Wenn einmal nicht die USA (Impeachment ) und China (Coronavirus) und deren bilaterale Beziehungen (Handelsstreit) die internationalen Schlagzeilen dominieren, dann waren es in den letzten Wochen und Monaten Ereignisse in verschiedenen Teilen des Mittleren und Nahen Osten. Der Überblick zeigt, wie und wo diese zusammenhängen. Im Mittelpunkt steht der Gegensatz zwischen dem schiitischen Lager, angeführt vom Iran und der sunnitischen Welt mit Saudi-Arabien an der Spitze als Geburtsland des Islam.
Iran
Der Grossraum des Persischen Golfes ist seit der Gründung der Islamischen Republik Iran wieder zu einer akuten Konfrontationslinie im ursprünglichen, ethnisch motivierten arabischen-persischen Gegensatz geworden, überlagert vom schiitisch-sunnitischen Glaubensgegensatz. Das offizielle Iran glaubt, aus sicherheitspolitisch-strategischen Gründen auf die Kontrolle über schiitische Siedlungsräume westwärts angewiesen zu sein. Aktuell durch den „Schiitischen Halbmond“ vom Iran über den gespaltenen Irak und das kriegsverwüstete Syrien – wo das alawitische Assad-Regime als quasi-schiitisch zu betrachten ist – in den Libanon (Hizbollah) und den Gaza-Streifen (Hamas).
Daher die heftige Reaktion auf die gezielte Tötung durch die USA des führenden Exponenten des schiitischen Anspruchs ausserhalb Irans, General Soleimani. Allerdings hat sich in der Folge einmal mehr bestätigt, dass weder Teheran noch Washington einen offenen Konflikt riskieren wollen. Die iranischen Machthaber wissen zudem genau, dass ein guter Teil ihrer Untertanen die mit schiitischer Grossmachtpolitik verschwendeten Ressourcen lieber im eigenen Land genutzt sehen möchten. 40% Inflation und der zerfallende Aussenwert des Rial führen zu immer wieder aufflammenden Demonstrationen gegen die Regierung. Die stolzen Iraner fühlen sich zudem beschämt von der unglaublichen militärischen Stümperei im eigenen Lande, welche zum Abschuss eins ukrainischen Passagierflugzeugs geführt hat.
Die wirtschaftliche Misere ist zu einem guten Teil auf direkte und indirekte Massnahmen der amerikanischen Regierung gegen den Iran zurückzuführen, der ominöse „maximal pressure“ von Trump. Auch wenn Europa, im Gegensatz zu den USA, weiterhin am wegweisenden Abkommen mit dem Iran festhält, welches die nukleare Proliferation im Mittleren Osten entscheidend eingedämmt hat. Die amerikanische Wirtschaftsmacht und insbesondere die internationale Leitwährung Dollar führen dazu, dass ein grosser Teil des internationalen Wirtschaftsverkehrs mit dem Iran praktisch verunmöglicht wird. Ob dies wirklich zum von Washington angestrebten Regimewechsel in Teheran führen wird, ist höchst ungewiss. Zudem hat sich Trump mit seiner bedingungslosen Parteinahme für Saudi-Arabien jeder Möglichkeit beraubt, im Sinne übergeordneter Interessen der Weltwirtschaft als Schiedsrichter tätig zu werden.
Die arabische Halbinsel
Innerhalb von weniger als zwei Generationen ist die Halbinsel zwischen Persischem Golf und Totem Meer, dem asiatischen Ausgang des Suezkanals, vom exotischen Hinterland zu einer wichtigen Drehscheibe im globalen Rohstoffverkehr – Strasse von Hormus am östlichen Ausgang des Persischen Golfs – sowie in den internationalen Finanzflüssen geworden.
Die Auswirkungen dieser zweiten Entwicklung sind auch auf dem Finanzplatz Schweiz erkennbar. Ohne massive Finanzhilfe aus Katar hätte die die ehemals ur-zürcherische Credit Suisse die grosse Finanzkrise 2007/8 kaum unversehrt überstanden. Dies hat nun entsprechende Auswirkungen auf nationalen Charakter und Geschäftspolitik der Bank.
Ebenso schnell wie der Reichtum am Golf sind dessen Importbedürfnisse gewachsen. In Dubai und Abu Dhabi und auch in Doha (Katar) wurden innerhalb weniger Jahre futuristische Grossstädte aus dem Boden gestampft, mit entsprechendem Bedarf an physischer Infrastruktur. Heute und morgen begleitet von Grossereignissen wie der Fussball-WM, der Weltausstellung und wohl bald auch Olympischen Spielen.
