Dass Kriegsfotografen fast 80 Jahre alt werden, erscheint dieser Tage als eher ungewöhnlich. Zu viele Bildberichterstatter sind unlängst im Einsatz gestorben: in Syrien, in Libyen, in Afghanistan und im Irak. Dass Horst Faas so viele seiner Kollegen überlebt hat, hängt damit zusammen, dass er, wie erzählt wird, Risiken stets minimiert hat, so gut es nur ging. In Vietnam soll er die Truppen, die er als Fotograf ins Feld begleitete, akribischer inspiziert haben als mancher zuständige Offizier. War Faas mit dem Ergebnis der Inspektion nicht zufrieden, rückte er nicht aus.
Kein Risiko ohne Kamera!
„Er lebte von der Gefahr“, berichtete William Prochnau in seinem Buch über die Presseleute, die zu Beginn der 60er-Jahre in Vietnam arbeiteten: „Wenn sie aber kam, wollte er von den Besten umgeben sein. Er hatte kein Interesse daran, zu sterben.“ Das hielt Horst Faas aber einst nicht davon ab, bei einem Einsatz im Dschungel einem jungen Marineinfanteristen, der als Kriegsreporter in der US-Armee diente, eine seiner 35mm-Leicas umzuhängen mit dem Ratschlag: „Riskiere nie dein Leben ohne Kamera!“
Dabei hätte es Horst Faas, der 1933 in Berlin geboren wurde und bei Kriegsende mit seiner Familie vor an den anrückenden Russen nach München floh, beinahe nicht bis nach Vietnam geschafft. Er hatte als 23-Jähriger für die AP zu fotografieren begonnen und Anfang der 60er-Jahre berichtete er für die Agentur aus dem Kongo und aus Algerien.
Verspeisung des Presseausweises
Im Kongo nahmen Moise Tshombés Katanga-Rebellen den Fotografen fest und meinten aufgrund seines deutschen Akzentes, er sei Belgier, also ein Vertreter der verhassten Kolonialmacht. Faas gelang es, sich aus der lebensgefährlichen Situation herauszureden, aber nicht bevor ihn die Aufständischen gezwungen hatten, seinen Presseausweis aufzuessen.
Horst Faas kam 1962 nach Saigon. Er landete am selben Tag auf dem Flughafen Tan Son Nhut wie sein AP-Kollege Peter Arnett. Der Neuseeländer sollte 19 Jahre später weltberühmt werden, als er am 17. Januar 1991, zusammen mit John Holliman und Bernhard Shaw, für CNN vom Hotel „Al-Rashid“ in Bagdad aus die ersten Luftangriffe der Amerikaner auf die irakische Hauptstadt live kommentierte.
Ein besonderes Paar
Der Konflikt in Indochina brannte zu Beginn der 60er-Jahre noch auf relativ kleinem Feuer. Die USA schickten Militärberater und Waffen nach Vietnam, aber keine Kampftruppen. „Das Vietnam, das sich in die amerikanische Psyche eingebrannt hat, ein Vietnam mit knatternden Helikoptern des Typs Huey und Cobra und den Chinooks, die den Himmel verfinsterten, ein Vietnam mit einer halben Million amerikanischer Soldaten, die hoffnungslos in den Dschungeln festsassen…dieses Vietnam war noch Jahre entfernt“, erinnert sich William Prochnau in „Once Upon a Distant War“.
In Saigon schloss sich Horst Faas „New York Times“-Reporter David Halberstam an. Die beiden waren, nicht einmal zwei Jahrzehnte nach dem Ende des 2. Weltkrieges, ein besonderes Paar: der Deutsche und der Jude. In Saigon lebten sie mit mehreren Angestellten in einer grossen Villa an einer ruhigen, von Bäumen gesäumten Allee in der Nähe des Zentrums, ein Domizil, das sich nur ein Mitarbeiter der „Times“ leisten konnte: „Faas, den die Politik nicht interessierte, der Saigons Intrigen hasste und immer tiefer in die Dschungel zum Kern des Krieges vorstiess; Halberstam, politisch versiert wie kein zweiter, ehrgeizig auch, ein Mann mit eigener Agenda, der sich gern im Rampenlicht sonnte…“ (William Prochnau).
