Der 21.Juli ist der belgische Nationalfeiertag, an dem 1831 der König Leopold I. hoch zu Ross in Brüssel einzog und den Eid auf die Verfassung des damals jüngsten europäischen Staates ablegte, obwohl er fand, deren demokratische Artikel legten dem Monarchen zu viel Fesseln an.**
Philipp ist der siebente König von Belgien seit der Unabhängigkeit des Landes 1830. Von den Leopolds gab es drei, von den Alberts zwei: Albert I. kommandierte im Ersten Weltkrieg die belgische Armee gegen die deutsche Invasion 1914, hielt einen Streifen an der belgischen Küste und festigte damit die Abwehrfront der Alliiierten, die nach vier Jahren die Deutschen zur Kapitulation zwingen konnten. Noch heute wird dieser Albert von den Belgiern als der „Roi Chevalier“ verehrt, der seine Soldaten immer wieder zu Ross besuchte und ihnen Mut zusprach.
Philippe oder Filip?
Albert der Zweite hat in Belgien zwanzig Jahre lang das Königsamt ausgeübt und es an Popularität fast auf die gleiche Höhe gebracht. Jetzt hat er den Thron an seinen Sohn abgetreten, weil er sich mit 79 Jahren zu alt fühlt um noch zu regieren.
Einen Philipp hatten die Belgier noch nicht, also brauchen sie ihn noch nicht „den Ersten“ zu nennen. Aber sein Name hat schon die erste Kontroverse im belgischen Sprachenstreit ausgelöst: Soll er seine offiziellen Texte – keine Regentenakte, nur die Unterzeichnung von Parlaments- und Regierungsbeschlüssen - flämisch mit „Filip“ oder französisch mit „Philippe“ unterzeichnen? Vorerst hat er sich mit dem Hinweis herausgeredet, auf seinem Geburtsschein stehe „Philippe“.
Und schon der erste Sprachensteit?
Aber vielleicht wird er schon früher als er hofft in einen Streit zwischen Flamen und Frankophonen (den Wallonen und den 90 Prozent französischsprachigen Brüsselern) hineingerissen, der weit mehr ist als ein „Sprachenstreit“: ein chronischer Streit zwischen zwei Gemeinschaften, die zusammenleben sollten und sich immer mehr auseinanderleben. Die Umfrage einer flämischen Zeitung tönt ominös: 76 Prozent der flämischen Unternehmer seien dafür, die Funktion des Königs auf eine „rein protokollarische“ zurückzuschrauben, und unwahrscheinliche 40 Prozent sogar für eine Abschaffung der Monarchie.
Zurzeit bestimmt die Verfassung, dass Regierungsakte und Parlamentsbeschlüsse nur in Kraft treten, wenn sie auch der König unterzeichnet. Umgekehrt muss der König für alle seine politischen Aussagen, zum Beispiel jedes Wort seiner Rede am Nationalfeiertag, die Zustimmung eines Ministers einholen. Aber in dieser konstitutionellen Verklammerung zwischen König und Regierung hat natürlich seine obligatorische Zustimmung zu Gesetzesakten ein viel stärkeres Gewicht, denn sie birgt das Risiko, dass er sie verweigert.
Noch heute ist es ein belgisches Trauma, dass Filips Onkel Baudouin seine Unterschrift unter die Liberalisierung der Abtreibung verweigerte und dieser demokratische Beschluss des Parlaments nur mit einem zweifelhaften Trick – einer für drei Tage dekretierten „Regierungsunfähigkeit des Königs“ - in Kraft gesetzt werden konnte.
Die Kompetenzen des Königs beschneiden?
Wenn die erwähnte Umfrage unter Wirtschaftskoryphäen die Volksstimmung in Flandern einigermassen wiedergibt, dann wird der belgische „Sprachenstreit“ schon in den nächsten Monaten losbersten. Die Wallonen und Brüsseler wollen nämlich, wie ihre Zeitungen mit 26-seitigen Vorschauen auf die Inthronisation zeigten, den Einfluss des Königs vehement verteidigen und also die Verfassung nicht ändern. Nun braucht in Belgien eine Änderung der Verfassung zwei Schritte und zwei Parlamente: Ein Parlament muss die Artikel der Verfassung definieren, die geändert werden können, und erst nach Neuwahlen können seine Nachfolger diese Artikel dann auch ändern.