Die Entwicklung der politischen Strukturen hat allerdings nicht Schritt gehalten. Der Klan gebietet, noch vor dem Nationalstaat. Der Rechtsstaat besteht vornehmlich auf dem Papier. Auch bei Wirtschaftsstreitigkeiten und nicht nur wenn Ausländer impliziert sind. Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman hat nicht gezögert, andere reiche Saudis via Sequestrierung in einem Luxushotel zu enteignen und sie zudem zur grosszügigen Annahme von neu emittierten Saudi Aramco-Aktien zu zwingen. Ganz abgesehen einmal von flagranten Menschenrechtsverletzungen gegen unbotmässige Mitbürger, mit der Ermordung des Regimekritikers Kashoggi als Spitze des Eisberges
Israel/Palästina
‘Die Mutter aller Konflikte’ im Mittleren Osten wird die scheinbar unlösbare Auseinandersetzung über Land, Wasser und Heimat im Heiligen Land genannt. Der „Plan des Jahrhunderts“ von Trump ist ein Rohrkrepierer, da Palästina aufgezwungen, wogegen es zu einem wirklichen Frieden Konsens beider Konfliktparteien bedarf.
Zudem werden auf dem Buckel der Israeli und der Palästinenser Stellvertreterkriege ausgefochten. So auf der einen Seite der erwähnte ‘schiitische Halbmond‘. Auf der anderen Seite steht Ägypten, Quasi-Verbündeter Israels und seinerseits mit sunnitischem Ölgeld aus der arabischen Halbinsel über Wasser gehalten. Geld aus Saudi-Arabien und den UAE (Vereinigte Arabische Emirate). Zwischen Sunna und dem jüdischen Staat ist tatsächlich eine gewisse Entspannung eingetreten. Mittelfristig bleiben entsprechende Aussichten ungewiss, da sich die Geopolitik jederzeit ändern kann, beispielsweise durch den Sturz von Feudalregierungen.
Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Voraussetzungen wären an sich ideal: Israel gehört zu den innovativsten Industrieländern mit ausgezeichneten Universitäten und Schulen, die Palästinenser wie auch die israelischen Araber sind gut ausgebildet und oft sprichwörtliche Unternehmer.
Allerdings sind beide Seiten von Korruption angefressen, Palästina endemisch, auf israelischer Seite zunehmend unter der verhärteten Rechtsregierung von Netanyahu. Immerhin funktionieren in Israel sowohl Demokratie als auch Rechtsstaat, wenn auch keineswegs für alle, was in Palästina nicht der Fall ist.
Die muslimischen Staaten Afrikas
Geographisch können der Maghreb und noch weniger die Sahelzone zu Asien gezählt werden. Und doch gehören sie mit in diesen mittelöstlichen Überblick. In politischer Hinsicht und auch als islamische Staaten sind sie dem Mittleren Osten zuzurechnen. Zunächst zu Religion und Gesellschaft.
Auf der negativen Seite der Gleichung manifestiert sich der Krebs des islamischen Fundamentalismus in allen diesen Gesellschaften, vom Beginn im Rahmen des algerischen Bürgerkrieges bis hin zum Totentanz islamischen Terrorismus’ im sogenannten IS in Teilen Iraks und von Syrien. Die Zeichen mehren sich, dass sich der IS nun in der Sahelzone festbeisst. Europa, das sich von den Kriegswirren in Syrien mit entsprechenden Wellen von Konfliktsflüchtlingen unvorbereitet überrollen liess, wird im nördlichen Afrika ungleich mehr tun müssen, entwicklungspolitisch, finanziell und nicht zuletzt sicherheitspolitisch, um nicht weiter vor humanitäre und migrationspolitische Katastrophen gestellt zu werden.
Positiv kann erwähnt werden, dass die während den Anfängen des arabischen Frühlings von autoritären Regierungen tot getrampelten Sprossen von Demokratie und Selbstbestimmung sich immer wieder erneuern. Hoffnung besteht in Tunesien, teilweise in Algerien und auch im Sudan, im Libanon und sogar im Irak. Letztlich geht es allen diesen Bürgerbewegungen – zu Beginn ausnahmslos friedlich, später brutalisiert durch repressive und korrupte Regime – um eines und dasselbe: Man will vom Staat mit Respekt behandelt werden, um sich seine persönliche Selbstachtung zu erhalten.
Ethik
Das gilt es im Verkehr mit diesen Ländern zu beachten. Insbesondere gehört im Zeitalter von ESG (Environment, Social, Governance) -– Grundsätzen der Unternehmungsführung auch für uns eine gewisse Ethik in internationalen Geschäftsbeziehungen zu den Mindestanforderungen. Sei es gegenüber klerikalen Regimes, zügellosen Feudalherren oder Militärs mit blutigen Händen, wie sie alle in der Region im Moment den Ton anzugeben scheinen.