Wer Ironie, Burleske und temporeiche Musik liebt, sehe sich an, wie der Popmusikstar und Komponist Herbert Grönemeyer und ein grossartiges Ensemble einen Abend lang Hohn und Spott über die Bourgeoisie ausgiessen. Dies alles im Theater Basel auf den Spuren des Lustspielprofis Eugène Labiche aus dem 19. Jahrhundert.
«Ich habe mich fast ausschliesslich dem Studium des Bourgeois, des Philisters gewidmet, dieses Tier bietet zahllose Möglichkeiten; es ist unerschöpflich.» (Eugène Labiche)
Fast ebenso unerschöpflich erscheint die unglaubliche Produktion von rund 150 Lustspielen respektive Vaudevilles des Pariser Fabrikantensohnes Labiche. Das 1851 in Paris uraufgeführte Stück «Un chapeau de paille d’Italie» gehört bis heute zu seinen erfolgreichsten Werken. Im 20. Jahrhundert hat sich zum Beispiel kein Geringerer als der junge Orson Welles an den Stoff gewagt, nein, hat ihn sich genial «unter den Nagel gerissen» und in New York City 1936 unter dem Titel «Horse Eats Hat» herausgebracht.
Drohendes Ehedrama mit literarischen Vorbildern
«Pferd frisst Hut» – der anfänglich etwas befremdend wirkende deutsche Titel dieser Basler Uraufführung stammt also von 1936 und lässt sofort augenzwinkernd erkennen, wes Geistes Kinder hier am Werke sind. Die Groteske, der Wirrwarr, die ganze Verlogenheit bourgeoiser Moral werden hier genüsslich ausgebreitet und kraftvoll musikalisch untermalt. Die ganze Geschichte um einen Ehebruch, der durch die genüssliche Verfressenheit eines Pferdes (welches während des Liebesgetändels seiner Besitzerin besagten Florentinerhut an- und beinahe auffrisst) droht, aufzufliegen, wird – unabhängig von der Haupthandlung – von den Hochzeitsvorbereitungen einer bürgerlichen Gesellschaft unterbrochen respektive temporeich durchwoben.
Das Ganze erinnert an das weitaus revolutionärere und bekanntere Werk «Der tolle Tag» von de Beaumarchais. Nach diesem berühmten Titel, rund 100 Jahre vorher geschrieben, mag Labiche wohl ein wenig geschielt haben – aber das sind Mutmassungen! Aber so, wie Beaumarchais’ literarische Vorlage musikalische Umsetzungen (Mozart, Milhaud) hervorgerufen hatte, so fühlen sich bei Labiche auch viele Jüngere zu Bearbeitungen und musikalischen Umsetzungen herausgefordert. So auch der 1956 geborene deutsche Liedermacher, Sänger, Texter und Komponist Herbert Grönemeyer, welcher heute zu den wirkungsmächtigsten Stimmen der Rock- und Popgeneration gehört.
Grönemeyer, wirkungsmächtige Stimme der Popgeneration
Grönemeyer, der jahrelang den Besucherrekord von 1’000’000 Konzert-BesucherInnen im Showbusiness hielt, begnügt sich dieses Mal – in Koproduktion des Theaters Basel mit der Komischen Oper Berlin – mit den weitaus eingeschränkteren Dimensionen eines normalen Theaterbetriebes. Mit ihm flochten Sabrina Zwachs als Textbearbeiterin und der in Basel bereits bekannte, erfolgreiche deutsche Regisseur Herbert Fritsch («Intermezzo», «Die Nase») an der Krempe des Florentinerhuts.
Fritsch, Spezialist für bürgerliche Grotesken
Herbert Fritsch (Jahrgang 1951), Spezialist für das genüssliche Auswalken aller bürgerlichen Grotesken, enttäuscht auch diesmal nicht. Innerhalb des wiederum von ihm selbst entworfenen, die komplizierten, rasanten Choreografien der Protagonistenbewegungen wirkungsvoll unterstützenden Bühnenbilds bleibt genügend Raum für die ganze Gesellschaft im Doppelpack. Immer wieder werden alle Protagonisten wirkungsvoll zu Tableaux zusammengeführt – ein beliebtes Bühnenmittel von Variété und Lustspiel-Theatern. Wobei wieder einmal der klangschöne, alle Tollerei bereitwillig mitmachende Basler Theaterchor nicht genug gelobt werden kann. Dabei ist bewundernd anzumerken, dass, bedingt durch die Zeitknappheit im Probenplan, ganz ohne Klavierauszüge gearbeitet werden musste – eine enorme Erschwernis bei der Einstudierung!
Sichere musikalische Leitung
Tempo hin oder her: Thomas Wise als musikalischer Leiter liess sich nicht aus der Ruhe bringen und führte das Basler Sinfonieorchester durch alle Fährnisse eines unter grossem Zeitdruck entstandenen, intensiven Werkes. Die 38 Stimmen der Partitur schuf und arrangierte einfühlsam und kenntnisreich ein aus Australien eingeflogener Fachmann, der Komponist Thomas Meadowcroft.
Aber zurück zu Herbert Grönemeyer. Dessen sage und schreibe 17 Liednummern, ergänzt durch eine ambitiöse, grosse Orchester-Ouvertüre und einen musikalischen Epilog, bilden schliesslich das Gerüst, welches aus einem Lustspiel ein musikalisches Ereignis macht. Seine Lieder, Texte und Musik, oszillieren zwischen dem typischen, eher harten Grönemeyer-Sound und zarteren Liebestönen oder Balladen. Aber auch diese immer voller Spott und Hohn auf Ehe- und Liebesglück. Es ist sicher nicht einfach, als Schauspieler und Sänger auf ein derartig bekanntes Vorbild zu reagieren. Doch in den meisten Fällen bewahren die durchwegs grossartigen Sängerinnen und Sänger des 14-köpfigen Bühnenensembles ihren eigenen Stimmklang, der in den Sprechpartien durchwegs leicht verfremdet als «parlando à la commedia dell'arte» gehalten wird. Dazu ist ihr akrobatisches Können bemerkenswert.
Was war das eigentlich?
Und dann, leicht erschöpft nach dieser fast dreistündigen, entfesselten Bühnenraserei, fragt man sich: In welche Kategorie ist dieses Werk eigentlich einzuordnen? Oper (als welche es angekündigt wurde), Operette, musikalische Komödie oder Musical (z. B. in der Nachfolge Leonard Bernsteins)? Ich würde es «Groteske mit Musik» nennen. Aber machen Sie sich selbst ein Bild. Gehen Sie hin und amüsieren Sie sich!
«Wir liegen auf der Lauer
Wir fordern mehr Respekt
Wir strotzen voller Kraft
Ihr Städter, geht aus dem Weg»
(Auszug aus dem Bauernlied)
Nächste Vorstellungen:
10., 11., 19. Nov., 4., 5. Dez.