Alle nötigen Zutaten für die nächste gewaltige Erschütterung des Weltfinanzmarkts sind vorhanden, treten immer klarer ans Licht, und es braucht keine hellseherischen Fähigkeiten, sondern nur den klaren Blick, um die immer wahrscheinlichere Katastrophe zu beschreiben. Ein kleines Vorgeplänkel wird der kommende Montag bieten, wenn die Ergebnisse des Stresstests für europäische Banken Spekulanten an den Börsen und Finanzmärkten zu Höchstformen auflaufen lassen. Denn die Testergebnisse sind völlig unerheblich und eigentlich nichts anderes als eine Einladung zum Zocken. Dank lächerlich niedrigen Leitzinsen ist das dafür nötige Gratisgeld reichlich vorhanden.
Actio gleich reactio
In der Finanzwelt gibt es nur sehr wenige gültige Gesetze, wie man weiss. Dass gleiche Aktionen gleiche Reaktionen auslösen, ist eines davon. Historische Vergleiche sind immer gefährlich, aber hier liegt einer auf der Hand. Eine sich absehbar aufpumpende Spekulationsblase, fehlende Regulatorien, haftungs- und verantwortungsfrei zockende Banken und andere Finanzdienstleister, inkompetente Regierungen und die unsägliche, bis heute perpetuierte kriminelle Niedrigzinspolitik eines Alan Greenspan führten zur Finanzkrise 2008. Die geschätzten Schäden im Volumen von rund 5000 Milliarden Dollar, beziehungsweise die Privatisierung der Gewinne und die Vergesellschaftung der Verluste bewirkten, neben jahrelanger Misswirtschaft, den Verlust der Handlungsfähigkeit der wichtigsten Industriestaaten. Keine einzige der damals lauthals von Politikern angekündigten Konsequenzen wurde umgesetzt. Am wichtigsten: Heraufsetzung der Zinsen. Dazu ein Eigenkapital von 20, besser 40 Prozent, Verbot oder zumindest Regulierung von gehebelten Leerverkäufen, Schranken für wildes Zocken mit geliehenem Gratisgeld, Behaftbarkeit von verantwortungslosen Akteuren: nichts ist bis heute anders als damals. Also gilt: Neues Spielfeld, gleiche Regeln. Also gilt: Die gleichen Aktionen werden zu den gleichen Reaktionen führen. Also gilt: Gratisgeld pumpt Blasen auf.
CDS statt CDO
Für eine richtig grosse Finanzkrise braucht es, neben anderen Faktoren, eine Blase. Vor drei Jahren waren das die CDO, Hypokreditderivate, und dazu ein ganzer Zoo von weiteren Wettscheinen, die sofort ihren Wert verloren, wenn der Emittent, also das ausgebende Finanzinstitut, pleite geht. Und im Anschluss daran der Versicherer, der im Schadensfall einspringt. Man erinnert sich vielleicht an die AIG, die kurz vor dem Zusammenbruch mit über 180 Milliarden Dollar Steuergeldern vor dem Bankrott gerettet werden musste. CDO gibt es, unter anderem Namen, heute noch, der Markt mit CDS, Credit Default Swaps, ist inzwischen aber auf geschätzte 450 Billionen Dollar angeschwollen. In welchen Bilanzen die genau liegen, ist unklar, da ein grosser Teil dieses Markts «over the counter» stattfindet, also weitgehend unkontrolliert und ohne staatliche Regulatorien. Die Finanzzocker befinden sich also weiterhin im Blindflug, haben lediglich Dollarzeichen vor den Augen.
Eine Welle hier, eine Welle da
Europa schleppt sich in der Pleitekrise einiger Mitgliedstaaten von einer sinnlosen Rettungsaktion zur nächsten, die USA scheinen gewillt, Parteipolitik über die absehbaren Auswirkungen eines teilweisen Zahlungsausfalls, der im August ansteht, zu stellen. Diese beiden Finanzstürme, um im Bild zu bleiben, rasen also über dem grossen Teich aufeinander zu. Wenn sie zusammenprallen, haben wir den perfekten Sturm, in dem dann natürlich auch die Finanzblase CDS platzen wird. Das ist nicht Ausdruck von Pessimismus, das Ausmalen einer Apokalypse, das ist finanzielles Einmaleins. Und die versammelte Finanzwissenschaft, die ja gar keine ist, wird wieder Naturmetaphern wie «Tsunami», «Erdbeben», «Markterschütterung unvorstellbaren Ausmasses» und ihr Lieblingswort: «unvorhersehbar» bemühen. Mit anderen Worten: Keine Panik auf der Titanic.
Prinzip Hoffnung
Es ist offenbar der menschlichen Natur eigen, eine sich klar abzeichnende Katastrophe zu verdrängen. Solange die Bankschalter noch geöffnet haben, die Sonne scheint und Müllabfuhr und Öffentlicher Verkehr funktionieren, von der Klosettspülung und der nächtlichen Strassenbeleuchtung ganz zu schweigen, ist man nicht gewillt, sich von warnenden Stimmen die gute Laune verderben zu lassen. Ohne grosses Vertrauen in Politiker und Banker folgt man dem Prinzip Hoffnung: Es gibt zwar beunruhigende Vorzeichen, aber es wird doch wohl nicht so schlimm werden. Während der letzten Finanzkrise bildeten sich zwar zeitweise an der Bahnhofstrasse in Zürich und anderswo Schlangen vor den Bankschaltern, wurde Gold gekauft und Bargeld gehortet, aber ein Grounding des Finanzplatzes gab es dann doch nicht.
Der Trigger-Faktor
Damit eine Blase platzt, braucht es bekanntlich eine Stecknadel, die sie ansticht. Die im Heuhaufen der internationalen Finanzmärkte zu suchen, ist ein sinnloses Unterfangen. Aber sie existiert, der Heuhaufen ist sogar voll von ihnen. Was genau der auslösende Faktor für das nächste Schlamassel gewesen sein wird, werden wir erst im Nachhinein wissen. Wir haben aber einen grossen Erfahrungsschatz, aus dem wir schöpfen können, um die Folgen zu beschreiben. Vertrauen wird von Misstrauen abgelöst. Die Hoffnung auf zukünftige Gewinne in steigenden Märkten durch die Angst vor zukünftigen Verlusten in fallenden Märkten, verkaufen statt kaufen, horten statt verleihen, dann Panik und Stampede. Der «lender of last resort», der Staat, wird wieder verzweifelt frisches Geld in die Märkte pumpen, aber da zunehmend Zweifel an seiner Werthaltigkeit bestehen, wird das auch nicht beruhigen, sondern höchstens die schon längst überfällige galoppierende Inflation auslösen. Aber, lieber Leser, keine Sorge: Eigentlich ist das unvorhersehbar, und was demnächst geschehen wird, ist unvorstellbar.