„Lasst uns bescheiden sein, meine Damen und Herren der Presse, denn es gibt viele Gründe, weshalb wir bescheiden sein sollten“, schrieb David S. Broder von der „Washington Post“ einst zu Beginn einer seiner Kolumnen. Broder ist vergangene Woche im Alter von 81 Jahren an den Folgen einer Diabetes gestorben. Der Titel des Nachrufes, den ihm das Blatt widmete, für das er 44 Jahre lang gearbeitet hatte und auf dessen Meinungsseite seine letzte Kolumne am 6. Februar erschienen war: „David S. Broder: Reporter“. Es sei, in einem Wort, wohl jene Bezeichnung, die auf einem Grabstein am besten zu ihm passte unter allen möglichen Charakterisierungen, die auf ihn zutreffen würden: „Journalist, Kolumnist, Kommentator, Autor, Lehrer, Student der Politik“. Broder, bescheiden, kollegial und integer, war alte Schule.
Neue Medien waren seine Sache nicht. Kollegen erinnern sich, wie Broder, als Laptops aufkamen, seine Artikel erst noch mit der Schreibmaschine schrieb und das Manuskript dann in den Computer kopierte. Auch Konkurrenzdenken war ihm, mit Ausnahme des Baseball, weitgehend fremd. David S. Broder hätte sich wohl eher gewundert über den Artikel, den Bill Keller, Chefredaktor der “New York Times“, einen Tag nach seinem Tode schrieb und in dem er Arianna Huffington, der Gründerin der Website „Huffington Post“, mächtig an den Karren fuhr.
Piraterie als Geschäftsmodell
Zwar warnte auch Keller, der laut „Forbes“ die fünfzigst wichtigste Person der Erde und laut Woody Allen der wichtigste New Yorker ist, vor allzu grossem Selbstbewusstsein: „Was mache ich eigentlich? Ich leite eine Zeitung. Ich habe keine Krankheit geheilt, kein Land regiert, kein Unternehmen aufgebaut, keine Milchstrasse entdeckt oder keine Reihe von Büchern über Zauberer und Vampire geschrieben.“ Und kam zum Schluss: „Indem wir führende Journalisten in Berühmtheiten verwandeln, entwerten wir die Institutionen, die sie unterstützen, die Grundlagen unseres Berufes und die Glaubwürdigkeit journalistischen Schaffens. (Wenn Ausserirdische mich morgen verdampften, so würde mich meine Familie vermissen, die 1100 Journalisten der New York Times aber würden deswegen keine Deadline verpassen.)“
Doch der Chefredaktor der „Grey Lady“ geht auch in die Offensive: „Wir lassen nicht jenen die höchste Ehre - Marktwert - zukommen, die sich um echten Journalismus bemühen, sondern jenen, die (journalistische Produkte) anhäufen.“ Zwar sei, so Bill Keller, „Aggregation“ an sich nichts Schlechtes und jeder mache es bis zu einem gewissen Grad: Allzu oft aber laufe es darauf hinaus, Artikel, die andere geschrieben hätten, auf die eigene Website zu packen und damit Geld zu verdienen, das eigentlich den ursprünglichen Autoren zukäme: „In Somalia würde man das Piraterie nennen. In der Medienszene ist es ein angesehenes Geschäftsmodell.“
Vermischtes mit linkslastigem Soundtrack
Die Königin des Anhäufens sei natürlich Arianna Huffington, schliesst der Chefredaktor der „New York Times“. Sie habe entdeckt, dass Millionen von Leuten kämen, wenn man Prominentenklatsch, Videos herziger Kätzchen, Beiträge unbezahlter Blogger und Nachrichten von andern Publikationen nehme, sie auf der eigenen Website vermische und einen linkslastigen Soundtrack dazustelle. Als AOL unlängst die „Huffington Post“ für 315 Millionen Dollar gekauft habe, sei dies als Indiz dafür gewertet worden, dass AOL jetzt ins Kreativgeschäft einsteigen wolle – was früher Schreiben oder Berichten oder Journalismus geheissen habe, heute aber als „Content“ bezeichnet werde: „Einen Aggregator zu kaufen und von mehr Content zu reden, ist ein wenig wie eine Firma, die ihren Cashflow verbessern will, indem sie einen Geldfälscher anstellt.“
Arianna Huffingtons Antwort liess nicht lange auf sich warten. Auf ihrer Website warf sie Bill Keller noch gleichentags vor, sich in Sachen Medienkonvergenz von Gedanken inspirieren zu lassen, die sie ursprünglich gehabt habe. Auch mutmasste sie, der New Yorker Kollege sei wohl schlicht neidisch, weil HuffPost/AOL News im Januar doppelt so viele Besucher gehabt hätten wie die Website der „New York Times“ und weil es ihr gelungen sei, bei der „Times“ Spitzenleute abzuwerben. Keller habe ihr Produkt offenbar nie richtig angeschaut, sonst hätte er merken müssen, dass die „Huffington Post“ bereits vor der Fusion mit AOL 148 Vollzeit-Redaktoren, Schreiber und Reporter beschäftigt habe, die „ernsthaften, herkömmlichen Journalismus“ produzierten. Was Huffington nicht erwähnte: Am selben Tag entliess AOL rund einen Fünftel seiner Beschäftigten.
Bombe aus Mutters Küche
Indes braucht es Arianna Huffington nicht bange zu werden. An Arbeitsplätzen in den Medien mangelt es trotzdem nicht, umso weniger, als das Terrornetzwerk al-Qaida, wie der Londoner „Independent“ vermeldet, eine neue Frauenzeitschrift auf den Markt gebracht hat. Das 31-seitige Hochglanzmagazin nennt sich „Al-Shamikha“, was sich etwa mit „die majestätische Frau“ übersetzen lässt, und offeriert wie jede andere Frauenzeitschrift, die etwas auf sich hält, Tipps, wie Frau den richtigen Mann findet („Heirate einen Gotteskämpfer!“) oder ihren Teint vor zuviel Sonne schützt („Trage stets einen Niqab!“).
Weitere Schönheits- und Benimmtipps sowie Interviews mit Witwen von Märtyrern runden das Angebot von „Al-Shamikha“ ab: „Wenn er zum Märtyrer wird, gewinnt der Gläubige Sicherheit, Schutz und Glück.“. Kochtipps der andern Art hatte zuvor ein anderes englischsprachiges Magazin gegeben, das al-Qaida unter dem Titel „Inspire“ publiziert: „Wie man in Mutters Küche eine Bombe bauen kann“.
Der Start der Jihadi-Magazine durch Osama bin Ladens Medienabteilung ist ein mutiges Unterfangen: Dem jüngsten Bericht des Pew Project für Excellence in Journalism haben Magazine in den USA im vergangenen Jahr fast neun Prozent an Lesern verloren. Zum Vergleich. Das Fernsehen verlor 3,4 Prozent, die Zeitungen büssten fünf und das Radio sechs Prozent an Publikum ein. „Sie werden“, schreibt Medienkritiker David Carr in der „New York Times“ dazu, „wenig überrascht sein zu erfahren, dass sich der Journalismus auf breiter Front auf dem Rückzug befindet.“