Der Redaktionsleiter des Iran-kritischen «Iran Journal» ist ins Visier des iranischen Geheimdienstes geraten und wird bedroht. Die in Berlin publizierte Internet-Plattform pflegt enge Beziehungen zum Journal 21.
Das Iran Journal ist eine wichtige, unabhängige iranische Stimme. Die Plattform verfügt über ausgezeichnete Informationen. Zu den Autoren und Autorinnen gehören erfahrene, Farsi sprechende Journalistinnen und Journalisten, Experten und Expertinnen, die zum Teil unter Pseudonym schreiben (müssen). Viele haben Zugang zu Informationen, die manche westliche Journalisten nicht haben. Journal 21 übernimmt regelmässig Artikel des Iran Journal.
Viele Artikel des Iran Journal empfinden die Machthaber in Teheran offenbar als Bedrohung. Nur so ist zu verstehen, dass sie jetzt gegen Farhad Payar, den Chefredaktor der Plattform vorgehen. Via WhatsApp wird er offen bedroht. Der Geheimdienst «empfiehlt» ihm, seine journalistische Tätigkeit «besser einzustellen».
Journalist, Schauspieler, Dokmumentarfilmer
Payar wurde im Iran geboren, ist dort aufgewachsen und emigrierte 1980 in die Bundesrepublik Deutschland. Um sein Politologiestudium in Berlin zu finanzieren, arbeitete er als Taxifahrer, LKW-Fahrer, Jugend- und Flüchtlingsbetreuer, Teppichverkäufer, bis er 1990 das Studium erfolgreich abschloss. Danach begeisterte er sich für Film und Theater. Seit 1994 arbeitet Farhad regelmässig als Schauspieler und Journalist, dreht Dokumentar- und Kurzspielfilme, verfasst Theaterstücke. Neun seiner Theaterstücke wurden bisher durch die Förderung der Berliner Senatsverwaltung für Kultur aufgeführt. In sieben von ihnen führte er Regie und spielte selber mit.
Seit 1994 arbeitet Farhad für verschiedene Radiostationen als freier Journalist. Bis Ende letzten Jahres war er als freier Mitarbeiter für die Farsi-Redaktion der Deutschen Welle tätig. Dieser wird – zusammen mit BBC Perisan, Radio France International (RFI) und anderen – «Unterstützung des Terrorismus» vorgeworfen.
«Antirevolutionäre Ausländer»
Payar geriet nun ins Visier des Geheimdienstes, nachdem die iranischen Behörden seine Nichte Ghazaleh Zarea wegen «Bildung einer Gruppe zur Störung der öffentlichen Sicherheit» zu drei Jahren Haft verurteilt hatten. Ihr wird auch Zusammenarbeit mit «antirevolutionären Ausländern» vorgeworfen – gemeint ist unter anderem ihr Onkel Farhad Payar. «Reporter ohne Grenzen» hat die Verurteilung inzwischen aufs Schärfste verurteilt.
Das Urteil gegen Ghazaleh Zarea fiel am 13. Januar 2024 in Khorramabad, einer Stadt im Westen des Iran. Sie war bereits am 30. Juli 2023 von Mitarbeitern des iranischen Geheimdienstes festgenommen worden. «Sie musste nach ihrer Festnahme 23 Tage in Einzelhaft verbringen und wurde in dieser Zeit Tag und Nacht verhört. Anschliessend wurde die 47-Jährige in einen Trakt des Khorramabad-Gefängnisses verlegt, in dem sie zehn Tage mit vernachlässigten und aggressiven Gefangenen verbringen musste», erklärt Payar.
Mit Farhad Payar sprach Heiner Hug.
Journal21: Wurden Sie jetzt zum ersten Mal bedroht?
Farhad Payar: Nein, Drohungen gab es immer wieder, per E-Mail oder in den sozialen Netzwerken. Manchmal kamen auch Anrufe. Ich sei ein Anti-Iraner, wir seien Agenten feindlicher Mächte. ‘Passt auf, was ihr schreibt!’, hiess es manchmal. Ich habe diese Drohungen nie wirklich ernst genommen.
Ich war einmal in Berlin zu einer Diskussion zum Thema Menschenrechte im Iran eingeladen. Ein Mitarbeiter der staatlichen Nachrichtenagentur IRNA kam vor der Sitzung zu mir und sagte: ‘Ich hoffe, Sie wissen, was Sie sagen werden.’ Ich antwortete: ‘Es geht hier um Menschenrechte, die Gefängnisse sind voll, Menschen werden gefoltert, getötet.’ .‘Ja', sagte der Journalist, 'da gibt es schon Probleme, aber das geht das Ausland nichts an.’
Ist ihre Nichte politisch tätig?
Nein, ganz und gar nicht. Meine Nichte ist eine Sozialaktivistin. Als Journalistin hat sie für Gesundheitszeitschriften gearbeitet, nichts Politisches. Sie betreibt ein Café, organisiert Workshops zu psychologischen Themen. Sie hat einen Verein gegründet; sie will Frauen, die Gewalt erleben, helfen. Sie kämpft für Strassenkinder. Sie war nie ausserhalb des gesetzlichen Rahmens tätig. In anderen Ländern hätte sie ein Lob von der Regierung bekommen.
Weshalb wurde sie festgenommen?
Dem Geheimdienst war sie ein Dorn im Auge, dass ich, ihr Onkel, als Redaktionsleiter des Iran Journal tätig bin und damals als Redakteur für den Farsi-Dienst der Deutschen Welle gearbeitet habe. Mit ihrer Festnahme bezweckten die Geheimdienstleute drei Dinge: Sie wollen sie, die Sozialaktivistin, zur Passivität zwingen. Zweitens: Sie wollen Frauen Angst einjagen, dass sie nicht so aktiv werden wie Ghazaleh. Drittens: Sie wollen mich einschüchtern.
Wie erfuhren Sie von den Drohungen gegen Sie?
Die handfeste Drohung kam über das Handy von Ghazaleh. Der Geheimdienst hatte ihr Telefon beschlagnahmt und mir in ihrem Namen erklärt, ich müsste jetzt aufpassen. Die Behörden benutzen meine Nichte, um mir zu drohen.
Wo ist Ghazaleh jetzt?
Sie befindet sich gegen Kaution auf freiem Fuss und wartet auf den Revisionsprozess.
Befürchten Sie, Farhad Payar, nach diesen Drohungen gegen Sie, Schlimmes?
Diktatoren sind unberechenbar. Ich rechne mit allen Dingen, seit ich als Journalist arbeite. Man weiss ja nie. Ich glaube nicht, dass sie jetzt jemanden schicken, um mich zu erschiessen. Ich bin nicht so wichtig. Aber es gibt ja andere Möglichkeiten. Die sind zu allem fähig. Morgen kann ja ein Auto jemanden überfahren; ein Freund in Berlin wurde in der Nacht überfallen und lag drei Wochen im Koma.
Haben Sie Personenschutz beantragt?
Nein. Die können mich ja nicht Tag und Nacht schützen. Der iranische Geheimdienst will ja vor allem Angst verbreiten, mich in meiner Tätigkeit lähmen. Ich getraue mich nach wie vor auf die Strasse. Das einzige, was ich mache: Wenn ich die Wohnungstür in Berlin aufschliesse, schaue ich genau, wer sich auf der Etage befindet.