Bisher hat der Wahlkampf unter den Republikanern eher die Züge einer Realsatire getragen. Da waren die zum Teil fast ausserirdischen Kandidaten, da waren deren Pannen in den zahllosen Fernsehdebatten, die demagogischen Versprechen, die verleumderischen TV-Spots, die geheuchelte Empathie, die offen zur Schau gestellte Religiosität, der überspitzte Patriotismus, der nackte Populismus.
Irritierend für Uneingeweihte
So weit, so schlecht – all das ist in amerikanischen Wahlkämpfen weder neu noch überraschend; es irritiert höchstens noch den, der solches Theater zum ersten Mal erlebt. Und der nicht vergisst, wo die realen Probleme des Landes liegen, Themen, auf die auch nur entfernt konkret einzugehen, die Kandidaten wenn immer möglich vermeiden: Arbeitslosigkeit, wachsende Ungleichheit, Armut, überfüllte Gefängnisse, mangelnde Gesundheitsversorgung, marode Infrastruktur, enorme Staatschulden.
In der Sonntagsausgabe der „Washington Post“ nennt ein Professor der George Mason Universität „10 Gründe, weshalb die USA nicht mehr das Land der Freien sind“. In den Jahren seit dem 11. September 2001, schreibt Jonathan Turley, habe Amerika „die Bürgerrechte vollumfänglich im Namen eines erweiterten Sicherheitsstaates reduziert“.
"Ich werde bin Laden wieder lebendig machen"
Kein Wunder, ist der Wahlkampf ein gefundenes Fressen für Amerikas Satiriker, denen er fast täglich neuen Stoff beschert. Zum Beispiel Andy Borowitz, der die „Decision 2012“ im Internet mit Ironie und beissendem Witz begleitet. Nach der Vorwahl in New Hampshire berichtete er in seinem „Report“, der Zeitungsmeldungen parodiert, Spitzenkandidat Mitt Romney habe in seiner Siegesrede überschwänglich gelobt, alles rückgängig zu machen, was Präsident Barack Obama bisher erreicht habe: „Ich werde Bin Laden wieder lebendig machen.“ Mr. Romney, so Borowitz, habe die Ermordung Bin Ladens als „nur gerade einen der vielen Fehler dieses Präsidenten“ bezeichnet und beigefügt: „Was immer man über Osama bin Laden sagen will, eines ist sicher: Der Mann hat Arbeitsplätze geschaffen.“
Der Satiriker spielt dabei auf Mitt Romneys wiederholt geäusserte Festsstellung an, es brauche einen erfolgreichen Geschäftsmann wie ihn, um Amerikas Wirtschaft wieder aus dem Dreck zu ziehen. Als Vorsitzender der Finanzgesellschaft Bain Capital hatte Roney wiederholt kränkelnde Firmen aufgekauft, sie saniert und mit Gewinn weiter veräussert – allerdings häufig zum Nachteil von Angestellten und Arbeitern, die im Zuge von Sanierungen entlassen wurden.
Romney als CEO?
Die Firma habe, sagt ein Fernsehspot, der aus der Umgebung von Romneys Konkurrent Newt Gingrich stammt, „ das Unglück anderer in…enorme finanzielle Gewinne verwandelt.“ Mitt Romneys selbst erarbeitetes Privatvermögen wird auf gegen 250 Millionen Dollar geschätzt.
Paul Krugman, Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften und liberaler Kolumnist der „New York Times“, hält es für problematisch, dass Romney die USA mit einer Firma vergleicht, die einen cleveren CEO braucht: „Amerika ist in Wirklichkeit kein Unternehmen. Gute Wirtschaftspolitik ist nicht gleich Profitmaximierung wie im Privatsektor üblich. Und Geschäftsleute – selbst äusserst erfolgreiche Geschäftsleute – wissen im Allgemeinen nur selten, was es braucht, um eine Wirtschaft gesunden zu lassen.“
TV-Scheinkandidat für South Carolina
Satiriker Borowitz berichtet in seinem „Report“ weiter, der mutmassliche republikanische Präsidentschaftskandidat habe versprochen, am ersten Tag im neuen Amt sich ein Stück von Bin Ladens DNA zu beschaffen und ihr „die Lebenskraft des Kapitalismus einzuhauchen“. Die Reanimation des ermordeten Al Kaida-Führers sei jedoch lediglich ein erster von mehreren Schritten, die Mitt Romney zu unternehmen gedenke, um die USA „wieder genau dorthin zurück zu führen, wo sie waren“, bevor Barack Obama ins Weisse Haus einzog: „Als Präsident werde ich umgehend GM und Chrysler schliessen und Tausende von Amerikanern auf die Strasse stellen. Und dann werde ich versuchen, mich der DNA Ghadhafis zu bemächtigen.“
Als genügten Tritte unter die Gürtellinie wie jene von Andy Borowitz nicht, um die farcenhaften Aspekte des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfs zu erhellen, spielt der Fernsehsatiriker Stephen Colbert dem Schein nach mit dem Gedanken, am 21. Januar bei der Vorwahl der Republikaner in South Carolina zu kandidieren. Auf jeden Fall hat er vergangene Woche während einer Sendung auf Comedy Central den Vorsitz über sein politisches Aktionskomitee (PAC) feierlich seinem Freund und Co-Satiriker Jon Stewart übergeben, um sich formell bewerben zu können.