Das gegenwärtige Parlament ist nur noch einige Monate im Amt, im nächsten Mai sind Neuwahlen, also müssen die Flamen, die den König auf rein zeremonielle Riten beschränken wollen, das amtierende Parlament in den nächsten Monaten zur Bezeichnung der Königs-Artikel in der Verfassung bewegen, die das nächste Parlament dann ändern kann. Gelingt ihnen das nicht, müssen sie der ihnen zu weit gehenden Macht Filips weitere fünf Jahre tatenlos zusehen.
Also könnte, wahrscheinlich wird schon in den nächsten Monaten im Parlament und im ganzen Land ein flämisch-frankophoner Streit um die Bezeichnung der revisionsfähigen Teile der Verfassung ausbrechen. Und dann wird König Philippe, der über den Parteien und Regionen stehen sollte, selber das Streitthema sein. Er wird dem machtlos zuschauen oder verfassungswidrig intervenieren müssen.
Ein Präsident - aber ein Flame oder ein Frankophoner?
Aber vielleicht wird die Frage, was denn geändert werden soll, den republikanischen Flamen einen Streich spielen. Die Gegenzeichnung der Regierungsakte abzuschaffen wird leicht sein, sie ist undemokratisch und nicht mehr zeitgemäss und wird wohl auch bei den Belgiern südlich der Sprachgrenze keine unüberwindlichen Proteste auslösen. Aber wenn Flamen wirklich aus der Monarchie eine Republik machen wollen, stürzen sie Belgien in eine chronische Krise, in den permanenten Sprachenstreit.
In Belgien gibt es nur ein Dutzend Menschen, die weder frankophon noch Flamen sind: Der König und seine Familie. Der Präsident müsste also ein Flame oder ein Frankophon sein. Schon seine Wahl würde die Gegensätze anheizen, und fünf Jahre lang würde ihm der eine oder der andere Landesteil bei jedem wichtigen Entscheid Parteilichkeit vorwerfen oder auch nur mit der Lupe suchen, wo man ihm Parteilichkeit vorwerfen könnte.
Und dann kommt die Phase, wo König oder Präsident einen wirklichen Einfluss auf den Gang der politischen Dinge haben: nach Neuwahlen oder einem Sturz der Regierung. Dann würde ein Präsident die „Informateure“ und „Formateure“ ernennen, das heisst er wählt die Politiker aus, welche mit den Parteien die nächste Koalition aushandeln sollen. Das gibt ihm eine nicht geringe Steuerungsmacht, denn es gibt keine belgische Parteien mehr, alle, von den Liberalen bis zu den Sozialisten, haben sich in selbständige flämische und frankophone Parteien getrennt, die in Sprachenfragen nicht mit ihren Gesinnungsbrüdern stimmen. Die Auswahl der Infor- und Formateure wird mit Argusaugen beobachtet und bekrittelt werden.
Es ist fast undenkbar, dass dann dem flämischen oder dem frankophonen Präsidenten nicht Begünstigung seiner Landsleute vorgeworfen wird.
Meilenstein für Belgien: Die Wahlen im Mai
Diese Aussichten, welche das Land wohl erst auf die Länge zur offiziellen Spaltung aber schon sehr bald in die Regierungsunfähigkeit führen können, wird sicher die vorläufig – bis zu den Wahlen im Mai – noch mehrheitlich gemässigten flämischen Parteien vor einer Abschaffung der Monarchie abschrecken. Nach den Sommerferien wird aber wohl im Parlament ein heisser Kampf darum ausbrechen, welche Artikel denn einer Revision geöffnet werden sollen. Und im ganzen Land werden die viereinhalb Millionen Frankophonen und fünfeinhalb Millionen Flamen von den Parteiparolen für den Wahlkampf im nächsten Mai überflutet werden, der wie in allen Demokratien immer früher beginnt.
Die flämischen Nationalisten werden mit der Forderung, das Parlament müsse die Möglichkeit einer Änderung der Verfassung beschliessen, nicht nur eine Mehrheit in ihrem Landesteil zu gewinnen suchen, ihr stärkster Arm, die „Nieuwe Vlaamse Alliantie“, könnte sogar die grösste Partei des Parlaments werden. Dann müsste der König den Chef einer Partei, die nach ihrem Parteiprogramm sein Land auf lange Sicht spalten will, den populären Bart de Wever zum Formateur oder gar zum Premierminister ernennen.
Belgien ist das komplizierteste Land Europas. Filip ist nicht zu beneiden.