Wer zum Arzt geht, kann davon ausgehen, dass dessen Fachkompetenz Diagnose und Therapie des Zipperleins umfasst. Wer von einem Statiker die Beschaffenheit eines Stützbalkens berechnen lässt, vertraut meist zu Recht darauf, dass ihm anschliessend nicht das Dach über dem Kopf zusammenbricht. Ganz anders ist es um den angeblichen Sachverstand der sogenannten Finanzwissenschaftler bestellt. Sie finden nicht einmal eine Antwort auf die banale Frage, mit welchen Massnahmen der Franken einen möglichen Zusammenbruch des Euros überleben würde.
*Vorwissenschaftliche Zustände
Der Zustand der ständigen Überforderung, Inkompetenz, die Kakophonie von sich diametral widersprechenden Fachmeinungen beweist einmal mehr: Auf dem konstituierenden Feld des modernen menschlichen Zusammenlebens, der Wirtschaft und davon abgeleitet der Finanzwelt, regiert tiefes Mittelalter. Mangels gesicherten Erkenntnissen, unwiderlegbaren Axiomen, davon abgeleiteten Gesetzen, wiederhol- und überprüfbaren Experimenten herrscht wildes Gerate, pseudowissenschaftliches Geschwafel und mathematisch verkleidete Hellseherei. Exemplifizieren wir diese starken Worte in wenigen Schritten am konkreten Beispiel unserer Währung.
Die «wissenschaftliche» Theorie
Jeder angehende Krawattenknopfträger lernt im ersten Semester HSG, dass Währungsverhältnisse eine Kaufkraftparität widerspiegeln. Wenn in der Schweiz ein Warenkorb 100 Franken kostet, in Euro hingegen 50, dann sollte der Wechselkurs 2 zu 1 sein. Herrscht in der Eurozone eine Inflation von 100 Prozent, während der Franken stabil bleibt, sinkt das Verhältnis auf 1 zu 1. Banal. Seit der Aufgabe fixierter Wechselkurse spielt natürlich auch noch das Gesetz von Angebot und Nachfrage. Wollen viele Eurobesitzer Franken kaufen, während das Angebot gleich bleibt, steigt der Preis des Frankens. Auch banal. Soll das verhindert werden, druckt die Nationalbank SNB einfach mehr Franken; mehr Angebot, stabiler Preis. Ende der Theorie, alles im Griff, null problemo.
Die unwissenschaftliche Praxis
Diese Theorie entspricht allerdings dem Wissenshorizont eines Entdeckungsreisenden, der noch davon ausging, dass die Erde eine Scheibe sei und er hinter dem Horizont ins Bodenlose fallen würde. In der Praxis steht die SNB gleichzeitig vor zwei Problemen. Kauft sie mit massenhaft neu hergestellten Franken Euros, erhöht sie die Inflationsgefahr und könnte im schlimmsten Fall auf einem Riesenstapel wertlos gewordener Euros sitzen bleiben. Dumme Sache. Aber das Einzige, was der SNB mit ihrer tapferen Verteidigung einer Untergrenze von 1.20 Franken zum Euro bislang eingefallen ist. Diese Methode hat bereits einen schweren Geburtsfehler. Sie würde vielleicht Sinn machen, wenn der Franken stärker würde. In Wirklichkeit wird aber der Euro schwächer. Das ist keine Sophisterei, sondern ein entscheidender Unterschied. Die SNB kann zwar versuchen, den Franken künstlich stabil zu halten, sie hat aber null Einfluss auf den offensichtlich schwächer werdenden, ja komatösen Euro. Wer sich an einen Ertrinkenden klammert, läuft Gefahr, selbst auch abzusaufen.
Guter Rat ist teuer
Was fällt nun dem gesammelten Sachverstand aller Schweizer Finanzkoryphäen ein? Kapitalverkehrskontrollen lautet das Schlagwort, also Besteuerung, Negativzinsen. Oder gar das Verbot des Handels mit Franken. Tolle Ideen. Nur: Wie soll das genau gehen, wenn am Londoner Devisenmarkt täglich mehr Franken gehandelt werden, als überhaupt im Umlauf sind? Was soll das genau helfen, wenn der Euro weiter absäuft? Hier zeigt sich wieder einmal, dass die verschiedenen Eigenschaften von Geld, von Währungen weder durchschaut noch ganz verstanden sind. Eine Banknote oder ihre Äquivalenz in Form einer flimmernden Zahl auf einem Computerbildschirm ist nicht nur Tauschmittel und Aufbewahrungsmittel. Das sozusagen Aufwand (normalerweise Arbeitsleistung) und Ertrag (Kauf eines Produkts oder einer Dienstleistung) handelbar macht. Sondern der Wert eines Geldscheins, einer ganzen Währung hängt auch vom Vertrauen der Benützer in die Stabilität dieser Beziehungen ab. Denn am Schluss ist eine Banknote nichts anderes als ein möglichst fälschungssicher hergestelltes Stück Papier mit eingebautem Vertrauen. Also was tun?
Die Nettobilanz
Zunächst wird bei allem Gejammer über den angeblich zu starken Franken übersehen, dass in Wirklichkeit die Schweiz in der Nettobilanz vom schwächelnden Euro profitiert. Deshalb brummt hierzulande die Wirtschaft nach wie vor, abgesehen vom Tourismus und Teilen der Maschinenindustrie, die «Me too»-Produkte herstellt, die es in Asien viel billiger und nicht viel schlechter gibt. Also eigentlich ein Grund, Stützungsmassnahmen für den Euro zu unterlassen. Was dafür spricht, ist hingegen eine Stabilität in der Preiskalkulation, denn nichts ist tödlicher für ein Unternehmen, als nicht zu wissen, zu welchem Preis es sein heute in Franken hergestelltes Produkt morgen in Euro verkaufen kann. Aber auch diese Methode ist unzureichend. Denn sie glättet nur Schwankungen. Was passiert aber mit dem Franken, wenn immerhin die drittwichtigste Währung der Welt einfach hops geht? Durch Drachme, Peseta, Franc, Lira und D-Mark ersetzt wird? Oder durch Nord- und Südeuro? Gute Frage. Die banal blöde Antwort der gesamten sogenannten Finanzwissenschaft ist die gleiche, die ich auch geben kann: keine Ahnung.