Schrankenlose Wahlkampf-Finanzierung
Colbert macht sich seit geraumer Zeit über einen Entscheid des Obersten Gerichthofes der USA lustig, der finanzkräftige und parteiische „ Super PACs“ zulässt, solange sie ihre Tätigkeit nicht ausdrücklich mit einem Kandidaten koordinieren – eine Vorschrift, die zu umgehen ein Kinderspiel ist. Das Urteil des konservativen Supreme Court hat alle ernsthaften Bemühungen zunichte gemacht, die überbordende Wahlkampf-Finanzierung zu reformieren. Denn das Gesetz erlaubt Privaten, einem Kandidaten ihrer Wahl indirekt unbeschränkt Geld zu spenden, ohne dass dieser über dessen Verwendung Rechenschaft ablegen muss. Es waren zum Beispiel die Mittel eines „Super PAC“, die es Mitt Romney erlaubt haben, Newt Gingrich in Iowa via Fernsehspots breit zu attackieren und dessen Wahlchancen zu sabotieren.
Max Frankel, ein früherer Chefredaktor der „New York Times“, hat unlängst im „NYRBlog“ eine Untersuchung zitiert, laut der 2012 in Amerika für alle Wahlkämpfe auf Bundes- und Staatsebene über sechs Milliarden Dollar ausgegeben werden dürften: „Das Oberste Gericht hat entschieden, dass Geld in der Realität freier Rede gleichzusetzen ist; und jene, die nicht über viel Geld verfügen, müssen zunehmend verstummen.“ Dass es bis zu einer Milliarde Dollar kostet, um als Präsident kandidieren zu können, ist laut Frankel „Skandal genug“.
Stephen Colbert gründet "super PAC"
Für noch gefährlicher aber hält er jene Abermillionen, die heute in den USA ein Politiker braucht, um sich für einen Sitz im Kongress zu bewerben oder einen solchen zu verteidigen: „Viele unserer Volksvertreter verbringen täglich Stunden damit, unter reichen Wählern und Lobbyisten der Privatwirtschaft um Beiträge zu betteln. Den Zugang und den Einfluss, den sie so mit schöner Regelmässigkeit verkaufen, räumt den Wohlhabenden einen Platz an jenen Tischen ein, wo Gesetze geschrieben werden - zum Vorteil dieser Geldgeber und häufig zum Nachteil von uns übrigen.“
Um den ganzen Etikettenschwindel in Sachen Wahlkampffinanzierung zu parodieren, gründete Stephen Colbert im Mai 2011 selbst ein „super PAC“ und forderte seine (meist jugendlichen) Zuschauer zu Spenden auf. Diese folgten dem Aufruf; er liess die Namen der Spender jeweils während seiner Sendungen auf dem Bildschirm einblenden. Noch hat Colbert nicht mitgeteilt, wie viel Geld er gesammelt hat. Er liess lediglich durchblicken lassen, es sich um einen beträchtlichen Betrag handelt.
Nachdem er sich seines „super PAC“ entledigt hat, könnte der Satiriker jetzt rechtens für die Präsidentschaft „der Vereinigten Staaten von South Carolina“ kandidieren. Einer Umfrage unter wahlwilligen Republikanern zufolge käme er im konservativen Südstaat auf fünf Prozent der Wählerstimmen.
Romneys Vorteile
All das dürfte Mitt Romney kaum kümmern. Er hat bisher zweimal gewonnen, in Iowa und in New Hampshire, und er wird wohl auch in South Carolina vorne liegen. Zwar ist er nach wie vor nicht sehr volksnah, sondern eher hölzern im öffentlichen Auftritt und nur wenig glaubwürdig, was seine politischen Einstellungen betrifft. Ausserdem stösst er als überzeugter Mormone auf etliches Misstrauen unter Amerikas frommen Evangelikalen.
