Gegen die spanische Immobilienkrise war die Hypothekenschrottpapier-Blase anno 2008 in den USA ein klitzekleiner Luftballon, gemessen an der Binnenwirkung. Im Vergleich zur spanischen Bankia war Lehman Brothers mit gesundem Eigenkapital ein unerschütterlicher Fels in der Brandung. Im Gegensatz zu Spanien hatte der US-Staat Zugriff auf eine eigene Gelddruckmaschine, die Notenbank FED. Nun beginnt Spanien merklich zu rutschen, und die meisten Analysten und Koryphäen wenden sich unwillig von Griechenland ab und nehmen zur Kenntnis, dass es da wohl noch ein gröberes Problem in Europa gibt als den kleinen Pleitestaat im Südosten.
Rettet den Retter
Als viertgrösste Wirtschaftkraft Europas ist Spanien nach dem üblichen Verteilschlüssel am ganzen Gebastel von Rettungsschirmen beteiligt. Nehmen wir nur den grössten und grossartigsten von allen, den Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM. Das Wunderwerk, der Überschirm, die Lösung aller Finanzprobleme. Mit sagenhaften Garantien über 780 Milliarden Euro, eine, welch hübsches Eurokraten-Wort, «Übersicherung». Die schaffe Vertrauen, garantiere beste Ratings, lasse alle Zweifel an einer angeblichen Eurokrise verstummen. Nun ja, an diesem Schutzschild ist Spanien mit 11,9 Prozent beteiligt, muss 9,5 Milliarden einzahlen und steht für 73,8 Milliarden Euro gerade. Wie man ausserhalb des Wolkenkuckucksheims Brüssel weiss, muss ein Bürge damit rechnen, dass er notfalls den von ihm garantierten Betrag zu zahlen hat. Das ist der Sinn einer Bürgschaft. Nebenbei: Natürlich «garantiert» auch Griechenland 17,5 Milliarden im ESM, Portugal immerhin 15,6 Milliarden. Es darf gelacht werden.
Der Fall Bankia
Man kann einen gewissen Gähnreflex nicht unterdrücken, wenn man das bekannte Muster des üblichen Gequatsches mal wieder exemplifizieren muss. Die neue spanische Regierung trat vor wenigen Monaten mit der markigen Aussage an, dass keine Bank damit rechnen dürfe, mit Staatshilfen gerettet zu werden. Ein weiteres Ehrenwort mit eingebautem Verfallsdatum. Nachdem Bankia bereits vor zwei Jahren 4,5 Milliarden Staatskohle kriegte und seither zu 45 Prozent im Besitz aller Spanier ist. Letzten Mittwoch wurde dann ein Loch von weiteren 9 Milliarden entdeckt, hoppla. In wenigen Tagen, so sind halt Löcher, vergrösserte es sich auf 15, dann auf 19 Milliarden, und inzwischen sollen es, hoppla, schon 23 sein. Ist schon unglaublich, wie sich solche fiesen Löcher immer wieder vor allen hochwissenschaftlichen Berechnungen im modernen High-Tech-Banking verstecken können. Wäre zwar in den vorwissenschaftlichen dunklen Zeiten des Mittelalters, als Kontorbücher noch mit Federkielen bekritzelt wurden, nicht möglich gewesen. Aber hier fordert halt der Fortschritt seinen Preis.
Wachstum à la EU
Immerhin, am Fall Spanien versteht der Laie endlich, was die Eurokraten eigentlich unter dem neuerlich im Chor beschworenen Begriff Wachstum verstehen. Nachdem auch die autonome Region Katalonien, für 20 Prozent des spanischen BIP zuständig, ein kleines Loch bei der anstehenden Umschuldung von 13 Milliarden Euro entdeckt hat, ist nun amtlich: Wachstum à la EU heisst, die Löcher wachsen. Es darf gelacht werden, allerdings in erster Linie aus Verzweiflung. Überhaupt nicht lustig ist aber die Tatsache, dass dieser spanische Staat, in Rezession, mit einer Jugendarbeitslosigkeit von über 50 Prozent, mit einer noch nicht geplatzten Hypothekarkreditblase, ohne nennenswerte Zukunftsindustrien, mit einbrechenden Steuereinnahmen, unbezahlbaren Sozialversprechen, der viertgrösste Garant im grossartigen Rettungsschirm ESM ist.
Richtige Theorie
Die Theorie ist an und für sich richtig. Heutige Schulden können mit zukünftigem Wirtschaftswachstum bezahlt werden. Wenn es kein Wachstum gibt, kann es mit weiteren Schulden angeschoben werden. In der Praxis erhebt sich aber die Frage: Welches Wachstum? Was soll in Spanien, in Portugal, in Griechenland genau wachsen? Und, wenn etwas wächst, dann muss es ja auch verkauft werden. Im Binnenmarkt und als Export auch auf dem Weltmarkt. Und was stellen diese drei Länder genau her, was in der Zwangsjacke Euro zu kompetitiven Preisen gegen asiatische Konkurrenz losgeschlagen werden könnte? Gute Ratschläge richte man an die zuständigen Wirtschaftsministerien, die sind für jede Idee dankbar, mir fällt nichts ein.
Rettungsring Eurobonds
Da sich diese drei Länder aus eigenem Unvermögen und mit hausgemachten Krisen ins Schlamassel gewirtschaftet haben, liegt die Forderung nahe, im Rahmen des europäischen Gedankens zu insistieren, dass neue Schulden zu bezahlbaren Zinsen aufgenommen werden müssen. Das geht nur, wenn der «last man standing», nämlich Deutschland, dafür Garantien abgibt. Menschlich verständlich, dass das diese Staaten, unterstützt von den nächsten Wackelkandidaten Italien und Frankreich, lauthals fordern. Genauso verständlich, dass sich Bundeskanzlerin Merkel, die auch nicht immer durch ökonomischen Sachverstand auffiel, dagegen eisern wehrt. Wenigstens da gibt es einen Hoffnungsschimmer: Die Einführung von Euroschuldpapieren würde, selbst wenn Deutschland einverstanden wäre, ein paar Jährchen dauern. Und bis dahin wird es den Euro nicht mehr geben. Immerhin.