Dass Journalisten in der Vergangenheit als Spione agiert haben und das mutmasslich heute noch tun, ist an sich nicht neu. Doch jene, die das taten, standen zumeist im Sold eines staatlichen Geheimdienstes und wähnten sich oft auch als Patrioten. Dass sich aber journalistisches Personal bei der Konkurrenz sozusagen einschleusen lässt, um über deren Aktivitäten zu wachen und zu berichten, dürfte eher selten sein.
Rupert Murdochs berüchtigte „News of the World“ (NOTW), die nach dem jüngsten Abhörskandal in Grossbritanien eingestellt worden ist,, war sich Mitte der 90er Jahre nicht zu schade, Konkurrenten auszuspionieren. Für einen Judaslohn von umgerechnet 340 Franken pro Woche meldete eine allgemein geschätzte Sekretärin des Sonntagsblatts „The People“ mutmasslich Piers Morgan, dem damaligen Chefredaktor der NOTW, welche Geschichten die Zeitung jeweils von Woche zu Woche plante. Morgan moderiert heute für CNN jene Promi-Talkshow, für die vor ihm Larry King verantwortlich gewesen war. Der Brite mochte sich auf Anfrage der „Washington Post“ nicht zum Spionagevorwurf gegen seinen früheren Arbeitgeber äussern, obwohl er sich einst noch in London damit gebrüstet hatte, er und seine Kollegen wüssten stets genau, „was unsere Konkurrenten machen.“.
Sue Harris, in den Vierzigern, sass als Redaktionssekretärin nur wenige Meter von den leitenden Redaktoren der NOTW entfernt und bekam so anscheinend fast alles mit, was geplant, angerissen oder in Auftrag gegeben wurde. Daneben buchte sie Flüge, reservierte Hotelzimmer und kontrollierte die Spesen der Reporter - „effizient, gut angezogen und beliebt“, wie die Internetzeitung „Huff Post Media“ schreibt. „Jedermann wusste, dass es einen Spion im Hause gab“, erinnert sich ein früherer „People“-Mitarbeiter: „Wir hätten aber nie gedacht, dass sie die Person war, die wir suchten.“
Die Reporter des „Sunday People“ erfuhren aber bei Recherchen vermeintlich exklusiver Stories wiederholt, dass die Konkurrenz von der „New of the World“ jeweils vor ihnen da war und ihnen gelegentlich in letzter Minute Primeurs wegschnappte – „the splash“, wie im Metier die meist geheim gehaltene Aufschlagsgeschichte heisst, die über den Verkaufserfolg einer Boulevardzeitung am Kiosk entscheidet. Laut einem früheren Reporter der NOTW war das Zahlen von Bestechungsgeldern an Spione in den 90er Jahren „business as usual“. Niemand auf der Redaktion wäre auf die Idee gekommen, dass dieses Vorgehen moralisch fragwürdig sein könnte: „Es galt die Devise ‚Vogel, friss oder stirb!’ und was immer Erfolg zeitigte, war willkommen.“
Die Werkspionage bei „The Sunday People“ flog 1995 auf und Sue Harris, die fast ihr ganzes Berufsleben beim Londoner Blatt verbracht hatte, wurde entlassen. Der Verrat der Sekretärin war aber wohl kein Einzelfall, wie Recherchen der Nachrichtenagentur AP nahe legen. Die „News of the World“ soll damals noch in zwei weiteren Fällen Journalisten bestochen haben, Redaktionsgeheimnisse zu verraten. Zwar war damals laut britischem Recht die Bestechung von Mitarbeitern der Konkurrenz noch nicht illegal. Rechtsexperten schliessen aber heute nicht aus, dass die Bestechungen der NOTW als Präzedenzfälle zitiert werden könnten, falls Rupert Murdochs eingestellte Boulevardzeitung vor Gericht beschuldigt wird, ausser Prominente abgehört auch Polizisten von Scotland Yard bestochen zu haben. Das Zahlen von Bestechungsgeldern in den 90er-Jahren, meint ein Jurist, sei unter Umständen Beweis einer von der Führungsetage geförderten Firmenkultur, wie sie unlängst wohl auch im Falle des Abhörskandals sichtbar geworden sei.
Dabei gäbe es für Zeitungen Mittel und Wege, sich gegen Werkspionage abzusichern. Ende des 19. Jahrhundert zum Beispiel waren dem Autor Stephen Bates zufolge die Redaktoren der „Chicago Daily News“ überzeugt, dass die „Chicago Post & Mail“, die der Familie McMullen gehörte, ihre Geschichten stahl. Also rückten sie eine Story über eine Hungersnot in Serbien ins Blatt, die vermeldete, der Bürgermeister einer Provinzstadt habe eine Verlautbarung veröffentlicht, „die mit den ominösen Worten endete: ‚Er us siht la Etsll iws nel lum cmeht’“ – die Stadtverwaltung kann leider nicht mehr helfen. Prompt stahl die Konkurrenz, wie erwartet, die Geschichte, worauf die „Daily News“ stolz berichtete, das Zitat des Bürgermeisters heisse rückwärts gelesen „Die McMullens werden das bestimmt klauen.“
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