Schlicht ein Genie
David Halberstam zufolge war Horst Faas in Vietnam eine Art Thermometer für die übrigen Kriegsberichterstatter, ein exzellenter Reporter, der sich am weitesten vom Hauptquartier entfernte und den gewöhnlichen Soldaten am nächsten war. Faas misstraute Offizieren, denn die gaben die Befehle, die zum Tod des kleinen Mannes führen konnten. „In Zivilkleidern sehen alle Generäle klein aus“, bemerkte er einst gegenüber Halberstam.
Horst Faas war auch der einzige Fotograf in Saigon, der südvietnamesische Soldaten bei ihren Einssätzen begleitete und wiederholt am eigenen Leibe erfuhr, wie gefährlich der Krieg geworden war, der den Amerikanern zufolge noch fast reibungslos lief. „Ich glaube nicht dass jemand länger (in Vietnam) blieb, grössere Risiken auf sich nahm oder sich mehr für sein Werk oder seine Kollegen einsetzte“, lobte Halberstam seinen deutschen Freund: „Ich halte ihn schlicht für ein Genie.“
Ein nicht publiziertes Bild
William Prochnau zufolge fotografierte Horst Faas fast alles, was ihm vor die Linse kam, inklusive Bilder, die für den Geschmack der amerikanischen Zeitungsleser viel zu brutal waren: „Während er der beste Kriegsfotograf in Vietnam wurde…wuchs seine Sammlung unpublizierbarer Aufnahmen um immer schlimmere Exponate.“. Das wohl grauslichste Bild zeigte den Sohn eines bekannten amerikanischen Generals, einen Offizier, der mit den abgetrennten Köpfen gefangener Vietcong Fussball spielte. AP hat das Foto nie publiziert.
Horst Faas profilierte sich in Vietnam aber nicht nur als unerschrockener und, trotz 100 Kilogramm Lebendgewicht, unermüdlicher Kriegsfotograf. Der Deutsche förderte als Bildredaktor der AP in Saigon auch einheimische und ausländische Kollegen, ein Heer junger freier oder fest angestellter Fotografen, die in der Branche als „Horsts Armee“ bekannt wurden und die er wie ein General ins Feld schickte mit dem Befehl, „gute Bilder zurückzubringen“.
AP gewann unter seiner Leitung sechs Pulitzerpreise für Bilder aus dem Krieg, unter ihnen jene ikonische Aufnahme Huynh Than Mys eines nackten vietnamesischen Mädchens, das mit ausgebreiteten Armen schreiend vor einer Napalm-Attacke der Amerikaner flieht. Auch Horst Faas gewann einen seiner beiden Pulitzer in Vietnam – für eine Reihe von Aufnahmen, die den Fotografen als Humanisten zeigen, der sich der Fragwürdigkeit seines Jobs durchaus bewusst war.
Blutzoll der Fotoreporter
Eines der Bilder zeigt einen Vater, der einer Gruppe südvietnamesischer Elitesoldaten, die teilnahmslos auf einem Schützenpanzer hocken, sein totes Kind entgegenstreckt. Anlässlich der Preisverleihung sagte Horst Faas, sein Ziel als Fotograf sei es, „das Leiden, die Gefühle und die Opfer zu dokumentieren, die sowohl Amerikaner wie Vietnamesen bringen in…diesem kleinen, blutbefleckten Land, das so weit weg liegt.“
Bezeichnend auch, dass sich unter den Büchern, die Horst Faas publiziert hat, eines befindet, das Kollegen gewidmet ist, die Vietnam und in Indochina gestorben sind. Der Titel des 336-seitigen Fotobandes, der 1997 erschien und auch Aufnahmen nordvietnamesischer Fotografen zeigt: „Requiem“. Unter den rund 300 Journalisten, die zwischen 1945 und dem Fall Saigons im Jahre 1975 in Indochina getötet worden sind, befinden sich mindestens 135 Fotoreporter.
