt. Auch der junge Arzt Ambros Uchtenhagen spürt den Aufbruch. «Ich hatte so Glück, dass ich in eine Zeit kam, in der die Bereitschaft, etwas Neues anzufangen, vorhanden war», sagt er. Und: «Man musste es nur auflesen. Ich hatte das Glück mit einem Chef, Manfred Bleuler, der mich hat machen lassen, obwohl er immer Angst gehabt hat, es könne schieflaufen.»
Die Bilder von Willi Keller aus dem Burghölzli sind zusammen mit Aufnahmen von Roland Schneider aus der Psychiatrischen Klinik Solothurn bis zum 11. Juli im Museum im Lagerhaus St.Gallen zu sehen. Das Buch «Eingeschlossen» von Sabine Jenzer, Willi Keller und Thomas Meier ist erschienen im Chronos-Verlag.