Der frühere Gouverneur von Massachusetts ist aber der Kandidat mit dem meisten Geld und der besten Organisation, zwei Faktoren, die in dieser Phase des Wahlkampfs entscheidend sind. Rick Santorum, Zweiter in Iowa und nach dem Ausscheiden von Michele Bachmann der Favorit der konservativen Tea Party, hat zwar laut Befragungen gegenüber Romney etwas aufgeholt. Dem Ex-Senator aus Pennsylvania aber mangelt es sowohl an Geld wie an logistischer Unterstützung, obwohl seine christlich-fundamentalistischen Überzeugungen in South Carolina nicht schlecht ankommen dürften.
Erinnerung an Ross Perot
Bleibt neben Newt Gingrich und Rick Perry der Texaner Ron Paul, der sich bisher wider Erwarten gut geschlagen hat und der auf engagierte, junge Anhänger zählen kann. Pauls radikale Ansichten aber weichen zu stark vom republikanischen Mainstream ab, als dass ihn die Nation je als wählbar erachten würde. Doch der 76-jährige Gynäkologe könnte Mitt Romney gefährlich werden, falls er sich, wie sein texanischer Landsmann Ross Perot im Jahre 1992 (als George H. W. Bush gegen Bill Clinton antrat) entschlösse, als Unabhängiger zu kandidieren, weil er dann Romney vermutlich Stimmen wegnehmen würde. Perot gewann seinerzeit rund 19 Prozent der Stimmen, wobei Nachwahluntersuchungen ergaben, dass er beiden seiner Konkurrenten (Bush und Clinton) gleich viele Stimmen abgeluchst hatte. Im zweiten Anlauf vier Jahre später, als Präsidentschaftskandidat der Reform Party, gelang es Ross Perot lediglich noch, auf acht Prozent der Volksstimmen zu kommen.
Sollte Mitt Romney am 21. Januar in South Carolina gewinnen, was seine Nomination als republikanischer Herausforderer wohl garantieren würde, wird er ausser Barack Obama noch eine weiteres Hürde überwinden müssen. Die Geschichte zeigt, dass die Amerikaner nur selten Präsidenten wählen, denen es nicht gelingt, zu ihren Wählerinnen und Wählern eine emotionale Bindung herzustellen. Das gelang zum Beispiel 1988 dem demokratischen Kandidaten Michael Dukakis nicht, obwohl sein damaliger Konkurrent, George H. W. Bush, auch nicht eben ein Muster an Volkstümlichkeit war.
Ratschläge zur Frisur
„Der amerikanische Wähler verbeugt sich nicht vor Kandidaten; er lässt nicht mögliche Monarchen vorsprechen“, hat Michael Leahy in der „Washington Post“ geschrieben: „Er (der Wähler) pflegt Bewerber vorzuziehen, die im Interesse ihres Ziels, wie erste unter ihresgleichen auszusehen, die Wähler zumindest einen kurzen Blick auf ihre Ecken und Kanten erhaschen lassen – oder die Leute zumindest glauben lassen, sie hätten das getan.“
Mitt Romney dagegen ist im Wahlkampf stets gepflegt, gefasst und kontrolliert – eine lächelnde Maske. Seine Konzession an den Volksgeschmack ist das Tragen von Jeans. Den Ratschlag seines Coiffeurs, seine perfekt sitzende Frisur gelegentlich ein wenig zu zerzausen, hat er dagegen in den Wind geschlagen. Selbst frühere Mitarbeiter sorgen sich, dass es ihm nicht gelingt, als Mensch mit Stärken und Schwächen zu wirken.
„Er kann nicht einen Raum umgehend aufheizen oder ein Publikum spüren lassen, dass er wirklich zu ihm spricht“, sagt ein einstiger Wahlkampfmanager in Iowa über seinen Chef: „Um das zu erreichen, müsste man ihn wie neu programmieren. Er ist beredt, er sieht sehr gut aus. Aber kann er sich diesmal so geben, dass ihn die Wähler auch spüren?“ Kein Talent aber, argumentiert Leahy, sei in der Politik wichtiger als die Gabe, „einen kalten Raum zu überbrücken – oder am Bildschirm gut anzukommen – und eine Beziehung zu völlig fremden Leuten aufzubauen“.