„Requiem“, folgert Malcome W. Browne, der während zehn Jahren für die „New York Times“ und andere aus Vietnam berichtete, erinnere einen daran, dass Aussenstehende einen Krieg in erster Linie dank einer aussergewöhnlichen Spezies von mutigen und draufgängerischen Fotografen kennen lernten. Zwar sei die Branche wegen der Exzesse einzelner Paparazzi in Verruf geraten: „Es lohnt sich aber, sich einzugestehen, dass ein gewisses Mass an Aggression einen Fotografen im Krieg zu künstlerischen Höchstleitungen und sogar zu Heldentaten anspornen kann. Es kann ihn aber auch umbringen.“
"Lost over Laos"
Horst Faas selbst entging in Vietnam nur knapp dem Tode, als er 1967 auf Patrouille in Bu Dop im Zentralen Hochland von Granatsplittern am Bein getroffen und schwer verwundet wurde. Er wäre beinahe verblutet, hätte ihn nicht ein junger Sanitäter der US-Armee noch rechtzeitig versorgt. Die Verletzung zwang ihn an Krücken und fesselte ihn ans Büro, so dass er im Februar 1968 nicht selbst über die Tet-Offensive des Vietcong berichten konnte. Doch dafür er hatte ja seine „Armee“. Als Faas den Sanitäter, der ihm das Leben gerettet hatte, zwei Jahrzehnte später erneut traf, erinnerte sich der noch an seinen Patienten: „Sie waren so grau, ich dachte, Sie seien hinüber.“
2003 publizierte Horst Faas das Buch „Lost Over Laos: A true story of tragedy, mystery, and friendship“. Es ist vier Fotografenkollegen gewidmet, die am 10. Februar 1971 über Vietnams Nachbarland abgeschossen worden waren. Die Absturzstelle des Helikopters wurde erst 1996 gefunden, als ein Team des Joint POW/MIA Accounting Command (JPAC), jener Instanz, die mit der Suche nach amerikanischen Kriegsgefangenen und vermissten Soldaten beauftragt ist, Kamerateile, Filme sowie anderes Material entdeckte, dass nach Jahren im Dschungel noch nicht verrottet war.
Larry Burrows („Life“), Henri Huet (AP), Kent Potter (UPI) sowie Keisaburo Shimamoto („Newsweek“) flogen an jenem Februarmorgen mit einem südvietnamesischen General über dem Ho Chi Minh-Pfad (die Amerikaner liessen keine Journalisten nach Laos), als das Geschoss einer eine Flabkanone ihre UH-1 Huey traf und in der Luft zerriss. Es war nicht das erste Mal, dass mehrere Journalisten in Indochina gleichzeitig getötet wurden.
Statt einer glücklichen Kindheit der Krieg in Vietnam
„Der Tod von vier so bekannten und geschätzten Fotojournalisten aber war ein gewaltiger Schock, erinnerte sich AP-Korrespondent Richard Pyle: „Damals stand die Zahl getöteter und vermisster Kriegsberichterstatter in Vietnam bei 50. Bis zum Kriegsende 1975 sollte sie (auf westlicher Seite) auf 74 klettern – die grösste Zahl von Opfern unter Medienvertretern in einem einzelnen Krieg des 20. Jahrhunderts.“ Auf kommunistischer Seite starben indes 76 Fotografen, unter ihnen zwei Frauen.
Eine Aufnahme Dirk Halsteads zeigt Horst Faas bei der Feier zu Ehren jener vier Fotografen, ein Anlass, der am 3. April 2008 im Newseum in Washington DC stattfand. Die Überreste der Toten wurden, in eine Kapsel eingeschweisst, in der Journalists Memorial Gallery des Museums eingebettet, am Fusse einer Glaswand, auf der die Namen aller 1843 Journalisten eingelassen sind, die seit 1837 im Einsatz gestorben waren. Faas sitzt im Rollstuhl, nach einer Verletzung des Rückenmarks drei Jahre zuvor von der Hüfte abwärts gelähmt. Die Bildlegende sagt nicht, was dem 75-Jährigen im Newseum durch den Kopf ging, was für Erinnerungen die Gedenkfeier in ihm weckte.
„Ich glaube“, schreibt Michael Herr im Buch „Dispatches, dem wohl eindrücklichsten Werk über den Krieg in Indochina, „Vietnam war, was wir statt einer glücklichen Kindheit hatten.“ Herr schildert, wie schwierig es für ihn und andere war, den Krieg loszulassen und in die Normalität zurückzukehren: „Der Krieg ging zu Ende und dann war er wirklich vorbei, die Städte „fielen“ und ich schaute zu, wie sie die Helikopter, die ich so geliebt hatte, (vom Deck eines Flugzeugträgers) ins Südchinesische Meer kippten und ihre südvietnamesischen Piloten noch rechtzeitig heraussprangen. Und ein letzter Helikopter liess seine Turbine aufheulen, hob ab und flog aus meiner Brust.“