Amerikas Präsidentschaftswahlkampf wird zurzeit, so der Eindruck, lediglich unter den Republikanern ausgetragen. Mit seinen egomanen, frauenfeindlichen und rassistischen Äusserungen bewegt Unternehmer Donald Trump die Gemüter – und zieht Umfragen zufolge am meisten Anhänger an. Konkurrenten um den Einzug ins Weisse Haus wie Jeb Bush derweil warten geduldig auf die Implosion dessen Kandidatur, die einer schlechten Burleske gleicht.
Doch anzunehmen, in der demokratischen Partei sei allein Hillary Clinton der Rede wert, wäre falsch. Wie ein Relikt aus den 1960er-Jahren, als Amerikas Linke gegen den Krieg in Vietnam und gegen Unterdrückung kämpfte, ist Senator Bernie Sanders auf der politischen Bühne aufgetaucht, oft unter dem Radar der Medien. Der 73-Jährige, der seit 1991 den liberalen Staat Vermont im US-Senat vertritt, bezeichnet sich selbst als „sozialistischen Demokraten“.
Sanders argumentiert, die Vereinigten Staaten gehörten nicht einer Handvoll Milliardäre, sondern allen Bürgerinnen und Bürger, egal welcher Provenienz. Er befürwortet eine Erhöhung des Mindestlohns, mehr Sozialhilfe und kostenlose Hochschulbildung – Themen, die in Amerika gemeinhin mit der „third rail“ assoziiert werden, der Stromschiene, die Politikern, die sie berühren, den Todesstoss versetzt. Doch der Senator hat in seiner politischen Laufbahn, unter anderem als Bürgermeister von Burlington, bewiesen, dass er, als Vertreter des „left wing of the possible“, seinen radikalen Ansichten zum Trotz pragmatisch handeln kann.
An Wahlveranstaltungen zieht Bernie Sanders heute mehr Anhänger an als Hillary Clinton. Vor kurzem strömten 28‘000 Menschen in eine Sportarena in Portland (Orgeon), um dem weisshaarigen Senator aus Vermont zuzuhören. Zum Vergleich: Hillary Clintons grösste Menge zählte bisher 5500 Köpfe, bei der Ankündigung ihrer Kandidatur im Juni in New York. Anscheinend spricht Sanders jenen Teilen der amerikanischen Bevölkerung aus dem Herzen, der es seit der Finanzkrise der späten 00er-Jahre wirtschaftlich schlechter geht.
Zwar dürfte Bernie Sanders in den Vorwahlen gegen Hillary Clintons Geld- und Wahlkampfmaschine keine Chance haben. Doch die Spitzenkandidatin der Demokraten täte gut daran, sich stärker jener progressiven Themen anzunehmen, die ihr früherer Senatskollege vertritt. „La Clinton“ hat sich zwar, aus wahltaktischen Gründen, unlängst etwas nach links bewegt, doch nehmen ihr das wohl nur wenige Leute ab. Hillary ist und bleibt eine Vertreterin des Establishments - mit wenig Ecken und Kanten, aber mit viel Schliff und Politur.