Es ist eine jener Geschichten, wie Amerika sie liebt. Die Story vom Nobody, der self-made zu Reichtum und Ruhm gelangt, nur um am Ende tief, aber weich zu fallen. Es ist die wahre Geschichte des heute 51-jährigen Jordan Belfort, der in den achtziger und neunziger Jahren mit dem Verkauf und der Manipulation von Billigaktien (penny stocks) an der Wall Street Millionen verdiente, die er umgehend verprasste, bis ihm das FBI auf die Schliche und er hinter Gitter kam – für 26 Monate nur, eine Dauer, die laut den Ermittlern in keinem Verhältnis zur Höhe des angerichteten Schadens stand. Über 1500 geprellte Investoren verloren wegen Belfort insgesamt 110 Millionen Dollar.
Im Unterschied zu Goldman Sachs nicht too big to jail
Jordan Belforts windige Finanzfirma, deren Mitarbeiter in einer Garage auf Long Island zu operieren begannen, nannte sich vornehm Stratton Oakmont. «Sie hätte Sodom und Gomorrha heissen sollen», sagte er später. Wobei Belfort, verglichen mit den Chefs von Wall Street-Grössen wie Goldman Sachs und deren Machenschaften vor der jüngsten Finanzkrise, lediglich ein kleiner Fisch war, ein Karpfen in einem Haifisch-Teich.
Doch die andern standen Firmen vor, die too big to jail waren, während er, der Sohn eines Buchalters aus dem New Yorker Stadtteil Queens, sich der Bundespolizei als grosse Zielscheibe anbot, aggressiv, laut und ungehobelt wie er war. Jordan Belfort, gespielt von Leonardo DiCaprio, tingelt noch heute von L.A. aus als motivational speaker über die Lande und versilbert seine falschen Verheissungen des amerikanischen Traums, billiger zwar als früher, aber nicht weniger überzeugt: «Ich verkaufe, also bin ich.»
Grell, schrill, geschmacklos
Dies alles packt Regisseur Martin Scorcese in einen grellen, schrillen und (bewusst) geschmacklosen 179-minütigen Film, dessen Darsteller fast ohne Unterlass saufen, koksen und vögeln. Und dabei auf dem Rücken naiver Anleger zynisch jene Dollars verdienen, die all diese Aktivitäten und andere mehr erst möglich machen, zum Beispiel ein (in der Realität unverbürgtes) Zwergenwerfen im Grossraumbüro von Stratton Oakmont.
Alle fluchen sie zudem in sämtlichen Lebenslagen wie die Bürstenbinder. Laut einer Statistik sind in «The Wolf of Wall Street» 506 sogenannte F-words (fuck) oder Ableitungen davon zu hören. Das sind 2,83 «fucks» pro Minute, was dem Streifen unter Spielfilmen punkto Flüchen den zweiten Platz auf der ewigen Bestenliste beschert. Was Ken Locke, dem de-fucker der BBC arges Kopfzerbrechen bereiten dürfte, sollte der Film je auf einem Kanal seines Senders ausgestrahlt werden. Locke gelang es seinerzeit, in Francis Ford Coppolas Vietnamkriegs-Epos «Apocalypse Now» 101 der 102 F-Wörter kreativ zu entschärfen.
Parabel von Geld und Gier
«The Wolf of Wall Street» muss also erduldet werden, von den opulenten Bildern wie vom ordinären Soundtrack her, es sei denn, es finde einer dieses hedonistische Tableau genial, als zeitgenössische Parabel von Geld und Gier, als Menetekel für eine Branche, die keine Grenzen kennt (die Gauner von Stratton Oakmont verstecken ihr Geld – wo sonst? – im rat hole einer willigen Genfer Privatbank nach einem orgiastischen Nachtflug mit Swissair und deren spass-aversen Flight Attendants).
Möglich aber auch, das Kino nach Leonardo DiCaprios erstem Flashback zu verlassen, denn diese Sequenz in einem Restaurant über Manhattan kondensiert innert Minuten, was nachher in zähen Stunden folgt. An seinem ersten Arbeitstag an Wall Street trifft der junge Wolf als Angestellter der altehrwürdigen Firma L. F. Rothschild seinen Chef (Matthew McConaughey) zum Lunch, in dessen Verlauf der geföhnte Master oft he Universe den Grünschnabel in die Geheimnisse des Erfolgs als Broker einweiht: Kokain, Onanie & Huren – und von allem nichts zu knapp.
Ein verglühter Komet
Der junge Händler, schwer beeindruckt, nimmt sich die Ratschläge seines Chefs, der sich im Lokal wie ein Alpha-Männchen wiederholt mit der geballten Faust an die Brust schlägt, zu Herzen. Jordan Belforts Laufbahn ist lanciert, hinauf in stratosphärische Höhen, mit 26 Jahren Multimillionär, und wieder hinunter in den Knast, wo er in der Wüste von Nevada, inspiriert von Tom Wolfe und Hunter S. Thompson, seine Memoiren schreibt, ein Komet mit glitzerndem Schweif, der beim Eintritt in die Erdatmosphäre verglüht ist.
In den USA hat sich im Übrigen ein Kinobesitzer geweigert, erzürnten Zuschauern von «The Wolf of Wall Street» das Eintrittsgeld zurückzuzahlen. Seine Begründung: «Mr. Scorcese ist ein Autor, und sowohl Kritiker als auch akademische Denker stufen sein Werk als brillant ein.» – Zumindest der Filmkritiker des «New Yorker» teilt diese Meinung nicht.
So aussergewöhnlich Leonardo DiCaprio als Darsteller auch agiere, schreibt David Denby, so uninteressant sei schliesslich Jordan Belfort: «Auch der Film ist nicht sehr interessant: Scorcese inszeniert das Geldmachen, die Orgien und den Drogenkonsum mit so beifälliger, unreflektierter Vitalität, dass die Ingredienzien Teil eines Broadway-Musicals sein könnten – einer Show namens ‚Gier!‘, welche die Touristen sprachlos machen soll.»